Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Tag de« Lefzen«

„Wenn ich Schriftsteller wäre wie du/ sagte er, „würde ich im
Mai Leizgeschichten schreiben, ich wäre sicher, damit Erfolg zu haben,
während du wahrscheinlich im Mai Liebesgeschichten schreibst."

„Liebesgeschichten schreibe ich überhaupt nicht," sagte ich.

„Es ist offenbar ein Wunschtraum," sagte Carlo.

Ich ließ die Sache auf sich beruhen, und wir gingen weiter durch
den Englischen Garten am Chinesischen Turm vorbei und trafen
gleich dahinter einen Bekannten, der stehen blieb und uns begrüßte.

Nach dem zweiten Satz sagte er, er glaube, daß die Leizperiode
endgültig zu Ende sei.

„fl propos 5b eigen," sagte Carlo, „wie kommen Sie darauf?"

Zum Anglück war der Bekannte ein gebildeter Mann. Er dachte
eine Weile nach, während er uns ein Stück begleitete, und sagte
dann, er finde es nicht so fernliegend, an Leizen zu denken.

„Wir finden es jämmerlich," sagte Carlo. „Wir haben eben da-
rüber gesprochen und gefunden, daß es jämmerlich ist. Es ist so,
wie wenn jemand, der keine Blinddarmentzündung hat, dauernd an
Blinddarmentzündung denkt."

Der Bekannte lächelte. „Nein," sagte er, „höchstens ist es so,
wie wenn jemand, der eine solche Entzündung gehabt hat und davon
genesen ist, noch einmal an sie zurückdenkt."

„Aha," sagte Carlo, „gehabte Schmerzen Hab' ich gern."

„Ganz richtig," sagte der Bekannte.

„Laben Sie einmal eine solche Entzündung gehabt?" fragte Carlo.

Der Bekannte verneinte.

„Gut," sagte Carlo, „sonst wüßten Sie, daß es keinem Menschen
einfällt, nachher noch davon zu reden, so wenig es einem einfällt,
von Zahnweh zu reden, nachdem es vorbei ist."

„Ich weiß doch nicht. .?" sagte der Bekannte.

„Nein," sagte Carlo, „es hat einen andern Grund. Wir wissen
nicht, welchen Grund es hat, aber entweder hat es einen physiolo-
gisch-chemischen oder einen metaphysischen. An psychologische Gründe
glauben wir nicht."

Der Bekannte lächelte und verabschiedete sich, und wir gingen
weiter und hatten eine Zeitlang keine Gelegenheit, einer Anterhaltung
zuzuhören. Carlo meinte, es sei natürlich auch deukbar, daß die Leute,
denen wir begegneten, von allem Möglichen redeten und dabei auch
aufs Leizen kämen, aber dann bliebe es unerklärlich, wieso sie aus-
gerechnet in dem Augenblick damit anfingen, wenn wir vorbeikämen.
Er sah mich an und fuhr fort: „Es könnte sein, daß du wie ein
Leizer ausstehst, oder daß irgend etwas an dir die Assoziation des
Leizens auslöst."

„Nicht, daß ich wüßte," fuhr mir wieder heraus.

„Eben," sagte Carlo nur und nickte vielsagend. — Plötzlich blieb
er stehen und lachte schallend heraus. „Ich hab's," sagte er.

„And?" fragte ich.

„Kindchen," sagte er, „für einen angehende» Schriftsteller besitzt
du eine erstaunlich geringe Beobachtungsgabe. Blick einmal in die
Zukunft I"

Ich wußte nicht, worauf er hinaus wollte, aber unwillkürlich sah
ich vor mich hin in die Weite und sah ungefähr dreißig Schritte
vor uns einen Kaminkehrer gehen, der seine Leiter und seine Bürsten
über der Schulter hatte und gemächlich im selben Tempo dahin
wanderte wie wir.

„Gut," sagte ich, „aber es ist damit nicht gesagt, daß dieser Kamin-
kehrer schon die ganze Zeit über vor uns herläuft."

„Gesagt ist es noch nicht," sagte Carlo, „aber wir werden ihn
fragen. Komm, Kindchen!"

Wir holten den Kaminkehrer ein und fragte» ihn, woher er komme,
und es stellte sich heraus, daß er denselben Weg gegangen war wie
wir. Er war ein sehr netter Mann wie alle Kaminkehrer.

„Was sagst du jetzt?" fragte Carlo und wollte sich ausschütten
vor Lachen, weil ich auf dem ganzen Weg den Kaminkehrer nicht
bemerkt hatte und den natürlichsten Dingen eine unnatürliche Erklä-
rung zu geben versuchte. „Klar, daß die Leute dann ans Leizen
denken, wenn sie einen Kaminkehrer sehen," sagte er, „oder findest
du eS nicht so klar?"

Ich sagte nichts, und er zog mich weiter auf und sagte, ich sei
ein bewundernswerter Philosoph, und es werde bestimmt einmal ein
großer Dichter aus mir. „Last du nicht behauptet, daß heut der Tag
des Leizens oder so etwas sei?" fragte er. „Du wirst eine Welt-
anschauung auf das Leize» gründen, und alle werden furchtbar
darüber lachen."

„Lör' schon auf!" sagte ich.

„Aufhören I" sagte er lachend, „ich fange ja erst an." —

Wir waren inzwischen weiter gegangen nach links zum Klein-
hesseloher See, während der Kaminkehrer nach rechts verschwunden
war. Es war ein wunderbarer Tag. Wir gingen einen kleinen Bach
entlang, in dem sich Enten tummelten, und sahen zwei Damen, die
den Enten Brot zuwarfen und sich miteinander unterhielten.

Im Vorbeigehen hörten wir, wie die eine zu der andern sagte:
„Nein, wir sind mit unsrer Etagenheizung sehr zufrieden, es ist ein
voller Erfolg."

Ich sah Carlo an und grinste, sagte aber nichts.

Er sagte zunächst auch nichts, drehte sich jedoch um und suchte
die ganze Gegend mit Blicken ab. Es war nichts zu sehen außer
dem Grün der Bäume und Wiesenflächen und ein paar harmlosen
Spaziergängern, und ich fing zu lachen an.

„Lach' nicht, Kindchen," sagte er, „vielleicht ist es diesmal wirk-
lich Zufall."

Kinkerlitzchen

Londoner Zeitungen haben erklärt, die im englischen Volke durch-
geführte Metallsammlung habe den unerwünschten Erfolg, den Mu-
nitionsfabrikänten zu übermäßigen Gewinnen zu verhelfen.

Ja, aber das Volk ist doch in England für die Geschäftemacher da l

233
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Englisch-französische Tandemnummer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>
Frankreich
Großbritannien
Staatssymbol
Löwe
Tandem-Fahrrad

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 192.1940, Nr. 4946, S. 233

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen