Die Dame mit den tausend Wünschen
Von I. L. Röster
Mitten in der Stadt lag die Gartenstraße. Mitten auf der
Gartcnstraße lag ein Geschäft. In dem Geschäft standen Regale.
And auf den Regalen lagen Stoffe aller Arten: Gabardine, Pope-
line, Muffeline, Cheviots, Serge, Seiden, Sammete und Tuch in
allen Farben: rot, gelb, weiß, braun, blau, blaßblau, nochblasserblau,
lila, schwarz, grün, neugrün, nilgrün, pogrün, grasgrün und garnicht-
grün in allen Mustern: einfarbig, kariert, gestreift, gepunktet und
geblümt und gestickt.
In diesen Laden trat die Dame mit den tausend Wünschen.
Man sah ihr die tausend Wünsche von weitem nicht an. Sie sah
aus wie eine Dame, die etwas kaufen möchte oder auch nicht kaufen
möchte. So genau weiß sie es noch nicht. Jedenfalls will sie sich zu-
nächst einmal etwas ansehen, sagt sie. Vielleicht findet sie dann das,
was sie sucht. Vielleicht auch nicht oder vielleicht doch. Geduld bringt
Rosen, und ansehen kostet ja nichts. Der Verkäufer nickt höflich und
schleppt Berge von Stoffballen. Er klettert die Leitern hinauf und
herunter, er streckt sich und reckt sich und bückt sich und quält sich,
aber immer wieder antwortet die Dame:
„Das ist nicht ganz das, was ich suche, junger Mann."
„Welche Stoffart soll es
denn sein, gnädige Frau?"
„Wieso?"
„Gabardine, Popeline,
Musseline, Cheviot, Serge,
Seide, Samt oder Tuch?"
„Gabardine," sagt die
Dame endlich.
„And in welcher Farbe?"
„Wieso?"
„Rot, gelb, weiß, brau»,
blau, blaßblau, nochblaffer-
blau, lila, schwarz, grün, neu-
grün, nilgrün, pogrün, gras-
grün oder garnichtgrün?"
„Gelb," antwortet die
Dame nach langem Bedenken.
„And in welchem Muster?"
„Wieso?"
„Einfarbig, kariert, ge-
streift, gepunktet, geblümt oder
gestickt?"
„Einfarbig."
„Sofort, gnädige Frau."
Der Verkäufer bringt zehn
verschiedene einfarbige gelbe
Gabardine. „Sicher ist das Ge-
wünschte darunter, gnädige
Frau," sagt er.
386
Es war nicht darunter.
„So ähnlich," sagt die Dame, „so ungefähr, nicht ganz so gelb
und nicht ganz so einfarbig — haben Sie nicht noch etwas anderes?
Ist das alles, was Sie haben?"
Der Verkäufer möchte etwas erwidern. Aber er kommt nicht
dazu. Denn ehe er antworten kann, läßt sich bereits die Stimme
der bisher ganz manierlichen Freundin der Dame mit den tausend
Wünschen vernehmen:
„Recht wenig Auswahl haben Sie eigentlich!"
Damen gehen selten ohne Freundin einkaufen. Der Verkäufer
kennt das. Er bleibt daher höflich und sagt:
„Wenn die Damen so liebenswürdig wären und sich mit mir
in unser Reservelager im zweiten Stock bemühen würden? Dort
haben wir noch eine sehr große Auswahl."
Die beiden Damen bemühen sich und steigen in den zweiten
Stock. And wieder sind hier zahlreiche Regale, voll mit Gabardinen,
Popeline», Muffelinen, Cheviots, Serges, Seiden, Sammeten und
Tuchen. And wieder leuchten sie in allen Farben, in rot, gelb, weiß,
braun, blau, blaßblau, nochblafferblau, lila, schwarz, grün, neugrün,
nilgrün, pogrün, grasgrün und garnichtgrün. And wieder läßt sich
die Dame alle Muster zeigen, die einfarbigen, die karierten, die
gestreiften, die gepunkteten und
geblümten und gestickten.
„Dieses Gelb ist auch wie-
der nicht das Richtige," be-
merkt sie dann, „ein wenig
Heller noch und nicht so kräf-
tig und satter in der Farbe
und etwas mehr leuchtend,
dabei matt im Glanz und zart
in derWirkung. Ich sehe schon.
Sie haben es nicht."
Der Verkäufer hat nun-
mehr bereits vierhundertvier-
zig Stoffballen heruntergeholt,
ausgepackt, aufgerollt, vorge-
legt, zum Licht getragen, ab-
gelegt, zusammengerollt, ein-
gepackt, weggetragen und
hinaufgeschleppt. Aber er ver-
liert nicht die Geduld.
„Wir haben noch ein Lager,
meine Damen," sagt er mit
einem Lächeln, wofür allein er
einmal in de» Limmel kommen
müßte, „Sie müssen sich jedoch
über die Straße begeben. Dort
lagern die Stoffe, die soeben
hereingekommen sind. Sie sind
(Fortsetzung Sette Z88>
Die Braut „Feuer werde ick anmachen, Paula; das verstehe
ich sehr gut."
„Ja, Fritz, dann können wir ja, wenn wir heiraten, die billigere
Wohnung mit den Oefen nehmen statt der mit der Zentralheizung."
