„Früher liefen unsere Gedanken immer in entgegengesetzter Richtung."
„Ja, koniisch! Seit deine Gedanken am Golf von Biscaya und meine am Schwarzen Meer sind, sind wir uns einig."
An der Normaluhr
auch nicht unbekannt, daß die männlichen Partner von Normaluhr-
zusammenkünften grundsätzlich auf ihre Damen warten müssen. Wa-
rum das so ist, weiß niemand, aber daß es so ist, weiß jeder. Es hätte
also nun Edmund Pirzel, als ein folgerichtig denkender Gelehrter,
ruhig eine halbe Stunde nach 17 Ahr zur Normaluhr gehen können
und hätte vermutlich sein Sabinchen noch immer nicht vorgefunden,
aber nein, das tat der wissenschaftliche Lilfsarbeiter nicht. Er machte
sich zwar darauf gefaßt, daß Sabinchen vielleicht erst um 18 Ahr
da sei» würde, er selber aber erschien, mit Blumen bewaffnet und
in seinem besten Anzug, mit frischem Laarschnitt und überhaupt in
jeder Weise in Lochform, Punkt 17 Ahr vor der Normaluhr, warf
einen suchenden Blick umher, war fast befriedigt, daß Sabinchen noch
fehlte, denn dadurch war die Aebereinstimmung seiner Beobachtung
mit der allgemeinen Menschheitsbeobachtung sestgestellt, verglich die
beiden Ähren miteinander, seine Taschenuhr und die Normaluhr, zupfte
seinen Schlips zurecht, roch an den Blumen, klopfte ein Stäubchen
vom Nock, rückte den Klemmer zurecht und tat alles, was andere
nutzlos wartende verliebte junge Männer gleichfalls unter der Nor-
maluhr tun, soweit sie friedlichen Gemütes sind. Die Anfriedlichen
nämlich erbosen sich und benehmen sich dabei natürlich ganz anders
als Edmund Pirzel. — Als es 17 einhalb Ahr schlug, und Sabinchen noch
nicht erschien, machte sich Edmund Pirzel an die flüchtige Beschauung
der Reklamen auf den untern Feldern des Normaluhrgestells.
Am 18 Ahr verglich er noch einmal den Lauf der beiden Ähren,
der tatsächlich um zwei Sekunden differierte, aber hierdurch war
das Fernbleiben von Fräulein Sabine Ohnetraut noch nicht erklärt.
Edmund begann, unruhig zu werden. Es war doch dem guten Kinde
hoffentlich nichts zugestoßen?
Zwei andere junge Männer, die gleich Edmund um 17 Ahr an
der Normaluhr erschienen waren, hatten längst die ihrigen gefunden
und waren mit ihnen enteilt. Am 17 einhalb und um 18 Ahr erschienen
neue Anwärter, ihre Damen traten nach einiger Zeit auf, und die Paare
schwirrten ab. Bloß Edmund Pirzel stand und stand und wartete.
Von 18 einhalb ab lernte er die Reklametexte auswendig.
Am 19 Ahr wurde er von einem Lerrn photographiert, der viel-
leicht von ihm annahm, daß er einen Weltrekord im Warten auf-
100
stellen wollte. Da schwor sich Edmund, nun aber allerhöchstens noch
eine halbe Stunde zu warten. Danach würde er gehe».
Es wurde 19 Ahr 30. Die Ohnetraut war nicht erschienen. Ihr
gewesener Lerr stellte es fest und verließ den Play vor der Nor-
maluhr, um daheim ganz sachlich und korrekt der Angetreuen den
Abschiedsbrief zu schreiben. Aber während er noch mitten im Tex-
tieren war, holte man ihn an das Telephon. Sabine war da. Sie
sprühte wie ein ganzes Festfeuerwerk. Die Anterhaltung der beiden
war unheimlich kurz. Danach saß der wissenschaftliche Lilfsarbeiter
Edmund Pirzel mit einem maßlos verdutzten Gesicht wieder an
seinem Tisch und zerriß langsam, aber doch nicht hoffnungslos den
Absagebrief. Denn, soviel glaubte er herausgehört zu haben, Sa-
binchen, das liebe Geschöpf, war ihm immer noch ein bißchen gut.
Er hatte ja auch gleich eingestande», was für ein Schaf er war,
was für ein Blödhorn, für ein — auch wissenschaftlich — unzuver-
lässiger Mensch, denn: Es gab in dieser Stadt zwei Normaluhren.
Edmund Pirzel, weltvergessen, wie er vor lauter Wissenschaft war,
hatte nur von der einen gewußt, und so genau er Zeit, Tag und Stunde
auch notiert hatte er hatte an der verkehrten Normaluhr gewartet
Bloß der Buchstabe! Welcher Buchstabe?
Von Josef Robert Larrer
Mir ist etwas Schrecklickes passiert, mir, bei dem sich jeder beschwert,
sobald er etwas liest, was ich mit der Feder oder mit dem Bleistift
schrieb. Es wird behauptet, es sei so schwer lesbar. Auch Paula
behauptet es, obwohl ich gerade ihr Liebesbriefe schreibe. Der Brief,
als Ausdruck der Liebe auf der Portable getippt, ist — wie ich
glaube — kühl, geschäftsmäßig. Das sage ich auch Paula, aber sie
blickt mir hochmütig zu. Es stimmt wortwörtlich: sie blickt mir
hochmütig zu. Paula erwiderte kurz: „Schreibst du mir Briefe mit
der Feder oder mit dem Bleistift, so ist^alles aus! Merk dir das!"
Trotzdem schrieb ich Paula mit dem Bleistift auf herrlichem
Papier. Leute hat Paula erwidert: „Da mich das Gekritzel beleidigt,
gehe ich lieber mit Theodor zur Oper. Ich verzichte auch auf
weitere Briese. Die Bleistiftschrift beleidigt mich!"
„Ja, koniisch! Seit deine Gedanken am Golf von Biscaya und meine am Schwarzen Meer sind, sind wir uns einig."
An der Normaluhr
auch nicht unbekannt, daß die männlichen Partner von Normaluhr-
zusammenkünften grundsätzlich auf ihre Damen warten müssen. Wa-
rum das so ist, weiß niemand, aber daß es so ist, weiß jeder. Es hätte
also nun Edmund Pirzel, als ein folgerichtig denkender Gelehrter,
ruhig eine halbe Stunde nach 17 Ahr zur Normaluhr gehen können
und hätte vermutlich sein Sabinchen noch immer nicht vorgefunden,
aber nein, das tat der wissenschaftliche Lilfsarbeiter nicht. Er machte
sich zwar darauf gefaßt, daß Sabinchen vielleicht erst um 18 Ahr
da sei» würde, er selber aber erschien, mit Blumen bewaffnet und
in seinem besten Anzug, mit frischem Laarschnitt und überhaupt in
jeder Weise in Lochform, Punkt 17 Ahr vor der Normaluhr, warf
einen suchenden Blick umher, war fast befriedigt, daß Sabinchen noch
fehlte, denn dadurch war die Aebereinstimmung seiner Beobachtung
mit der allgemeinen Menschheitsbeobachtung sestgestellt, verglich die
beiden Ähren miteinander, seine Taschenuhr und die Normaluhr, zupfte
seinen Schlips zurecht, roch an den Blumen, klopfte ein Stäubchen
vom Nock, rückte den Klemmer zurecht und tat alles, was andere
nutzlos wartende verliebte junge Männer gleichfalls unter der Nor-
maluhr tun, soweit sie friedlichen Gemütes sind. Die Anfriedlichen
nämlich erbosen sich und benehmen sich dabei natürlich ganz anders
als Edmund Pirzel. — Als es 17 einhalb Ahr schlug, und Sabinchen noch
nicht erschien, machte sich Edmund Pirzel an die flüchtige Beschauung
der Reklamen auf den untern Feldern des Normaluhrgestells.
Am 18 Ahr verglich er noch einmal den Lauf der beiden Ähren,
der tatsächlich um zwei Sekunden differierte, aber hierdurch war
das Fernbleiben von Fräulein Sabine Ohnetraut noch nicht erklärt.
Edmund begann, unruhig zu werden. Es war doch dem guten Kinde
hoffentlich nichts zugestoßen?
Zwei andere junge Männer, die gleich Edmund um 17 Ahr an
der Normaluhr erschienen waren, hatten längst die ihrigen gefunden
und waren mit ihnen enteilt. Am 17 einhalb und um 18 Ahr erschienen
neue Anwärter, ihre Damen traten nach einiger Zeit auf, und die Paare
schwirrten ab. Bloß Edmund Pirzel stand und stand und wartete.
Von 18 einhalb ab lernte er die Reklametexte auswendig.
Am 19 Ahr wurde er von einem Lerrn photographiert, der viel-
leicht von ihm annahm, daß er einen Weltrekord im Warten auf-
100
stellen wollte. Da schwor sich Edmund, nun aber allerhöchstens noch
eine halbe Stunde zu warten. Danach würde er gehe».
Es wurde 19 Ahr 30. Die Ohnetraut war nicht erschienen. Ihr
gewesener Lerr stellte es fest und verließ den Play vor der Nor-
maluhr, um daheim ganz sachlich und korrekt der Angetreuen den
Abschiedsbrief zu schreiben. Aber während er noch mitten im Tex-
tieren war, holte man ihn an das Telephon. Sabine war da. Sie
sprühte wie ein ganzes Festfeuerwerk. Die Anterhaltung der beiden
war unheimlich kurz. Danach saß der wissenschaftliche Lilfsarbeiter
Edmund Pirzel mit einem maßlos verdutzten Gesicht wieder an
seinem Tisch und zerriß langsam, aber doch nicht hoffnungslos den
Absagebrief. Denn, soviel glaubte er herausgehört zu haben, Sa-
binchen, das liebe Geschöpf, war ihm immer noch ein bißchen gut.
Er hatte ja auch gleich eingestande», was für ein Schaf er war,
was für ein Blödhorn, für ein — auch wissenschaftlich — unzuver-
lässiger Mensch, denn: Es gab in dieser Stadt zwei Normaluhren.
Edmund Pirzel, weltvergessen, wie er vor lauter Wissenschaft war,
hatte nur von der einen gewußt, und so genau er Zeit, Tag und Stunde
auch notiert hatte er hatte an der verkehrten Normaluhr gewartet
Bloß der Buchstabe! Welcher Buchstabe?
Von Josef Robert Larrer
Mir ist etwas Schrecklickes passiert, mir, bei dem sich jeder beschwert,
sobald er etwas liest, was ich mit der Feder oder mit dem Bleistift
schrieb. Es wird behauptet, es sei so schwer lesbar. Auch Paula
behauptet es, obwohl ich gerade ihr Liebesbriefe schreibe. Der Brief,
als Ausdruck der Liebe auf der Portable getippt, ist — wie ich
glaube — kühl, geschäftsmäßig. Das sage ich auch Paula, aber sie
blickt mir hochmütig zu. Es stimmt wortwörtlich: sie blickt mir
hochmütig zu. Paula erwiderte kurz: „Schreibst du mir Briefe mit
der Feder oder mit dem Bleistift, so ist^alles aus! Merk dir das!"
Trotzdem schrieb ich Paula mit dem Bleistift auf herrlichem
Papier. Leute hat Paula erwidert: „Da mich das Gekritzel beleidigt,
gehe ich lieber mit Theodor zur Oper. Ich verzichte auch auf
weitere Briese. Die Bleistiftschrift beleidigt mich!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Früher liefen unsere Gedanken immer in entgegengesetzter Richtung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5037, S. 100
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg