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Winstons Sorgenstuhl

„You see, die Marlboroughs sind ein alteingesessenes Geschlecht."

Bloß der Buchstabe? Welcher Buchstabe?

So ist es. Paula haßt mich, Theodor ist glücklich. Der geistlose
Theodor! Schuld ist der Buchstabe! Welcher Buchstabe?

Aber es kommt mehr, das Schreckliche geht weiter. Der Schrift-
leiter des Blattes „Lach täglich!" gibt mir öfter Aufträge. heute kam
wieder brieflicher Auftrag: „...hübsche Humoreske, aber sofort!
Vielleicht über Kleopatra! Ist es möglich? Aber sofort!"

Es ist möglich. Das Geld ist karg, spärlich. Ich schrieb also sofort
die Humoreske. Ich streute gute Witze darüber, auch über Kleopatra.
Ich lachte selbst über das Produkt, das ich verfertigte. Ich schrieb
es mit der Feder, mit violettem Schreibwasser — Setzer, bitte, wirklich
so! —, ich schrieb gut leserlich mit Geduld. Aber — Die .Humoreske
kam zurück. Der Schriftleiter schrieb böse: „...warum mit der Feder?
Welche Kaprice! hat Sie der Storch gezwickt? Vielleicht etwas ver-
rückt? Wer .dichtet' mit der Feder? Lese ich vielleicht so etwas? Ich
lese bloß, was mit der Schreibma—"

Aus! Ich betrachte traurig die Portable, ich setze mich vor sie-
Warum bloß, o Portable, die du groß bist wie die Aepfelkiste-
warum bloß bist du so wichtig? Auch Feder, auch Bleistift vermag
so vieles! Goethe, Schiller, Hebbel — wer schrieb
auf der Portable? Ich aber muß. Du, Portable,
bist wichtiger als der Kopf, als der Geist!

Du bist tot, o Portable, du bist malade,
wie der Pariser sagt. Wie schreibe ich bloß
auf dir? Es ist impossible, wie der Römer
sagt. Warum ist es impossible? Schuld ist bloß
der Buchstabe! Welcher Buchstabe? Wieso ist
mir etwas Schreckliches passiert? Warum muß
ich so viele Fremdwörter, so viele halbe Sätze,
halbe Wörter — ? halt, ich habe die beste Idee!

Ich schreibe lauter halbe Sätze, Bruchstücke...

Gerettet!

Zuerst Paula! Ja, der Brief für Paula
wird fertig, mit Mühe, aber er wird fertig,
halbe Sätze, Bruchstücke, Striche... Ich selbst
verstehe kaum, was ich schrieb. Aber ich schrieb
es auf der Portable, die groß ist wie die
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Zauber der Heimat

Und immer hörst du klar und mild
Der Heimat zauberhaften Klang,
Und deinem Auge wird ihr Bild
Zum Sonnenleuchten wegentlang.

Es gibt dir keine Fremde so
Die Liebe und den Lebensmut.
Die Heimat macht dich immer froh,
Und ihre Hand ist warm und gut.

In ihrem Zauber wandeln sich
Die Schmerzen oft zu einem Glück,
Und ihre Lieder führen dich
Vom fernsten Weg zu ihr zurück.

Franz Cingia.

Kartoffelkiste. Warum also Portable? Der Buchstabe ist schuld!
Der getippte Brief für Paula, die Maid der Zeit, die Feder wie
Bleistift verachtet, geht zur Post.

Paula erwidert sofort: „. . . es ist für dich das Glück, daß du,
auf der Schreibma —... So herzlich schriebst du, so glutvoll! Ich
fühlte sofort das Feuer der Liebe! . . . Sätze zwar bruchstückhast,
aber doch . . . Ich lasse also Theodor, er ist so dumm! Ich komme
zu dir, Geliebter!"

Was die Portable vermag trotz der Bruchstücke, trotz halber
Sätze! Gut, die Liebe ist gerettet, die Sache mit Paula ist wieder
geleimt.

Jetzt ist die Reihe am Schriftleiter des Blattes ,Lach täglich!'
Ich schreibe die Humoreske, wie beim Brief für Paula bruchstück-
haft, halbe Sähe, Fremdwörter, Striche, gequältes Deutsch, rokoko-
haft gezierter Stil, aber auf der Schreibma —, verzeiht, aus der
Portable . . . Gut, der Schriftleiter will es so! Die Humoreske ge-
fällt dem Schriftleiter fabelhaft. Sie wird sofort gedruckt. Der Herr,
die Dame liest vielleicht gerade die Geschichte. Wie heißt sie?
Sie heißt:

„Bloß der Buchstabe! Welcher Buchstabe?"

Wie kam ich zu der Geschichte? Ach, mir ist etwas so Schreck-
liches passiert! Bei der Portable brach der Buchstabe ab, der im
Alphabet so wichtig ist wie beim Haus das Dach, wie bei der Oper
die Baßgeige oder die Harfe. Welcher Buchstabe? Da er auf der
Portable fehlt, ist es mir impossible, daß ich — — Das versteht
jeder. Der Buchstabe fehlt auch bei dieser Geschichte. Deshalb auch
das Imperfektum statt des Perfektums, deshalb die Bruchstücke,
die Fremdwörter, das ,gezierte' Deutsch. Aber ich kam zur Weisheit:
Wichtig, wichtig ist bloß die Portable, für Paula, für Schriftleiter,
vielleicht auch für Schriftsteller. Fehlt der Buchstabe, ist alles aus;
fehlt der Kopf, fehlt die Idee, ist alles gut. Wer merkt das? . . .
Liberi Ich brauchte zu dieser Trauer-Humoreske, die kurz ist, drei
Tage. Wie schreibe ich das Prosaepos — dick wie die drei Muske-
tiere —, das bleibt mir rätselhaft. Dazu brauche ich wohl dreißig
Jahre, da gerade der Buchstabe — ?— fehlt. Aber der Herr, die
Da»e weiß bereits, welcher Buchstabe fehlt. Bestimmt! Lest die
Geschichte wiederum, edle Leser! . . .

Hurra, heute wird die Portable repariert. Der Buchstabe kostet
acht Mark plus zwei Mark. Addiert selbst, o Leser, bis die Portable
repariert ist. Versteht ihr, wie schwer ich dichte, sobald bloß der
Buchstabe — der vor dem O, O wie Otto ■— fehlt. Die Reparatur
ist fertig, gottlob! Die Geschichte ist aus, der Buchstabe „R" ist
wieder da!"

Doch zu teuer

Oskar Lasenfänger erkundigt sich etwas umständlich auf dem
Postamt: „Was kann ich da machen? Ich habe vor 14 Tagen einen
Brief an einen Bekannten in Berlin geschrieben, an den Herrn
Sekretär Oswald Kubasius, Berlin W 30, Goltzstraße 1N7, drei
Treppen links. In dem Brief habe ich ihn um eine kleine Gefällig-
keit ersucht; er sollte für mich mal was im
Berliner Adreßbuch nachsehn. Ich habe gedacht,
in zwei oder drei Tagen hätte ich die Antwort,
Aber nein, der Mann schien das Schreiben
verlernt zu haben. Erst habe ich mich gewun-
dert, dann habe ich mich geärgert, und schließlich
war ich wütend. And da habe ich mich heute
vor Wut hingesetzt und Kubasius einen groben
Brief geschrieben. Es wäre sehr unhöflich von
ihm, mir nicht mal die kleine Gefälligkeit zu
erweisen; das hätte ich nicht von ihm gedacht
— und so weiter. Den Brief habe ich vorhin
am Bahnhof eingesteckt, und jedenfalls wird
er morgen vormittag zugestellt werden. And
nun denken Sie: wie ich nach Lause komme,
liegt da ein Brief von Kubasius mit der ge-
wünschten Auskunft. Der Mann war verreist
gewesen; deshalb hat er nicht früher schreiben
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Winstons Sorgenstuhl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5037, S. 102

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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