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Das schwere Rätsel

Von Peter Robinson

Das Dorf Surenhagen an der Ostsee ist im Sommer ein gut be-
suchter Badeort mit drei Lotels und vier Fremdenheimen. Vom
Lerbst an bis zum Ende des Frühjahrs, wenn die Lotels und die
Fremdenheime geschlossen sind, ist es nur Dorf, und das ist auch
der Lauptzweck seiner Existenz, obschon manche Badegäste geneigt
sind, in der Eigenschaft als Badeort die Lauptsache zu sehen. Aber
solche Sommergäste glauben ja überhaupt, alles sei nur für sie da.

Zum Beispiel auch Johann Baut, der Kuhhirt, der aber nur
„Jehann" gerufen wird. Frühmorgens wandert er durch das Dorf
mit einem Kuhhorn, aus dem er vor jedem Gehöft einige seltsame
Töne hinauspustet, worauf dann zwei oder drei Kühe, die wohl
schon darauf gewartet haben, ganz selbständig den Stall verlassen
und sich zu ihm gesellen, bis er schließlich mit einer ganzen Schar
von Kühen hinter sich zum Orte hinauszieht, wie der Rattenfänger
von Lameln mit Ratten und im Ausnahmefall auch mit Kindern.
Im Winter macht sich Jehann mit der Anfertigung von Lolzschuhen
und kleinen Stellmacherarbeiten nützlich und schlägt sich so ganz
gut durch.

Im Sommer aber hat Iehann noch einen Nebenerwerb, indem
er die Badegäste belustigt, weshalb eben
manche annehmen, er sei hauptsächlich für
sie da. Wenn man ihm nämlich einen
Groschen gibt, tutet er eine halbe Minute
lang auf seinem Kuhhorn. Er bringt wilde,
keiner Ordnung unterworfene Töne hervor,
aber er macht dazu ein verzücktes Gesicht,
als handele es sich um eine musikalische
Offenbarung, und dieser Kontrast zwischen
dem Gedudel und Jehanns Gesicht bildet
eben die Belustigung. Die Badegäste glau-
ben, Iehann für einen Tölpel halten zu
dürfen. Es ist aber anzunehmen, daß er
sich ganz bewußt zu der belustigenden Pro-
duktion hergibt, denn wenn er in der Laupt-
saison an einem Tage zwanzigmal gedübelt
hat, dann hat ihm das ja ganze zwei Mark
eingebracht. Wahrscheinlich hält er die
Badegäste für die Dummen. Aebrigens
versteht er es gut, sich ihnen anzupassen;
wenn einer sein Platt nicht versteht, spricht
er ein ganz feines Lochdeutsch.

Einige Badegäste nennen Iehanns Kuh-
horn ironisch eine Schalmei, was aber andere
entrüstet ablehnen, denn eine Schalmei sei
doch etwas Poetisches. In diesem Jahr
hat der Konsul Cornelius, der seit vier
Wochen mit seiner munteren Tochter Ella
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im „Lotel Dünenschloß" wohnt, die Bezeichnung „Alphorn" ausge-
bracht. Er hockt abends gerade so lange auf wie in der Stadt und
möchte deshalb auch ebenso weit in den Morgen hinein schlafen.
Nun muß er sich beklagen, daß er durch Jehanns die Kühe lockendes
Tuten zu früh geweckt werde, und zitiert dann beim Frühstück aus
dem traurigen Liede vom desertierten, aber wieder eingefangenen
Schweizer die Verse: „Der Knabe, der das Alphorn blies — der
trägt die Schuld daran."

Wer sich mit Iehann mehr einläßt, der bekommt auch kleine Dorf-
geschichten von ihm erzählt. Am liebsten aber gibt er, meist in seinem
heimatlichen Platt, allerlei Rätsel auf und freut sich dann, wenn
man sie nicht lösen kann. Die Lösung aber würde er nicht um hohen
Preis verraten. Vielleicht will er sich damit eine Genugtuung ver-
schaffen und seine geistige Aeberlegenheit beweisen.

Leute nun hat der Konsul Cornelius von Iehann ein Rätsel auf-
bekommen, über das er sich den Kopf zerbrechen muß. Bei der Mit-
tagstafel erzählt er davon. „Der Kerl, der Iehann mit dem Alp-
horn, hat mir vorhin ein ganz niederträchtiges Rätsel aufgegeben.
Ich krieg's wirklich nicht heraus. Vielleicht kann's einer von Ihnen
raten, meine Lerrschaften. Passen Sie auf:
Vaer Bröder gripe sich.

Sei gripe sich im Läden nich.

Also: Vier Brüder greifen sich oder wollen
sich greifen, aber sie kriegen einander doch
nie. Was kann das sein? Das soll nun
ein Mensch herausbekommen I Weiß es
einer von Ihnen?"

Nein, niemand weiß das. Der Studien-
rat Ohlsen erklärt: „Das können wir auch
nicht so leicht herausbringen. Es handelt
sich jedenfalls um ein Kinder- oder Volks-
rätsel, bei dem die Lösung eine belustigende
Aeberraschung bringt, indem sie auf etwas
oft Gesehenes hinwetst. Da hilft Aeber-
legen nicht viel. Ich habe mich auch einmal
von meinem Jungen auslachen lassen müssen,
weil ich die Amkehrung eines bekannten
Kinderrätsels nicht herausbrachte. ,Oben
spitz und unten breit, durch und durch voll
Süßigkeit' — das ist natürlich der Zucker-
hut. Aber: ,Oben breit und unten spitz,

durch und durch voll Sand und Litz'-

daß das Afrika bedeuten sollte, habe ich
nicht herausbekommen. Allerdings —" setzt
er etwas pedantisch hinzu — „stimmt es
auch nicht ganz, denn Afrika hat keines-
wegs durchweg Sand."

„Das kommt auf meinen Schreibtisch, Onkelchen;

da muß ich immer was Blühendes haben."
„And dann schreibst du blühenden Blödsinn,
mein Junge."
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Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Das kommt auf meinen Schreibtisch, Onkelchen..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Frank, Hugo
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5014, S. 146

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