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Wahrsagen

Von Alfred Richter

Auf dem Balkan gibt es Leut', die vieles glauben. Auf dem
Balkan gibt es auch viele Zigeuner.

Ob auch die Zigeuner vieles glauben, sagen sie nicht. Aber sie
sagen wahr! Das kostet nicht viel und macht allen Beteiligten Freude.
Man muß nur die richtige Wahrsagerin fragen, und keine falsche.
Richtige Wahrsagerinnen aber gibt es eigentlich ausschließlich unter
den Zigeunern. Wollen darum viele auch nichts mit ihnen zu tun
haben, wahrsagen laffen sie sich von ihnen doch.

Der Joseph Iokaj war ein Träumer. Die Wirklichkeit sah er nicht.

Träumer sind immer verliebt, wenn nicht in ein Mädchen, dann
in eine Einbildung. Manchmal ist das ganze Mädchen eine Einbil-
dung, und dann ist es besonders schlimm. „Du," sagte der Joseph
Iokaj zu seinem Freund Lasattv, „du, ich glaub', ich laß mir ein-
mal weissagen."

„Tu's halt."

„Ja. Ich tu's auch. Gehst du mit?"

„Ich?" DerLasatty begann zu grin-
sen. „Ich bin doch nicht hier!" sagte er
und rieb sich mit der Faust im Kreise
vor der Stirn. „Wenn ein Mensch nicht
weiß, was er will, und was er soll, dann
läßt er sich weissagen! Ich habe das
nicht nötig, Joseph, denn ich weiß, was
ich will."

„Dann bleib' halt da!"" sagte der
Joseph, zog das Maul schief und schlurfte
ins Zigeunerviertel. Das war dem
Städtchen vorgelagert, eine Art Ghetto,
und das war auch nötig.

Der Joseph brauchte nicht lange zu
suchen, bis er ein Zigeunerweib fand,
das ihm wahrzusagen bereit war. Er
suchte sich eine aus, die besonders phan-
tastisch aussah. Das entsprach seinen
eigenen Träumen. Die alte Lex' führte
ihn geheimnisvoll seitab auf einen kleinen
Anger, auf dem sich zahllose Zigeuner-
kinder tummelten, stützte sich auf ihren
Lexenkrückstock, legte seine geöffnete
Land auf die ihrige und begann, in den
Runen und Linien murmelnd herumzu-
äugen. Der Joseph schloß dabei die
Augen. Er suchte sich dabei in ein prickeln-
des Entrücktsein zu versetzen, und das
gelang ihm auch beinahe. Rur störte es
ihn, daß die Buben und Mädel sich her-
zudrängten und sich um den Vorder-

platz beim Zuschauen stritten, rupften und prügelten. Ja, einige
waren so frech, sich ihm einfach auf die Knie zu schwingen. Er hatte
sich auf ein Stück Gerümpel gesetzt, damit es die wahrsagende zwer-
genkleine Urgroßmutter bequemer hätte. Joseph öffnete die Augen
und schüttelte das zudringliche Gesindel einfach von sich ab, daß sie
zur Erde purzelten. Da jauchzten sie und wurden noch frecher.
Einige kletterten ihm bereits aus den Buckel. Er wollte sie herunter-
fegen, aber „Stillehalten!" heischte die Wahrsagerin, und da hielt er
stille, denn er wollte doch wissen, was in seiner Land geschrieben stand.

Wunderbares stand darin geschrieben. „Du wirst übers Jahr,
wenn der Birnbaum blüht," hauchte die Alte, über Josephs Land
gebeugt, „ein Mädchen sehen — schwarzäugig — groß — schlank —
wie eine Gräfin — sie kommt in einem Wagen gefahren mit lauter
Schimmeln davor — sie hat zwei Diener und einen großen Lund —

am Wagenschlag hat sie ein großes gol-
denes Wappen — ihre Eltern sind sehr
reich." Sie hielt inne und schneuzte sich
mit der Land die Nase. Joseph wartete
ergebungsvoll und hatte längst wieder
die Augen geschloffen. „Weiter," ver-
langte er, heiser vor Spannung.

Die Alte ergriff erneut seine Land.
„Lier liegt zur Rechten ein großes
Bauerngut — viele, viele Pferde und
langgehörnte Stiere — Maisfelder —
Weinberge — Tabaksfelder — sogar ein
großer Wald." So murmelte sie in einem
fort. Wie Musik flutete es in Josephs
buschige große Ohre». Es sah wahr-
haftig nicht danach aus, als ob eine
solche Prinzessin sich mit ihm einlaffen
würde, ausgerechnet mit ihm! Aber er
hatte so Aehnliches geträumt, und war
es nicht sonderbar und wunderbar: Jetzt
bestätigte es ihm tatsächlich die Wahr-
sagerin.

Als sie endlich zu Ende gemurmelt
hatte, schritt Joseph stolz davon. Er
pfiff ein Liedchen vor sich hin und rückte
sich den Lut verwegen auf das Linter-
haupt.

So stieß er just auf seinen Freund
Lasatty. „Du warst bei den Zigeunern!"
sagte der ihm auf den Kops zu. Der
Joseph dachte nicht daran, es abzustrei-
ten. Im Gegenteil! „Ich hatte dir es ja
sogar versprochen!" sagte er großartig

„Ich achte sehr auf meine Gesundheit."

„Nicht nötig. Achten Sie lieber auf Ihre Krankheit/

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ich achte sehr auf meine Gesundheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bauer, Max
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5036, S. 82
 
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