Sidney verliert die Braut
Reichlich müde hatte Sidney Inkman
das Zeitungsviertel in der Londoner
Fleetstreet verlassen. Er hatte tüchtige
Arbeit geleistet; einen glänzenden Ar-
tikel hatte er geschrieben über den
schändlichen Verrat, den Frankreich mit
dem Waffenstillstand am hochherzig
vertrauenden Großbritannien begangen
hatte, und er hatte dabei alles ver-
braucht, was er an Schmähungen und
Beleidigungen im Kopfe hatte. Jetzt
kam er in das so hübsch eingerichtete
kleine Laus in dem sreundlichen Vor-
ort Strawberry Lill, in dem er seit
einer Woche hauste — noch als Jung-
geselle, der aber übermorgen die Braut
heimführen sollte, die I9jährige Kitty
Woolsord. Seit einem Jahre waren
sie verlobt, aber der alte Woolsord
hatte von der Lochzeit vor Kriegsende
nichts wissen wollen; erst nachdem der
zukünftige Schwiegersohn als Bescheid
wissender Journalist ihm die Aeber-
zeugung beigebracht hatte, daß England
noch ein paar Jahre lang einen stram-
men Krieg führen werde, um Deutsch-
land und Italien gänzlich niederzu-
schlagen, da hatte er nachgegeben und
dann in sehr anständiger Weise das
Leim für das junge Paar eingerichtet.
Kriegsdienst würde der Schwiegersohn
ja nicht zu leisten brauchen; er war bei
der Zeitung wichtiger, und mit der
Feder vollbrachte er bessere Dienste,
als er es mit dem Gewehr hätte tun
können.
Sidney Inkman wurde wieder mun-
terer, als er sich etwas erfrischt und
umgezogen hatte, um noch einen Abend-
besuch bei der Braut zu machen. Aber
da mußte er selbst einen Besuch emp-
fangen: der alte Woolsord kam an,
eilig und anscheinend etwas abgehetzt.
„Ja, ich habe gepackt/ erklärte er. „Ich
fahre morgen mit Kitty nach Schott-
land. Die Lochzeit wird aufgeschoben."
„Der Alte ist verrückt gewordenI"
dachte Sidney. Aber er nahm sich zu-
sammen. „Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein, Daddy!" sagte er, zum ersten
Mal diese vertrauliche Anrede gebrau-
chend. „Was ist denn vorgefallen?"
Der alte Woolsord ließ sich erschöpft
in einen Sessel fallen. „Noch ist nichts
vorgefallen. Aber es kann was Vor-
fällen, es wird sogar wahrscheinlich
was vorfallen."
„Aber was denn, Daddy?"
Der alte Woolsord winkte ab. „Mit
,Daddy' ist noch nichts; von der Loch-
zeit kann jetzt gar keine Rede sein. Ich
verkrieche mich mit Kitty im äußersten
Winkel Schottlands. Wenn man Geld dazu hat, ist das jetzt das
Vernünftigste, was man tun kann. Meine Nachbarn machen das
auch — Ienkins und Perkins und Stepkins. Wir haben uns das
heute zusammen überlegt: nach der blödsinnigen Katastrophe in Frank-
reich werden die Deutschen am Ende bald nach London kommen."
„Ganz ausgeschlossen ist das nicht,"
sagte Sidney Inkman, denn diese
Worte waren ja nicht für seine Zeitung
bestimmt. „Aber trotzdem kann ja doch
geheiratet werden."
„Ja, wollen Sie denn nach der Loch-
zeit mit uns reisen?"
„Das wäre eine schöne Lochzeitsreise,
aber es geht leider nicht; ich muß jetzt
bei meiner Zeitung bleiben."
„So! And dann kommen Sie hier
jämmerlich um, und Kitty sitzt als junge
Witwe da."
Sidney lachte. „Aber Daddy —
warum sollte ich denn umkommen?"
„Die Deutschen werden Sie er-
schießen, totschlagen, abmurksen."
„Ist ja Ansinn! Die Deutschen wer-
den mir nichts tun, wenn ich mich ruhig
verhalte."
Der alte Woolsord horchte auf.
„Das sagen Sie, ausgerechnet Sie?
Aber Mann, haben Sie denn ganz die
Greuelherrschaft der Deutschen in Polen
vergessen? Zu Lunderten haben sie
harmlose Bürger erschossen, Schand-
taten an Frauen und Mädchen verübt,
kleine Kinder aufgespießt. Das haben Sie
ja alles beschrieben, in sieben Artikeln."
Sidney zuckte die Achseln. „Run ja,
das brauchte die Zeitung. Das mußte
eben erfunden werden."
„And die Greuel in Norwegen? And
in Belgien? And in Frankreich? Da
haben Sie zusammen vierzehn Berichte
gebracht, mit erschütternden Einzelheiten.
Wenn ich nicht eine Glatze hätte, dann
hätte ich keinen Lut aufsetzen können,
so hätten mir die Laare zu Berge ge-
standen." — „Alles erfunden!" Sidney
warf sich in die Brust. „Liber glänzend
erfunden, nicht wahr?"
„Gemein geschwindelt!" schrie der alte
Woolsord und sprang auf. „And ich
alter Esel habe das alles aufs Wort
geglaubt. And Ienkins und Perkins
und Stepkins haben es auch geglaubt
— schon, weil es ja mein zukünftiger
Schwiegersohn geschrieben hatte. Wie
stehe ich jetzt vor denen da? And so
einem infamen Lügner, der sich die
dreckigsten Schwindelgeschichten aus-
denkt, sollte ich meine Tochter geben?
Sie würden das arme Ding ja von An-
fang an belügen und betrügen. Es ist
aus, Mister Inkman! Ich kenne Sie
nicht mehr!"
Damit ging der alte Woolsord ab.
Aber in der Tür drehte er sich noch
einmal um und schrie: „And morgen
räumen Sie hier das Laus, Sie Lügen-
bold! Sonst lasse ich Sie durch die
Polizei hinaussetzen." —on.
Angel muß zur Zeit eine peinliche Angelegenheit betreiben.
Scheffler erzählt ihm: „Pocke quatscht so viel über Ihren Schei-
dungsprozeß."
„Natürlich! Der Kerl muß ja seine Nase in jeden Dreck stecken."
Der indische Elefant — bei sich zu Haus
Das machte aus ihm — die englische Maus
Laß dir nur Zeit — bald bricht er aus
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Reichlich müde hatte Sidney Inkman
das Zeitungsviertel in der Londoner
Fleetstreet verlassen. Er hatte tüchtige
Arbeit geleistet; einen glänzenden Ar-
tikel hatte er geschrieben über den
schändlichen Verrat, den Frankreich mit
dem Waffenstillstand am hochherzig
vertrauenden Großbritannien begangen
hatte, und er hatte dabei alles ver-
braucht, was er an Schmähungen und
Beleidigungen im Kopfe hatte. Jetzt
kam er in das so hübsch eingerichtete
kleine Laus in dem sreundlichen Vor-
ort Strawberry Lill, in dem er seit
einer Woche hauste — noch als Jung-
geselle, der aber übermorgen die Braut
heimführen sollte, die I9jährige Kitty
Woolsord. Seit einem Jahre waren
sie verlobt, aber der alte Woolsord
hatte von der Lochzeit vor Kriegsende
nichts wissen wollen; erst nachdem der
zukünftige Schwiegersohn als Bescheid
wissender Journalist ihm die Aeber-
zeugung beigebracht hatte, daß England
noch ein paar Jahre lang einen stram-
men Krieg führen werde, um Deutsch-
land und Italien gänzlich niederzu-
schlagen, da hatte er nachgegeben und
dann in sehr anständiger Weise das
Leim für das junge Paar eingerichtet.
Kriegsdienst würde der Schwiegersohn
ja nicht zu leisten brauchen; er war bei
der Zeitung wichtiger, und mit der
Feder vollbrachte er bessere Dienste,
als er es mit dem Gewehr hätte tun
können.
Sidney Inkman wurde wieder mun-
terer, als er sich etwas erfrischt und
umgezogen hatte, um noch einen Abend-
besuch bei der Braut zu machen. Aber
da mußte er selbst einen Besuch emp-
fangen: der alte Woolsord kam an,
eilig und anscheinend etwas abgehetzt.
„Ja, ich habe gepackt/ erklärte er. „Ich
fahre morgen mit Kitty nach Schott-
land. Die Lochzeit wird aufgeschoben."
„Der Alte ist verrückt gewordenI"
dachte Sidney. Aber er nahm sich zu-
sammen. „Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein, Daddy!" sagte er, zum ersten
Mal diese vertrauliche Anrede gebrau-
chend. „Was ist denn vorgefallen?"
Der alte Woolsord ließ sich erschöpft
in einen Sessel fallen. „Noch ist nichts
vorgefallen. Aber es kann was Vor-
fällen, es wird sogar wahrscheinlich
was vorfallen."
„Aber was denn, Daddy?"
Der alte Woolsord winkte ab. „Mit
,Daddy' ist noch nichts; von der Loch-
zeit kann jetzt gar keine Rede sein. Ich
verkrieche mich mit Kitty im äußersten
Winkel Schottlands. Wenn man Geld dazu hat, ist das jetzt das
Vernünftigste, was man tun kann. Meine Nachbarn machen das
auch — Ienkins und Perkins und Stepkins. Wir haben uns das
heute zusammen überlegt: nach der blödsinnigen Katastrophe in Frank-
reich werden die Deutschen am Ende bald nach London kommen."
„Ganz ausgeschlossen ist das nicht,"
sagte Sidney Inkman, denn diese
Worte waren ja nicht für seine Zeitung
bestimmt. „Aber trotzdem kann ja doch
geheiratet werden."
„Ja, wollen Sie denn nach der Loch-
zeit mit uns reisen?"
„Das wäre eine schöne Lochzeitsreise,
aber es geht leider nicht; ich muß jetzt
bei meiner Zeitung bleiben."
„So! And dann kommen Sie hier
jämmerlich um, und Kitty sitzt als junge
Witwe da."
Sidney lachte. „Aber Daddy —
warum sollte ich denn umkommen?"
„Die Deutschen werden Sie er-
schießen, totschlagen, abmurksen."
„Ist ja Ansinn! Die Deutschen wer-
den mir nichts tun, wenn ich mich ruhig
verhalte."
Der alte Woolsord horchte auf.
„Das sagen Sie, ausgerechnet Sie?
Aber Mann, haben Sie denn ganz die
Greuelherrschaft der Deutschen in Polen
vergessen? Zu Lunderten haben sie
harmlose Bürger erschossen, Schand-
taten an Frauen und Mädchen verübt,
kleine Kinder aufgespießt. Das haben Sie
ja alles beschrieben, in sieben Artikeln."
Sidney zuckte die Achseln. „Run ja,
das brauchte die Zeitung. Das mußte
eben erfunden werden."
„And die Greuel in Norwegen? And
in Belgien? And in Frankreich? Da
haben Sie zusammen vierzehn Berichte
gebracht, mit erschütternden Einzelheiten.
Wenn ich nicht eine Glatze hätte, dann
hätte ich keinen Lut aufsetzen können,
so hätten mir die Laare zu Berge ge-
standen." — „Alles erfunden!" Sidney
warf sich in die Brust. „Liber glänzend
erfunden, nicht wahr?"
„Gemein geschwindelt!" schrie der alte
Woolsord und sprang auf. „And ich
alter Esel habe das alles aufs Wort
geglaubt. And Ienkins und Perkins
und Stepkins haben es auch geglaubt
— schon, weil es ja mein zukünftiger
Schwiegersohn geschrieben hatte. Wie
stehe ich jetzt vor denen da? And so
einem infamen Lügner, der sich die
dreckigsten Schwindelgeschichten aus-
denkt, sollte ich meine Tochter geben?
Sie würden das arme Ding ja von An-
fang an belügen und betrügen. Es ist
aus, Mister Inkman! Ich kenne Sie
nicht mehr!"
Damit ging der alte Woolsord ab.
Aber in der Tür drehte er sich noch
einmal um und schrie: „And morgen
räumen Sie hier das Laus, Sie Lügen-
bold! Sonst lasse ich Sie durch die
Polizei hinaussetzen." —on.
Angel muß zur Zeit eine peinliche Angelegenheit betreiben.
Scheffler erzählt ihm: „Pocke quatscht so viel über Ihren Schei-
dungsprozeß."
„Natürlich! Der Kerl muß ja seine Nase in jeden Dreck stecken."
Der indische Elefant — bei sich zu Haus
Das machte aus ihm — die englische Maus
Laß dir nur Zeit — bald bricht er aus
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der indische Elefant - bei sich zu Haus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4956, S. 44
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg