Fliegende Blätter (189.1938 (Nr. 4849-4874) = 94. Jahrg.)

Ingeborg

Ingeborg lachte nervös.

„Will der Weihnachtsmann auch wissen,
ob ich brav war?"

Der Alte strich seinen langen Bart.

„Das möchte er gern wissen — vor
allem, ob das Fräulein immer noch die
Absicht hat, zu dem jungen Mann im
Stock gegenüber hinüberzulächeln, wenn
er herüberlächelt?"

„Das ist nicht wahr!"

„Der junge Mann von gegenüber hat
es mir gebeichtet."

„Er hat gelogenI" rief Ingeborg.

Der Weihnachtsmann nickte:

„Nun wohl, ich sehe, du bist ein störrisch
Kind l Er hat seine Strafe aus sich
genommen, er zieht in eine andere
Stadt."

„Ohl" sagteIngeborgnur und wurderot.

Der Weihnachtsmann griff tief in sei-
nen Sack.

„Da du aber sonst brav warst, hat
dir der Weihnachtsmann auch etwas mit-
gebracht."

„Ein Geschenk?"

Der Alte holte ein wunderschönes rotes
Koffergrammophon hervor.

„Für mich?"

„Für dich! Eine Platte liegt auch darin. Die spielst du, wenn
ich jetzt gegangen bin."

Er schulterte seinen Sack und schritt zur Tür.

„Ach, lieber Weihnachtsmann!" — Aber er war schon verschwunden-

Ingeborg eilte zum Grammophon zurück und legte die Platte auf.


Die Wachsplatte

Eine tiefe Männerstimme ertönte:
„Liebe Ingeborg! Ich sehe Sie jeden
Morgen am Fenster. Wie soll ich Ihnen
sagen, daß ich Sie liebe? Wirklich liebe,
von ganzem Lerzen liebe, so liebe, daß ich
Sie mir zur Frau wünsche! Ich gehöre
nicht zu den Männern, die eine Frau leicht
kennenlernen und sie ansprechen. Aber ein
Weihnachtsmann darf wohl mit jeder Frau
reden. And so versuche ich es. Ich warte
unten, als Weihnachtsmann, die Platte
spielt drei Minuten, ich warte hier. Wer-
den Sie kommen?" Ingeborg lief, was sie
konnte —

Kinkerlitzchen

Andrea Caltagironi in Livorno, der vor
einem Dutzend Jahren öfter als Lunger-
künstler auftrat, hat ein Kochbuch ge-
schrieben.

Das muß ein vorzügliches Werk sein.
Der Autor hat ja beim besten Koch
gelernt.

In Litauen gibt es verhältnismäßig
viele sehr alte Leute. Ein Kownoer Arzt,
der das Rezept zum langen Leben erforschen will, hat nun zehn
Lundertjährige besucht und ausgefragt, aber von jedem hat er eine
andere und keineswegs befriedigende Auskunft erhalten.

Das hätte der Arzt voraussehen können. Es ist doch klar: wer
niemals ein Rezept braucht, wird wahrscheinlich auch lange leben.

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Abgeschlossen am 1. Dezember 1938.

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