Von I. L. Röster
Mitten in der Stadt lag die Gartenstraße. Mitten auf der
Gartcnstraße lag ein Geschäft. In dem Geschäft standen Regale.
And auf den Regalen lagen Stoffe aller Arten: Gabardine, Pope-
line, Muffeline, Cheviots, Serge, Seiden, Sammete und Tuch in
allen Farben: rot, gelb, weiß, braun, blau, blaßblau, nochblasserblau,
lila, schwarz, grün, neugrün, nilgrün, pogrün, grasgrün und garnicht-
grün in allen Mustern: einfarbig, kariert, gestreift, gepunktet und
geblümt und gestickt.
In diesen Laden trat die Dame mit den tausend Wünschen.
Man sah ihr die tausend Wünsche von weitem nicht an. Sie sah
aus wie eine Dame, die etwas kaufen möchte oder auch nicht kaufen
möchte. So genau weiß sie es noch nicht. Jedenfalls will sie sich zu-
nächst einmal etwas ansehen, sagt sie. Vielleicht findet sie dann das,
was sie sucht. Vielleicht auch nicht oder vielleicht doch. Geduld bringt
Rosen, und ansehen kostet ja nichts. Der Verkäufer nickt höflich und
schleppt Berge von Stoffballen. Er klettert die Leitern hinauf und
herunter, er streckt sich und reckt sich und bückt sich und quält sich,
aber immer wieder antwortet die Dame:
„Das ist nicht ganz das, was ich suche, junger Mann."
„Welche Stoffart soll es
denn sein, gnädige Frau?"
„Wieso?"
„Gabardine, Popeline,
Musseline, Cheviot, Serge,
Seide, Samt oder Tuch?"
„Gabardine," sagt die
Dame endlich.
„And in welcher Farbe?"
„Wieso?"
„Rot, gelb, weiß, brau»,
blau, blaßblau, nochblaffer-
blau, lila, schwarz, grün, neu-
grün, nilgrün, pogrün, gras-
grün oder garnichtgrün?"
„Gelb," antwortet die
Dame nach langem Bedenken.
„And in welchem Muster?"
„Wieso?"
„Einfarbig, kariert, ge-
streift, gepunktet, geblümt oder
gestickt?"
„Einfarbig."
„Sofort, gnädige Frau."
Der Verkäufer bringt zehn
verschiedene einfarbige gelbe
Gabardine. „Sicher ist das Ge-
wünschte darunter, gnädige
Frau," sagt er.
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Es war nicht darunter.
„So ähnlich," sagt die Dame, „so ungefähr, nicht ganz so gelb
und nicht ganz so einfarbig — haben Sie nicht noch etwas anderes?
Ist das alles, was Sie haben?"
Der Verkäufer möchte etwas erwidern. Aber er kommt nicht
dazu. Denn ehe er antworten kann, läßt sich bereits die Stimme
der bisher ganz manierlichen Freundin der Dame mit den tausend
Wünschen vernehmen:
„Recht wenig Auswahl haben Sie eigentlich!"
Damen gehen selten ohne Freundin einkaufen. Der Verkäufer
kennt das. Er bleibt daher höflich und sagt:
„Wenn die Damen so liebenswürdig wären und sich mit mir
in unser Reservelager im zweiten Stock bemühen würden? Dort
haben wir noch eine sehr große Auswahl."
Die beiden Damen bemühen sich und steigen in den zweiten
Stock. And wieder sind hier zahlreiche Regale, voll mit Gabardinen,
Popeline», Muffelinen, Cheviots, Serges, Seiden, Sammeten und
Tuchen. And wieder leuchten sie in allen Farben, in rot, gelb, weiß,
braun, blau, blaßblau, nochblafferblau, lila, schwarz, grün, neugrün,
nilgrün, pogrün, grasgrün und garnichtgrün. And wieder läßt sich
die Dame alle Muster zeigen, die einfarbigen, die karierten, die
gestreiften, die gepunkteten und
geblümten und gestickten.
„Dieses Gelb ist auch wie-
der nicht das Richtige," be-
merkt sie dann, „ein wenig
Heller noch und nicht so kräf-
tig und satter in der Farbe
und etwas mehr leuchtend,
dabei matt im Glanz und zart
in derWirkung. Ich sehe schon.
Sie haben es nicht."
Der Verkäufer hat nun-
mehr bereits vierhundertvier-
zig Stoffballen heruntergeholt,
ausgepackt, aufgerollt, vorge-
legt, zum Licht getragen, ab-
gelegt, zusammengerollt, ein-
gepackt, weggetragen und
hinaufgeschleppt. Aber er ver-
liert nicht die Geduld.
„Wir haben noch ein Lager,
meine Damen," sagt er mit
einem Lächeln, wofür allein er
einmal in de» Limmel kommen
müßte, „Sie müssen sich jedoch
über die Straße begeben. Dort
lagern die Stoffe, die soeben
hereingekommen sind. Sie sind
(Fortsetzung Sette Z88>
Die Braut „Feuer werde ick anmachen, Paula; das verstehe
ich sehr gut."
„Ja, Fritz, dann können wir ja, wenn wir heiraten, die billigere
Wohnung mit den Oefen nehmen statt der mit der Zentralheizung."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Braut"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1938
Entstehungsdatum (normiert)
1933 - 1943
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 189.1938, Nr. 4873, S. 386
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg