Der gute Kopf
Von Alfred Richter
Mister Poung und Mister Tweed saßen
neben einander in einem Londoner Lotel.
Im Luftschutzkeller. And so hatten sie
stundenlang Zeit, sich zu unterhalten. Lm,
wovon reden da wohl zwei Kaufleute,
die zwangsweise von ihren Büros fernge-
halten werden? Vom Busineß reden sie,
wovon denn sonst? Busineß ist doch das
einzige, was sie ihr Leben lang hochge-
halten hat. „Tscha," sagte Mister Poung,
„mein schönes Büro, und nun ist keiner
drin. Das heißt, so wunderbar raffiniert
wie das vorige ist mein jetziges ja nicht
gebaut. Weiß nicht, ob mein Nachfolger
das Kabinett benutzt."
„Geheimkabinett?"
„Tscha, Geheimkabinett. Die Sache ist
vorbei, ich kann es ja nunmehr sagen, und
überhaupt ist es nichts Neues, zudem er-
zählen Sie, selber Chef, es ja keinem An-
gestellten wieder. Also kurz und gut, in
meinem Zimmer stand an der Wand ein
großer, dunkler Schrank. Zeder dackte, es
wären Akten drin. Aber in Wirklichkeit
war der Schrank völlig leer. Er hatte keine
Rückwand. Wo er stand, war in der Zim-
merwand eine Tapetentür. Ich allein hatte
den Schlüssel, ich allein wußte von ihr.
Die Tapetentür führte in ein kleines Ka-
binett. Es hat mir viel genützt, das Ka-
binett."
„Verstehe. Geheimtresors."
„Aeh — keineswegs! Ganz etwas an-
deres. Neben dem Kabinett, das keiner
ahnte, war der Erholungsraum meiner
Buchhalter gelegen. Dort verbrachten sie
ihre Mittagspausen. And die Wand zum
Kabinett war dünn. Man brauchte nur
hinter ihr zu stehen, dann hörte man jedes
Wort, das drüben gesprochen wurde. And,
so ganz unter sich, machten die Leeren
Clerks aus ihren Lerzen ja keine Mörder-
grube."
„Guter Gedanke," lobte Mister Tweed
völlig einverstanden, „war gewiß äußerst
aufschlußreich. Kann ich mir denken."
146
„Alles können Sie sich nicht denken. Pas-
sen Sie auf: Eines Mittags, wie ich wieder
da so stehe, erzählt nebenan eine tiefe
Stimme folgende Geschichte: „Also, so war
das gestern abend, Boys. Ich komme aus
dem Klub und besitze keinen Penny mehr.
Alles verpokert. Aber irgendwie muß ich
doch heimgelangen, verdammt! And was
für ein weiter Weg! Boys, ratet, was tut
man da?" So fragte Mister Browne, denn
ihm gehörte die Stimme. And die Boys
rieten nun hin und her, proponierten dies
und schlugen jenes vor, aber ich muß sagen,
das meiste war dummes Zeug. Pappköpfe
hatte ich da als Clerks sitzen, Menschen
ohne Einfälle, korrekt laufende Maschinen,
besseres nicht, und ich war ganz glücklich,
als ich nun vernahm, wie dieser Browne
es selber in Wirklichkeit gemacht hatte."
„Ein guter Kopf also durch das Kabinett
entdeckt."
„Lören Sie zu! Browne fuhr fort:
„Boys, ich für meinen Teil, ich machte es
so, ich warf mich in die nächste Droschke,
gab das Ziel an, und wir ratterten los.
And aus einmal wird es prickelnd. Wie
wir vor meiner Laustür ankommen, falle
ich im Wagen auf alle Viere, denn jetzt
war der Moment da, und suche wie be-
sessen, suche herum, fluche und schimpfe und
leuchte mit der Taschenlampe in jede Ritze.
Der Chauffeur reißt den Schlag auf:
„Laben Sie was verloren, Lerr?" —
„Jawohl," knirsche ich und schaue ihn wie
ein Mörder an, „in Ihrer Schaukelwanne
einen Lundertpfundschein!" Er glotzt mich
an. Einen, der einen Lundertpfundschein
verliert, hatte er noch nie gefahren. Er
sucht eifrig mit. Plötzlich schlage ich mir
vor den Kopf und sage: „Blödsinn! Wir
brauchen vor allem eine stärkere Lampe!
Warten Sie zwei Minuten! Ich hole eine
aus meiner Wohnung! Bin gleich wieder
da!" And sause los. „Sie warten doch?"
rufe ich noch einmal zurück. — „Ich warte,"
kollert er ganz heiser und sitzt bereits am
Steuer, und kaum habe ich die Laustür
hinter mir zugezogen, da haut der Ochse
im Karacho ab, irgendwohin, wo er in
Ruhe den Lundertpfundschein suchen kann.
Von Alfred Richter
Mister Poung und Mister Tweed saßen
neben einander in einem Londoner Lotel.
Im Luftschutzkeller. And so hatten sie
stundenlang Zeit, sich zu unterhalten. Lm,
wovon reden da wohl zwei Kaufleute,
die zwangsweise von ihren Büros fernge-
halten werden? Vom Busineß reden sie,
wovon denn sonst? Busineß ist doch das
einzige, was sie ihr Leben lang hochge-
halten hat. „Tscha," sagte Mister Poung,
„mein schönes Büro, und nun ist keiner
drin. Das heißt, so wunderbar raffiniert
wie das vorige ist mein jetziges ja nicht
gebaut. Weiß nicht, ob mein Nachfolger
das Kabinett benutzt."
„Geheimkabinett?"
„Tscha, Geheimkabinett. Die Sache ist
vorbei, ich kann es ja nunmehr sagen, und
überhaupt ist es nichts Neues, zudem er-
zählen Sie, selber Chef, es ja keinem An-
gestellten wieder. Also kurz und gut, in
meinem Zimmer stand an der Wand ein
großer, dunkler Schrank. Zeder dackte, es
wären Akten drin. Aber in Wirklichkeit
war der Schrank völlig leer. Er hatte keine
Rückwand. Wo er stand, war in der Zim-
merwand eine Tapetentür. Ich allein hatte
den Schlüssel, ich allein wußte von ihr.
Die Tapetentür führte in ein kleines Ka-
binett. Es hat mir viel genützt, das Ka-
binett."
„Verstehe. Geheimtresors."
„Aeh — keineswegs! Ganz etwas an-
deres. Neben dem Kabinett, das keiner
ahnte, war der Erholungsraum meiner
Buchhalter gelegen. Dort verbrachten sie
ihre Mittagspausen. And die Wand zum
Kabinett war dünn. Man brauchte nur
hinter ihr zu stehen, dann hörte man jedes
Wort, das drüben gesprochen wurde. And,
so ganz unter sich, machten die Leeren
Clerks aus ihren Lerzen ja keine Mörder-
grube."
„Guter Gedanke," lobte Mister Tweed
völlig einverstanden, „war gewiß äußerst
aufschlußreich. Kann ich mir denken."
146
„Alles können Sie sich nicht denken. Pas-
sen Sie auf: Eines Mittags, wie ich wieder
da so stehe, erzählt nebenan eine tiefe
Stimme folgende Geschichte: „Also, so war
das gestern abend, Boys. Ich komme aus
dem Klub und besitze keinen Penny mehr.
Alles verpokert. Aber irgendwie muß ich
doch heimgelangen, verdammt! And was
für ein weiter Weg! Boys, ratet, was tut
man da?" So fragte Mister Browne, denn
ihm gehörte die Stimme. And die Boys
rieten nun hin und her, proponierten dies
und schlugen jenes vor, aber ich muß sagen,
das meiste war dummes Zeug. Pappköpfe
hatte ich da als Clerks sitzen, Menschen
ohne Einfälle, korrekt laufende Maschinen,
besseres nicht, und ich war ganz glücklich,
als ich nun vernahm, wie dieser Browne
es selber in Wirklichkeit gemacht hatte."
„Ein guter Kopf also durch das Kabinett
entdeckt."
„Lören Sie zu! Browne fuhr fort:
„Boys, ich für meinen Teil, ich machte es
so, ich warf mich in die nächste Droschke,
gab das Ziel an, und wir ratterten los.
And aus einmal wird es prickelnd. Wie
wir vor meiner Laustür ankommen, falle
ich im Wagen auf alle Viere, denn jetzt
war der Moment da, und suche wie be-
sessen, suche herum, fluche und schimpfe und
leuchte mit der Taschenlampe in jede Ritze.
Der Chauffeur reißt den Schlag auf:
„Laben Sie was verloren, Lerr?" —
„Jawohl," knirsche ich und schaue ihn wie
ein Mörder an, „in Ihrer Schaukelwanne
einen Lundertpfundschein!" Er glotzt mich
an. Einen, der einen Lundertpfundschein
verliert, hatte er noch nie gefahren. Er
sucht eifrig mit. Plötzlich schlage ich mir
vor den Kopf und sage: „Blödsinn! Wir
brauchen vor allem eine stärkere Lampe!
Warten Sie zwei Minuten! Ich hole eine
aus meiner Wohnung! Bin gleich wieder
da!" And sause los. „Sie warten doch?"
rufe ich noch einmal zurück. — „Ich warte,"
kollert er ganz heiser und sitzt bereits am
Steuer, und kaum habe ich die Laustür
hinter mir zugezogen, da haut der Ochse
im Karacho ab, irgendwohin, wo er in
Ruhe den Lundertpfundschein suchen kann.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Des Morgens auf Vieren..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 194.1941, Nr. 4991, S. 146
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg