„Towarischtsch Englishman, du bist immer noch zu wenig Genosse!"
„Excuss, aber wir suchen nicht Genossen, sondern Bundesgenossen!"
Der hölzerne ,Gedenkstein^ Von J°s-f Robert Karr-r
den Baum
zahl
„Du erinnerst dich nicht?" sagte sie mit trauriger
Stimme. „Lier standen wir vor zwei Zähren und —"
„Nichtig! Wie konnte ich nur vergessen! Verzeih mir,
ich war eben mit meinen Gedanken beim Fußballspiel!
. . . Ja, warte nur! Es waren 135, nein, 143, nein, auch
das nicht, warte, es waren, es waren genau 157 Schritte
nach Süden! And dort steht unser hölzerner Gedenk-
steins"
Ingrid lächelte ein wenig freier, als sie sagte:
„Wollen wir den Baum suchen? Ob es 157 Schritte
waren, weiß ich nicht mehr. Ich behalte keine Zahlen!"
Da begannen die Kirchenglocken aus dem Dorf zu
läuten.
„Welches Glück, Ingrid: Es ist wieder Mittag wie
damals, und ich brauche nur meinem Schatten nachzu-
gehen, nach Süden!"
Lans zählte die Schritte. Ingrid ging daneben. Sie
erreichten den Waldrand, nun noch einige Schritte, und
Lans sagte laut: „157!" Sie standen vor einem Baum,
aber er zeigte keine Spur der vor zwei Jahren einge-
schnitzten Zeichen. Ingrid sagte böse:
„Die Zahl der Schritte stimmt eben nicht! Du hast
dich geirrt! Wahrscheinlich, was sag« ich, ganz bestimmt
hast du mit anderen Mädchen anderswo ähnliche Scherze
getrieben. Nun kommen dir die Zahlen durcheinander!"
Lans fuhr das Mädchen finster an:
„Immer wieder deine Eifersucht! Wirst du nie davon
loskommen?"
„Labe ich nicht allen Grund dazu? Schau dir doch
an! Ja, du bist nach Süden gegangen, aber die Schritt-
Es war vor zwei Jahren gewesen, an einem schönen, sonnigen
Sommertag. Lans und Ingrid, jung und seit kurzem schwer ver-
liebt, hielten auf ihrer ersten glücklichen Wanderung bei einer ein-
samen Eiche Rast. Ein Vogel sang sein Mittagslied, Lans seufzte:
„Jetzt, Ingrid, jetzt bitte ich Sie um den ersten Kuß!"
Ingrid senkte den Kops.
„Nicht hier, Lans! Wenn schon, dann drüben im Wäldchen!"
Aus dem nahen Dorf ertönten vom Kirchturm die Mittagglocken.
Da leuchteten seine Augen auf. Er stand neben der Eiche und
sah seinem Schatten nach, genau nach Süden. And dann schritt er
in dieser Richtung weiter, immer genau seinem Schatten nach. Seine
Schritte waren gleichmäßig. Schon hatte er den Rand des schütteren
Wäldchens erreicht, er ging noch etliche Schritte hinein, bis er vor
einem Baum stehen blieb. Laut rief er: „157!" Ingrid war ihm
kopfschüttelnd gefolgt.
„Was soll das bedeuten?" fragte fie.
„Zuerst der Kuß, Ingrid!"
Da wehrte sie fich nicht. And so beglückte ihn der erste und dann
der zweite Kuß, dem noch andere folgten. Endlich machten sie eine
Kußpause. Lans zog sein Messer aus der Tasche: er schnitt in den
Baum seinen und Ingrids Namen und schnitzle auch ein Lerz
dazu. Dann fand er wie selbstverständlich das Duwort.
„Lier, Ingrid, hier ist der hölzerne ,Gedenkstein^ zur Er-
innerung an unseren ersten Kuß! Genau 157 Schritte südlich
der einsamen Eiche!"
. . . Das war vor zwei Jahren gewesen, und wieder war
es ein herrlicher Sommer geworden, und wieder standen Lans
und Ingrid bei der einsamen Eiche. Manches war in den zwei
Jahren geschehen, Schönes und leider auch Trauriges; denn
Ingrid neigte zur quälendenden Eifersucht. And auch jetzt war
ihr Gesicht nicht heiter; denn Lans hatte sich am Vortag gar
nicht begeistert gezeigt, als Ingrid den Ausflug vorschlug. Er
wäre viel lieber zum Fußball-Match gegangen. Schließlich
willigte er ein.
Bei der Eiche angekommen, fragte Ingrid:
„Erinnerst du dich, Lans?"
„Woran?" fragte er.
„Sie stimmt!" unterbrach sie Lans. „Ich weiß es genau, 157
Schritte! And mit keinem anderen Mädchen habe ich jemals-
Ach, es ist ja umsonst!"
Ingrid, voll Lohn in ihrer blinden Eifersucht:
„Ach, da hat wohl jemand den Baum ausgetauscht!"
Lans erwiderte nichts. So entstand eine fast feindselige Stim-
mung. Lans ging langsam zur Eiche zurück; Ingrid folgte zögernd.
Dann saßen sie neben der Eiche lange, endlos lange, stumm, gedrückt.
And zwischen beiden hätte ein breiter Wagen durchfahren können,
fo weit saßen sie voneinander entfernt.
Lans grübelte. Er verstand nicht, daß er den Baum nicht gesun-
den hatte. Süden blieb doch Süden. Plötzlich sprang er auf und griff
sich an die Stirne. Ja, Süden blieb Süden. Er warf einen Blick auf
die Ahr und nickte. Wortlos faßte er Ingrid an der Land und zerrte
die Widerstrebende neben sich her. Wieder ging er genau in der
Richtung seines Schattens und wieder zählte er, diesmal laut. Bei
der Zahl 157 blieb er stehen und zeigte auf den Baum. And nun
lasen beide die vernarbten Namen ,Lans und Ingrids und sie sahen
das eingeschnitzte Lerz. Lans hörte, wie Ingrid erleichtert aufatmete.
And schon war sie eine andere, sanfte, hingebungsvolle Ingrid. Sie
küßte Lans und sagte leise:
%OOS£ VEUT HU ul.
Gehirn- und Maul-Trust
70
„Excuss, aber wir suchen nicht Genossen, sondern Bundesgenossen!"
Der hölzerne ,Gedenkstein^ Von J°s-f Robert Karr-r
den Baum
zahl
„Du erinnerst dich nicht?" sagte sie mit trauriger
Stimme. „Lier standen wir vor zwei Zähren und —"
„Nichtig! Wie konnte ich nur vergessen! Verzeih mir,
ich war eben mit meinen Gedanken beim Fußballspiel!
. . . Ja, warte nur! Es waren 135, nein, 143, nein, auch
das nicht, warte, es waren, es waren genau 157 Schritte
nach Süden! And dort steht unser hölzerner Gedenk-
steins"
Ingrid lächelte ein wenig freier, als sie sagte:
„Wollen wir den Baum suchen? Ob es 157 Schritte
waren, weiß ich nicht mehr. Ich behalte keine Zahlen!"
Da begannen die Kirchenglocken aus dem Dorf zu
läuten.
„Welches Glück, Ingrid: Es ist wieder Mittag wie
damals, und ich brauche nur meinem Schatten nachzu-
gehen, nach Süden!"
Lans zählte die Schritte. Ingrid ging daneben. Sie
erreichten den Waldrand, nun noch einige Schritte, und
Lans sagte laut: „157!" Sie standen vor einem Baum,
aber er zeigte keine Spur der vor zwei Jahren einge-
schnitzten Zeichen. Ingrid sagte böse:
„Die Zahl der Schritte stimmt eben nicht! Du hast
dich geirrt! Wahrscheinlich, was sag« ich, ganz bestimmt
hast du mit anderen Mädchen anderswo ähnliche Scherze
getrieben. Nun kommen dir die Zahlen durcheinander!"
Lans fuhr das Mädchen finster an:
„Immer wieder deine Eifersucht! Wirst du nie davon
loskommen?"
„Labe ich nicht allen Grund dazu? Schau dir doch
an! Ja, du bist nach Süden gegangen, aber die Schritt-
Es war vor zwei Jahren gewesen, an einem schönen, sonnigen
Sommertag. Lans und Ingrid, jung und seit kurzem schwer ver-
liebt, hielten auf ihrer ersten glücklichen Wanderung bei einer ein-
samen Eiche Rast. Ein Vogel sang sein Mittagslied, Lans seufzte:
„Jetzt, Ingrid, jetzt bitte ich Sie um den ersten Kuß!"
Ingrid senkte den Kops.
„Nicht hier, Lans! Wenn schon, dann drüben im Wäldchen!"
Aus dem nahen Dorf ertönten vom Kirchturm die Mittagglocken.
Da leuchteten seine Augen auf. Er stand neben der Eiche und
sah seinem Schatten nach, genau nach Süden. And dann schritt er
in dieser Richtung weiter, immer genau seinem Schatten nach. Seine
Schritte waren gleichmäßig. Schon hatte er den Rand des schütteren
Wäldchens erreicht, er ging noch etliche Schritte hinein, bis er vor
einem Baum stehen blieb. Laut rief er: „157!" Ingrid war ihm
kopfschüttelnd gefolgt.
„Was soll das bedeuten?" fragte fie.
„Zuerst der Kuß, Ingrid!"
Da wehrte sie fich nicht. And so beglückte ihn der erste und dann
der zweite Kuß, dem noch andere folgten. Endlich machten sie eine
Kußpause. Lans zog sein Messer aus der Tasche: er schnitt in den
Baum seinen und Ingrids Namen und schnitzle auch ein Lerz
dazu. Dann fand er wie selbstverständlich das Duwort.
„Lier, Ingrid, hier ist der hölzerne ,Gedenkstein^ zur Er-
innerung an unseren ersten Kuß! Genau 157 Schritte südlich
der einsamen Eiche!"
. . . Das war vor zwei Jahren gewesen, und wieder war
es ein herrlicher Sommer geworden, und wieder standen Lans
und Ingrid bei der einsamen Eiche. Manches war in den zwei
Jahren geschehen, Schönes und leider auch Trauriges; denn
Ingrid neigte zur quälendenden Eifersucht. And auch jetzt war
ihr Gesicht nicht heiter; denn Lans hatte sich am Vortag gar
nicht begeistert gezeigt, als Ingrid den Ausflug vorschlug. Er
wäre viel lieber zum Fußball-Match gegangen. Schließlich
willigte er ein.
Bei der Eiche angekommen, fragte Ingrid:
„Erinnerst du dich, Lans?"
„Woran?" fragte er.
„Sie stimmt!" unterbrach sie Lans. „Ich weiß es genau, 157
Schritte! And mit keinem anderen Mädchen habe ich jemals-
Ach, es ist ja umsonst!"
Ingrid, voll Lohn in ihrer blinden Eifersucht:
„Ach, da hat wohl jemand den Baum ausgetauscht!"
Lans erwiderte nichts. So entstand eine fast feindselige Stim-
mung. Lans ging langsam zur Eiche zurück; Ingrid folgte zögernd.
Dann saßen sie neben der Eiche lange, endlos lange, stumm, gedrückt.
And zwischen beiden hätte ein breiter Wagen durchfahren können,
fo weit saßen sie voneinander entfernt.
Lans grübelte. Er verstand nicht, daß er den Baum nicht gesun-
den hatte. Süden blieb doch Süden. Plötzlich sprang er auf und griff
sich an die Stirne. Ja, Süden blieb Süden. Er warf einen Blick auf
die Ahr und nickte. Wortlos faßte er Ingrid an der Land und zerrte
die Widerstrebende neben sich her. Wieder ging er genau in der
Richtung seines Schattens und wieder zählte er, diesmal laut. Bei
der Zahl 157 blieb er stehen und zeigte auf den Baum. And nun
lasen beide die vernarbten Namen ,Lans und Ingrids und sie sahen
das eingeschnitzte Lerz. Lans hörte, wie Ingrid erleichtert aufatmete.
And schon war sie eine andere, sanfte, hingebungsvolle Ingrid. Sie
küßte Lans und sagte leise:
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Gehirn- und Maul-Trust
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Towarischtsch Englishman..." "Gehirn- und Maul-Trust"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5035, S. 70
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg