Fliegende Blätter (193.1940 (Nr. 4953-4978) = 96. Jahrg.)

Bild aus London

(„News Chronlcle“ hat eine groteske Schilderung gebracht,wie
kopflos die Londoner Bevölkerung vor Angst und Aufregung
geworden ist)

Der Lage schlimmere Gestaltung
Verlangt jetzt eine würd'ge Haltung,

Doch muß man sich wahrhaftig schämen,
Wie sich die Londoner benehmen.

Sie zeigen gar kein bißchen Mut,

Es fehlt durchaus an kaltem Blutj
Man merkt, wie sehr die Nerven zappeln,
Und bei sehr vielen scheint's zu rappeln.
Das zeigt schon, was im Autobus
Man jeden Tag erleben muß.
Vollständig hilflos sind die Leute
Und geistiger Verwirrung Beute.

Vom Schaffner wollen alte Knaben
Statt eines Fahrscheins Beefsteak haben,
Und sonst verständige Matronen,

Die wissen nicht mehr, wo sie wohnen,
Und rumpelt's mal auf dem Verdeck,
Gibt's manche Ohnmacht gleich vor Schreck.
Sind dann die Leute ausgestiegen —

Was lassen sie dann alles liegen:

Pakete, Regenschirme, Mappen,
Kopftücher, Mützen, Hüte, Kappen
(Zu heiß wohl waren da die Köpfe),

Erst eben eingekaufte Töpfe
Mit Jam und Honig, viele Bücher,

Sehr naß geweinte Taschentücher —

Ja, selbst Gebisse, die vor Beben
Wohl nicht im Munde blieben kleben.

Auch auf der Untergrundbahn ist es
Das Gleiche, und ein schrecklich tristes
Gebühren sieht man auf den Straßen
Von Briten, die den Stolz vergaßen.

Sie haben schreckensbleiche Mienen,

Sind beinah* menschliche Ruinen,

Die sich bewegen nur mit Schlottern
Und, wenn sie reden, ängstlich stottern.

Wer hätte jemals wohl gedacht,

Daß London solchen Eindrude macht!

Seid ihr nicht Briten, seid ihr Hasen,

Die schon den Jäger hören blasen?
Schöpft wieder Mut und habt Vertrauen!

Ihr müßt in eure Zeitung schauen,

Denn die zeigt euch die wahre Lage
Und wie kein Grund, daß man verzage.

—on.

So steht der französische Hahn nach der letzten jüdisch
afrikanischen Mauserung aus.

Kleine Zeitgeschichten

Da- Jungchen

Frau Käthe ist nach kurzer Ehe ge-
schieden worden. Wie lange das her ist.
Verrät sie nicht, und keiner ihrer Ver-
ehrer wird so indiskret sein, danach zu
fragen. Frau Käthe ist eine noch recht
jugendlich wirkende Schönheit.

Frau Käthe hat einen Sohn, den
man aber nicht zu sehen bekommt, denn
ste hat ihn der Obhut ihres Bruders,
seines Onkels, übergeben. Wenn Frau
Käthe von ihm spricht, sagt sie: „Mein

Jungchen 1" ES wird also angenommen,
daß dieses Jungchen ein Knabe
von vier oder fünf Jahren ist. Nun,
vielleicht auch von acht Jahren. Aber
älter kann er nicht sein; so steht Frau
Käthe nicht aus. —

Frau Käthe hat ein paar Gäste zum
Nachmittagstee. Da taucht unvermutet
ihr Bruder auf, der Onkel des Jungchen.
Nun denkt man daran, daß man sich
doch bei Frau Käthe erkundigen muß,
wie es ihrem Jungchen gehe. — Da
lacht der Onkel. „Jungchen ist gutl Der
Mann ist im Felde, meine Herrschaften!"

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