Fliegende Blätter (195.1941 (Nr. 5005-5030) = 97. Jahrg.)

Der Schüttelreimler

Von Alfred Richter

Wie wunderbar ist es, auf einer Alm zu sitzen!

Wir saßen auf einer Alm, wenigstens nannte Frau Wispel es so.
Ich selber meinte im Stillen, es wäre halt, Gott ja! eine Wiese,
etwas hochgelegen, und drunten vor uns — „wie ein Panorama,"
bemerkte Oskar Knoll, unser glatzköpfiger Weggenoffe, der sich uns
ohne Einladung angeschlossen hatte — war neben einem Wäldchen
an der Landstraße ein Gasthofsanwesen gelegen mit Kegelbahn, Teich,
Kuhgeruch, Lundegekläff, Prostrufen und, kurzum, mit „Betrieb".
Es gibt nichts Amüsanteres, als
da nicht mitten mang sein zu müs-
sen, sondern zuschauen zu dürfen,
und aus diesem behaglichen Ge-
fühl heraus deklamierte Lerr
Schnohr, Günther (nicht Günther!)

Schnohr plötzlich einen Schüttel-
reim, den er soeben ausgedacht
hatte:

„Nun, jeder plant den guten Atz,

Jedoch, wer ahnt den guten
Platz?"

And er wies mit dem Daumen
aus einen abseits des großen
Laufens sitzenden und achelnden
dürren Mann und fuhr fort:

„Den selbst der Kritikaster Mohr
Sich längst zu stiller Mast erkor."

Da aber fuhr ihm seine Gattin
erbost dazwischen: „Nun hör' du
bloß auf mit deiner Dichtelei, du!

Bitte, meine Lerren, halten Sie
ihm doch den Mund zu! Es ist
nicht zum Aushalten mit ihm,
wenn er immer seine Dichteritis
kriegt. Dann ist er zu keinem
vernünftigen Gespräch zu ge-
brauchen!" Frau Schnohr mußte
schon viel unter der Dichtkunst
ihres verehrten Gatten gelitten
haben, daß sie sich gleich bei den
ersten Versen wieder so erregte.

Wir aber waren umgekehrt sehr
erstaunt über eine solche Gabe,
spontan Schüttelreime aus den
Aermeln zu schütteln, und wollten
mehr davon hören. „Weiter, Lerr
Schnohr, weiter!" raunten, wink-
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ten, nickten und blinzelten wir ihm von allen Seiten zu. Er nahm es
mit Wonne wahr. Er deutete hinab zum Teich und sprach:

„Am Teiche sitzt ein Angelmann.

Dem sieht man keinen Mangel an."

„Immer vom Essen!" stichelte erbost Frau Schnohr ihren Dichter-
gatten an. Da sagte er: „Oh, bitte sehr, diese Verse hatte ich nur
um deinetwillen gedichtet, denn ich weiß, was du an einer Som-
merfrische liebst. Nun biete ich
ein Paar um meinetwillen. Wie-
derum zeigte er auf den Teich:

„Mamas nach Kind und Kegel
sahn.

Verlobte: Stiller Segelkahn."

Wir vernahmen es und platzten
vor Wonne, Frau Schnohr des-
gleichen vor Wut. Ihr Gatte sah
es, sah beides, hier die Wonne,
dort die Pein und beobachtete
eifrig, was drunten beim Wirts-
haus vor sich ging. Der „Kri-
tikaster Mohr," wie er ihn ge-
tauft hatte, war offensichtlich des
Lärmens der anderen überdrüssig
geworden. Er hatte sich seitab ge-
schlagen und sich in eine Länge-
matte fallen lassen. Das gab Lerrn
Schnohr Veranlassung zu dem
Schüttelreim:

„Der Grausen vor der Menge
hatte.

Vergrub sich in die Längematte."

Aber Kritikaster Mohr hatte
auch in der Längematte keine
Ruhe. Kinder liefen zu ihm hin
und spielten unter seinem Gebein,
das in den Lüsten schwebte. Da
gab er den Kindern einen Be-
fehl oder einen Auftrag. Sie lie-
fen eifrig davon und kehrten bald
mit einem Pott frischen Bieres
wieder. Solange wenigstens war
der Schlaue sie los gewesen. Nun
schlürfte er den Labetrank mit
Ergebung in sich hinein. „Wohl

„Also, der Mantel soll grün gefärbt werden. And wenn ich noch
ein Paar Landschuhe in die Taschen stecke, werden die dann
gleich mitgefärbt?"

„Gewiß doch, nur Eier für Ostern dürfen Sie nicht reinstecken."