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10G

Kuno von Rabeneck, der Verfehmte.

Schilfe. Es war, als ob der Teufel mit all seinen höllischen
Schwadronen Sturm liefe. Tie Flammen leckten an den Himmel
und das ganze Firmament schimmerte roth, wie ein Nordlicht.
Ehvor daher diewachthabendeLöschmannschaft noch ihre Meldung
bei der Commandantschaft gemacht hatte, fuhren schon die dunkel-
rothen Flammenstöße dampfend empor, wie aus einem feuerspei-
enden Crater, und die glimmenden Strohhalme wehten in der
Luft, gleich tanzenden Sternschnuppen 7 8 9). Bon den wie Pech und
Schwefel auflodcrnden Zelten warf sich ein schauerliches Helldunkel
! in flackernden Umrissen über die zum Kampfe sich rüstenden
Gruppen. Tie Trommeln wirbelten, die Drommeten ^) riefen
zur Schlacht, einzelne Bogenschüsse zischten bereits zwischen das
Gedröhne der Wurfmaschinen und Bombarden; der Sturm win-
selte in den Felsschluchten, ein Orkan brauste südnördlich im
cilffackien3) Echo überden kaspischen Meerbusen; schwefelhaltige
Blitze durchzuckten die Rabcnnacht. Ter Tonncr grollte in seinen
grausigsten Mclodicen ans thurmhoch geballten Wetterwolken,
deren verderbenschwangeremSchooße alsbald einHagelwettervon
nie geahnter Größe prasselnd entstürzte, und erst gegen Morgen
in cineni ergiebigen Erdbeben10 11 12 13 14) ein endliches Ziel setzte. Dadurch
wurden alle Stege und Brücken arg demolirt und alle Land-
und Bicinalstraßen des Orients nachgerade nnfahrbar gemacht").
Ganz Jkonium und seine nächste Umgebung war nur ein wild-
verworrenes Hochgetümmel von elementarischer und strategischer
Massenbewegung geworden und einzelne Heerhaufen griffen sich
bereits lebhaft anIä). Verzweiflung raste gegen Verzweiflung;
der Commandoruf der christlichen Anführer, das Wuthgebrüll
der anstürnienden Türken, das Röcheln der Sterbenden, das
Winseln der mehr oder minder Verwundeten, das dumpfe
Schweigen der Gefallenen, von dem, aus zerrissenen Wolken all-
mählig hervortretenden Halbmond träumerisch übersilbert; der
Donner der Geschütze, vom Geschmetter der blitzenden Waffen
und Rüstungen dröhnend übertäubt, — das Alles gab, von der
trefflichsten türkischen Musik zeitweise durchprasselt, — ein fürch-
terliches Concert"), vor dem die kältesten Helden ein eisiges
Grausen44) anwandeltc. Nie sah man ein gräßlicheres Kampf-
schauspiel 15), und mancher Held war schon gesunken, oder stand
eben im Begriffe es zu thun. Dedo von Knäufel, Hagen von
Thüstern, Ralf von Zwieselberg, Jean de Chinder16 *), Thuni-
bund von Köpfing, Tobias von Waldenburg und noch viel an-
dere edle Herren lagen bereits auf ihren Schilden. An sieben-
zehntausend Blessirte rangen noch zwischen Welt und Grab.
Aber auch türkischerseits war dem blutigen schlachten-Tpphvn
schon ein schaudererregendes Quantum geopfert worden. Drei

7) Littrow's „Wunder des Himmels." S. »16.

8) „Tie alte Trompete in Ls" von Dr. Ludw. Steulr S. 3—4.

9) Frhr. v. Bega's „Logarithmen-Tabellen." Tab. 1 5 ■

10) Seyfart's „Allgemeine Geschichte der Erdbeben " S- 275.

11) I. H. Vossens „Ein Tag auf dem Lande." S. 31.

12) Knigge's „Umgang mit Menschen." S. 46.

13) Meister's „Generalbaßschule." S. 80.

14) Weings's „Wurstlergeschäft" (blos die Vorrede^ zu gebrauchen.)

15) Thürnagel's „Anleitung zur Deklamation." S. 91.

16) „Histoire secrete de Jean de Chinder.“ 0- 11 und le-

' naille-Champtons „Histoire de la gensdarmerie. Pag. 281.

Spatharnare u), zweihundertsiebenundvierzig Tulombadschi's")
und unzählige Käpidschi Baschis43) hatten ihre Heiden-Seelen
bereits abgestreift, und jedes christliche Leben hat der Türke in
jener Mordnacht zwiefach, wo nicht dreifach bezahlt'^); ein Um-
stand, der selbst durch den lange nachher erfolgten westphälischen
Frieden nicht völlig ausgeglichen werden konnte"). Viele Jahr- j
Hunderte später soll man auf der Landstraße von Jkonium noch .
zur tiefen Nachtzeit, wenn kein sterbliches Ohr lauschte, Roß-
: gewieher, Frohlocken der Sieger, Gewinsel der Besiegten und
stark besetzte türkische Musik deutlich vernommen haben ’22).

Zweites Kapitel.

Wer für Natur, für Liebe und für Tugend
Gefühl im Busen trägt,

Wer niemals sich dem Allgenuß der Jugend
Aus falschem Wahn enlschlägt:

O dein wird's nie an wahrer Freude fehlen!

Ihm bietet jedes Jahr,

Wenn Neid und Stolz den Misanthropen quälen,
Der Freuden Fülle dar.

(Geräumiger Gemüsegarten hinter dem Landhause Ibrahim Sa-
hibs, Platzmajors von Jkonium. Ritter Kuno von Rabeneck,
mit verbundenem Kopfe und gefesselt, schlendert sinnend dahin,
und begießt instinklattig ein Zwiebelbeet 4). Kurt, sein Leib-
! knappe, ein munterer Alter, gleichfalls verbundenen Kopfes,
hilft ihm dabei.)

Kurt. „Wie Ihr doch so verändert seid in Zeit eines Mon-
des, edler Herr! Bleich und entstellt ist Euer Antlitz, verworren
hängen Eure Locken, wie Trauerweiden-Zweiglein, in klagender
Melancholie um den Scheitel, und Euer Auge rollt wild und
düster, wie ein flüchtiger Irrwisch umher!"

Kuno. „Ha, Teufel! Gefangen! Der Rabenecker gefan- ,
gen, — und ohne sein Wissen und Wollen, durch bübische Tücke
und heidnische Bosheit! O Kurt, alter Kurt, der Du mich einst
als ein stammelndes Knäblein ans Deinen Knien geschauckelt
und auf Deinen Armen getragen2), v warum ließest Du mich
; damals nicht in einem unbewachten Momente gauckelnd hinab-
, gleiten3), hinab in das tiefste Verließ meiner Burg, wo gift-
! geschwollene Molche ihr ödes Wesen treiben, und wäss'rige
j Unken ihre schrillende Vesper singen 4),' oder hinab über die gothi-
schen Zinnen3) des Zwingers in die silbernen Fluthen des sanft

17) Türkische Oberpostmeister in der Moldau.

18) Türkische Spritzenleute.

19) Türkische Kammerherrn.

20) Prändel's „Arithmetik." S. 23.

21) Dr. C. Wagner's „Poetische Geschichte der Deuffchen." S. 119.

22) „Die Nachtseiten der Natur." S. 269 und Wölfer's „Perga-
mentmacher und Leimsieder." S. 34.

1) G. Meister's „Ottentalisch.Jndianischer Kunst-und Lustgättner."
S. 316.

2) Plutarchus „De puerorum educatione libellus. Pag. 89.

3) „Die Kindsfrau, wie sie sein soll und muß." S. 36 und Pesta-
lozzi's „Pädagogische Schriften. 111. Bd. S. 443.

4) Lobe's „Kompositionslehre." S. 74.

5) „Der kleine Gothc" von Heideloff. S. 60.
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