Fliegende Blätter (194.1941 (Nr. 4979-5004) = 97. Jahrg.)

Versuchungen

Von Ralph tlrban

Lerr Jansen saß im Autobus und las im Mittagsblatt seines
Nachbarn. Er war gerade in einen interessanten Artikel vertieft, als
der Lerr zu seinem Leidwesen die Zeitung zusammenfaltete, aufstand
und sich dem Ausgang zu bewegte. „Rücksichtslosigkeit!" murmelte
Jansen und machte es sich bequemer, indem er etwas mehr auf den
eben freigewordenen Platz hinüberrutschte. Dabei kam seine Land
auf einen Gegenstand zu liegen, der sich glatt und ledrig anfühlte.

Zweifellos eine Brieftasche, die dem Nachbarn, der soeben ausge-
stiegen war, aus dem Losensack geglitten sein mußte. Lerr Jansen
bekam Lerzklopfen und sicherte den Fund zunächst, indem er sich drauf-
setzte. Dann blickte er links und rechts, nickte seelisch, griff nach hin-
ten, als wollte er seinen Mantel zurechtrichten, und ließ den Fund
geschickt in seine rückwärtige Losentasche verschwinden. Woraus er
sich bemühte, ein harmloses Gesicht zu machen. Warum auch nicht?

Natürlich würde er den Fund ab-

Das Scheckheft

Kitty hat ihr Scheckheft ver-
loren. — Kitty nahm den Verlust
nicht schwer.

„Viel geschehen kann nicht,"
sagte sie fröhlich, „gottseidank habe
ich alle Schecks vorher unterschrie-
ben — so kann sie wenigstens
jetzt kein anderer gebrauchen."

„26as sagen Sie dazu? Unser
Lausmädchen heiratet demnächst.
Und zwar einen Gerichtsvoll-
zieher!" — „Ach? Lat sie ihn bei
Ihnen kennengelernt?"

Die Bestie

Im Glashause haben sie einen
Urwald aufgebaut - für den Film:
„Der Mann, den die Wildnis ver-
schlang." Es ist ein ausgezeichneter,
ein sozusagen erstklassiger Urwald,
mit dem sogar Klaus Klaumeyer
zufrieden ist, der rücksichtslose und
so grobe Regisseur.

„Fabelhafte Sache!" meint
Guido Stutz,der den jungen Mann
mit der nie fehlenden Büchse spielt,
zu Dina Mita, die die suchende
Gattin des von der Wildnis ver-
schlungenen Mannes darstellt.
„Ganz fabelhaft! Man glaubt
wirklich, mitten in den Tropen zu
stecken. Jeden Augenblick, meint
man, müßte irgend eine grausame
Bestie hervorstürzen."

„Na, Klaumeyer wird ja wohl
gleich angetobt kommen."

14

Auf Umwegen

„Wie alt ist eigentlich Ihre Zwillingsschwester, Lerr Döderlein?"
„Das darf ich Ihnen leider nicht verraten; aber ich kann Ihnen
sagen, wie alt ich bin."

„3ch möchte mich jetzt aufs Photographieren werfen.

Was meinst du: Filme oder Platten?"

„Filme natürlich! Auf Platten darfst du dich nicht werfen."

„Ihr habt doch da oben am Kanal auch viel Wind, nicht wahr?"
„Ja, aber selten so gute Sicht dabei wie hier."

geben, aber doch nicht gleich dem
Schaffner. Die Polizei war da
die richtige Instanz: wer weiß, ob
der Schaffner nicht in Versuchung
käme — außerdem darf man doch
als redlicher Finder wenigstens
sehen, was drinnen ist. —

An der nächsten Laltestelle
stieg Lerr Jansen aus und ging
etwas rascher als sonst nach Lause.
In seinem Iunggesellenheim an-
gelangt, versperrte er die Tür
zweimal, legte ab, setzte sich an
den Schreibtisch und zog unge-
heuer gespannt den Fund hervor.
Es war eine abgegriffene, ziem-
lich umfangreicheBrieftasche. Der
junge Mann begann, sie mit be-
benden Länden zu untersuche».
Ein paar Notizblätter und andere
Schriftstücke enttäuschten ihn zu-
nächst. Aber dann hielt er den
Atem an, denn das eine der Fächer
war vollgestopft mit Geld und
nochmals Geld. Lundert — hun-
dertfünfzig — zwanzig und aber-
mals zwanzig — Lundertneunzig
Mark zusammen. Lerr Jansen
griff sich mit zwei Fingern in den
Kragen und sagte: „Püh!" Lier-

(Fvrtseyung Sette 15)

*3)er Vetter Benno ist ein
schlechter Pfadfinder. Nun hat er
die Ausflugsgesellschaft ganz ver-
kehrt geführt; weit ab ist man vom
ersehnten Ziel. — Tante Lermine
knurrt: „Mit dir, Benno, könnte
man bloß nach Rom wandern —
da führen alle Wege hin."