Der Ordner Von Ralph Urban
„In meinem Briefordner ist kein Platz mehr," ertönte die Stimme
des Lerrn Ackermann durch die geöffnete Tür des Nebenzimmers.
„Nein, so was," antwortete seine junge Frau, die mit einer Land-
arbeit am Tisch saß, und lächelte etwas schmerzlich. Sie sah ihren
Mann in letzter Zeit kaum noch. Seine freien Stunden gehörten meist
ehrenamtlichen Verpflichtungen, und war er ja einmal zu Lause,
dann fand er in seinem übertriebenen Ordnungssinn bestimmt etwas,
das er in Reih und Glied bringen konnte. Derzeit hatten es ihm
alte Gasrechnungen angetan.
„Es geht wirklich nichts mehr hinein," fuhr er nach einer Weile
bekümmert fort. „Könntest du morgen vormittag für mich in die
Papierhandlung Peters gehen? Dort habe ich nämlich Ermäßigung,
da wir unfern Bürobedarf bei dieser Firma decken."
„Genügt es, wenn
ich einen Ordner ver-
lange?"
„Keineswegs. Die
Marke heißt ,Perfekt",
die Lochweite beträgt
acht Zentimeter. Soll
ich dir's aufschreiben?"
„Ich merke es mir
sch on,"sagte Frau Acker-
mann und seufzte.
Am nächsten Abend
kam der Mann gleich
vom Amt heim.
„Last du mir auch
den Ordner besorgt?"
fragte er mit bangem
Mißtrauen, das aber
unberechtigt war, denn
der Ordner lag ver-
packt auf dem Schreib-
tisch. Lerr Ackermann
wickelte ihn aus, schnup-
perte daran und freute
sich. Dann nahm er
die Buchstaben von
M—Z aus dem alten,
um sie in den neuen
einzusetzen. Aber da
stimmte etwas nicht —
natürlich — ^
„Berta!" rief er „Mern Mann ist verrerst, aber auf
streng. „Was habe ich
dir gestern gesagt? Lochweite acht, und diese hier ist sieben. Nicht
einmal in die Papierhandlung kann man dich schicken."
„Schrecklich," meinte die Frau, sah aber gar nicht erschüttert
aus. ..Was machen wir da?"
„Umtauschen," entgegnete der Mann und blickte auf die Ahr.
„Du kommst natürlich mit. Wenn wir die Straßenbahn nehmen,
sind wir vielleicht noch vor Geschäftsschluß dort."
Zehn Minuten später saßen sie in der Straßenbahn, um die drei
Laltestellen bis zu jener Papierhandlung mit Ermäßigung zurück-
zulegen. Lerr Ackermann war säuerlich wegen des Ordners, er
liebte die Ordnung über alles und würde eine schlechte Nacht haben,
wenn der Fehler nicht sogleich gutzumachen wäre.
„Mir könnte so etwas nicht passieren," fuhr er fort zu nörgeln,
„wenn ich von einem Vorgesetzten einen Auftrag erhalte, dann wie-
derhole ich den Befehl, wodurch er sich ins Gedächtnis einprägt."
„Du bildest dir doch nicht ein, daß du mein Vorgesetzter bist?"
meinte die Frau spöttisch.
„Nein, leider nicht. Aber die Frauen sind da unvollkommen.
Schwimmen ständig an der Oberfläche, weil sie nicht fähig sind, tiefer
zu denken. Wenn ihnen allerdings jemand sagt, daß sie schön sind.
dann merken sie es sich fünfzig Jahre lang. Betrifft es jedoch nicht
gerade ihre Person, dann kann man ihnen etwas einhämmern, und
sie machen es trotzdem verkehrt. Sagt mir hingegen jemand Joch-
weite acht^, dann behalte ich das lebenslänglich, und es kann niemals
eine Sieben daraus werden!"
„Du sprichst wie ein Buch," sagte die Frau und stand auf, „trotz-
dem sind wir schon da."
„Ach so I" rief der Mann und erhob sich rasch. Fast hätte er die
Laltestelle überfahren.
Nach etwa fünfzig Schritten standen sie vor dem Schaufenster
der Papierhandlung. Der Mann war plötzlich kaum merklich zusam-
mengezuckt und betrachtete nun scheinbar mit heftigem Intereffe die
schönen Dinge in der Auslage. Seine Zähne nagten an der Anter-
lippe. „Du, Berta" — begann er zögernd.
„3a?"
„Ist das Ganze mit
demOrdnernichteigent-
lich ein Ansinn?"
„Allerdings!"meinte
die Frau und blickte
ihren Mann überrascht
an.
„Wollen wir den
Ordner nicht Ordner
sein lassen und uns lie-
ber einmal einen netten
Abend machen? Dort
drüben ist ein Restau-
rant, dort können wir
guteffenundeineFlasche
Wein trinken. Ich war
in letzter Zeit eigentlich
recht ruppig zu dir, aber
weißt du, es sind die
Nerven. Wohl überar-
beitet. Du bist mir nicht
böse, nein? Ich werde
von nun an wieder sehr
artig sein, mein Mäd-
chen. And jetzt ziehen
wir los!"
„Aber Peterl," rief
die Frau und ihre Au-
gen schimmerten feucht,
„wie lieb von dir, du
ahnst gar nicht, was du
mir für Freude machst."
Er griff ihr unter
den Arm, und sie gingen der Ecke zu, wo große Leuchtbuchstaben ein
Restaurant bezeichneten.
„And der Ordner," meinte die Frau und hemmte den Schritt,
„da wir schon hier sind —"
„Tja, das ist es eben," sagte der Mann etwas unsicher, „das
Paket mit dem Ordner habe ich nämlich in der Straßenbahn
vergessen."
Der Grund
„Am Neujahrstage wurden Sie also aus dem Zuchthause ent-
lassen, in dem Sie drei Jahre zugebracht hatten! Weswegen?"
„Die drei Jahre waren herum, Lerr Richter!"
Die Kopfverletzung
„Für die kleine Kopfverletzung, die Sie bei dem Autounfall
erlitten haben, soll ich Ihnen tausend Mark zahlen? Sie sind
verrückt!"
„Ja ja, das kommt davon!"
diese Weise vermiffe ich ihn garnicht!"
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„In meinem Briefordner ist kein Platz mehr," ertönte die Stimme
des Lerrn Ackermann durch die geöffnete Tür des Nebenzimmers.
„Nein, so was," antwortete seine junge Frau, die mit einer Land-
arbeit am Tisch saß, und lächelte etwas schmerzlich. Sie sah ihren
Mann in letzter Zeit kaum noch. Seine freien Stunden gehörten meist
ehrenamtlichen Verpflichtungen, und war er ja einmal zu Lause,
dann fand er in seinem übertriebenen Ordnungssinn bestimmt etwas,
das er in Reih und Glied bringen konnte. Derzeit hatten es ihm
alte Gasrechnungen angetan.
„Es geht wirklich nichts mehr hinein," fuhr er nach einer Weile
bekümmert fort. „Könntest du morgen vormittag für mich in die
Papierhandlung Peters gehen? Dort habe ich nämlich Ermäßigung,
da wir unfern Bürobedarf bei dieser Firma decken."
„Genügt es, wenn
ich einen Ordner ver-
lange?"
„Keineswegs. Die
Marke heißt ,Perfekt",
die Lochweite beträgt
acht Zentimeter. Soll
ich dir's aufschreiben?"
„Ich merke es mir
sch on,"sagte Frau Acker-
mann und seufzte.
Am nächsten Abend
kam der Mann gleich
vom Amt heim.
„Last du mir auch
den Ordner besorgt?"
fragte er mit bangem
Mißtrauen, das aber
unberechtigt war, denn
der Ordner lag ver-
packt auf dem Schreib-
tisch. Lerr Ackermann
wickelte ihn aus, schnup-
perte daran und freute
sich. Dann nahm er
die Buchstaben von
M—Z aus dem alten,
um sie in den neuen
einzusetzen. Aber da
stimmte etwas nicht —
natürlich — ^
„Berta!" rief er „Mern Mann ist verrerst, aber auf
streng. „Was habe ich
dir gestern gesagt? Lochweite acht, und diese hier ist sieben. Nicht
einmal in die Papierhandlung kann man dich schicken."
„Schrecklich," meinte die Frau, sah aber gar nicht erschüttert
aus. ..Was machen wir da?"
„Umtauschen," entgegnete der Mann und blickte auf die Ahr.
„Du kommst natürlich mit. Wenn wir die Straßenbahn nehmen,
sind wir vielleicht noch vor Geschäftsschluß dort."
Zehn Minuten später saßen sie in der Straßenbahn, um die drei
Laltestellen bis zu jener Papierhandlung mit Ermäßigung zurück-
zulegen. Lerr Ackermann war säuerlich wegen des Ordners, er
liebte die Ordnung über alles und würde eine schlechte Nacht haben,
wenn der Fehler nicht sogleich gutzumachen wäre.
„Mir könnte so etwas nicht passieren," fuhr er fort zu nörgeln,
„wenn ich von einem Vorgesetzten einen Auftrag erhalte, dann wie-
derhole ich den Befehl, wodurch er sich ins Gedächtnis einprägt."
„Du bildest dir doch nicht ein, daß du mein Vorgesetzter bist?"
meinte die Frau spöttisch.
„Nein, leider nicht. Aber die Frauen sind da unvollkommen.
Schwimmen ständig an der Oberfläche, weil sie nicht fähig sind, tiefer
zu denken. Wenn ihnen allerdings jemand sagt, daß sie schön sind.
dann merken sie es sich fünfzig Jahre lang. Betrifft es jedoch nicht
gerade ihre Person, dann kann man ihnen etwas einhämmern, und
sie machen es trotzdem verkehrt. Sagt mir hingegen jemand Joch-
weite acht^, dann behalte ich das lebenslänglich, und es kann niemals
eine Sieben daraus werden!"
„Du sprichst wie ein Buch," sagte die Frau und stand auf, „trotz-
dem sind wir schon da."
„Ach so I" rief der Mann und erhob sich rasch. Fast hätte er die
Laltestelle überfahren.
Nach etwa fünfzig Schritten standen sie vor dem Schaufenster
der Papierhandlung. Der Mann war plötzlich kaum merklich zusam-
mengezuckt und betrachtete nun scheinbar mit heftigem Intereffe die
schönen Dinge in der Auslage. Seine Zähne nagten an der Anter-
lippe. „Du, Berta" — begann er zögernd.
„3a?"
„Ist das Ganze mit
demOrdnernichteigent-
lich ein Ansinn?"
„Allerdings!"meinte
die Frau und blickte
ihren Mann überrascht
an.
„Wollen wir den
Ordner nicht Ordner
sein lassen und uns lie-
ber einmal einen netten
Abend machen? Dort
drüben ist ein Restau-
rant, dort können wir
guteffenundeineFlasche
Wein trinken. Ich war
in letzter Zeit eigentlich
recht ruppig zu dir, aber
weißt du, es sind die
Nerven. Wohl überar-
beitet. Du bist mir nicht
böse, nein? Ich werde
von nun an wieder sehr
artig sein, mein Mäd-
chen. And jetzt ziehen
wir los!"
„Aber Peterl," rief
die Frau und ihre Au-
gen schimmerten feucht,
„wie lieb von dir, du
ahnst gar nicht, was du
mir für Freude machst."
Er griff ihr unter
den Arm, und sie gingen der Ecke zu, wo große Leuchtbuchstaben ein
Restaurant bezeichneten.
„And der Ordner," meinte die Frau und hemmte den Schritt,
„da wir schon hier sind —"
„Tja, das ist es eben," sagte der Mann etwas unsicher, „das
Paket mit dem Ordner habe ich nämlich in der Straßenbahn
vergessen."
Der Grund
„Am Neujahrstage wurden Sie also aus dem Zuchthause ent-
lassen, in dem Sie drei Jahre zugebracht hatten! Weswegen?"
„Die drei Jahre waren herum, Lerr Richter!"
Die Kopfverletzung
„Für die kleine Kopfverletzung, die Sie bei dem Autounfall
erlitten haben, soll ich Ihnen tausend Mark zahlen? Sie sind
verrückt!"
„Ja ja, das kommt davon!"
diese Weise vermiffe ich ihn garnicht!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Mein Mann ist verreist, aber auf diese Weise vermisse ich ihn garnicht!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Herbert Lehmann
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4890, S. 247
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg