„Linker Andromeda liege» Perseus, Cassiopeia und Cepheus!"
„Ach Oskar, du kennst dich auch auf dem Rennplatz aus?"
Eine Gewohnheit seines Berufs
der Antrag angenommen und die Versicherung abgeschlossen ist. —
Nun möchte man doch was verdienen, nicht wahr? Je mehr, desto
besser. Dazu läuft man sich doch die Stiefelsohlen ab, klingelt an
den Türen, belästigt alle möglichen Leute, sucht gute Gelegenheiten
auszuspionieren, etwa bei jung verheirateten Männern, die für Frau
und in Aussicht stehende Kinder mit einer Lebensversicherung sorgen
wollen, und so weiter. Es ist also zu verstehen, daß man sich zwar
freut, wenn man endlsch einen Antrag unterschrieben bekommen hat,
daß dann aber auch oft die sorgenvolle Frage sich einstellt: Was
wird der Vertrauensarzt dazu meinen? Wird der Antrag am Ende
abgelehnt? Wird er angenommen werden, aber nur für den Erlebens-
fall bis zu einem bestimmten Alter? Manche Leute sind sich nicht klar
darüber, ob sie sich nur auf Todesfall versichern wollen oder auf
Erleben. And im letzten Fall: auf welches Jahr dann? Aufs sechzigste,
aufs fünfundsechzigste, aufs siebzigste? Je weiter man das hinaus-
schiebt, desto kleiner können die Prämien werden. Da muß der Agent
den besten Rat geben, damit der Antrag keinen Schwierigkeiten be-
gegnet. Wenn z. B. einer durchaus nur auf Todesfall versichert sein
will, und die beratenden Aerzte der Anstalt nach dem Bericht des
Vertrauensarztes der Meinung sind, der Mann komme nicht weit
über die Sechzig hinaus — nun, dann wird der Antrag abgelehnt.
Wäre er aber von vornherein auf Erlebe» mit dem sechzigsten Jahre
gestellt worden — ja, dann wäre er angenommen worden. Da muß
also vorher gründlich überlegt werden.
„Aber nun stellen Sie sich einmal vor, welche selbstverständliche
Wirkung solche Tätigkeit aus die Dauer haben mußl Wird man
schließlich überhaupt noch einen einzigen Menschen ohne Nebenge-
danken ansehen können? Ganz ausgeschlossen! Bei jedem überlegt
man: Na, bis zu welchemJahre könnte man eine Versicherung mit
ihm eingehen? Ach, das wird zu einer gräßlichen Gewohnheit! In
der Straßenbahn taxiere ich den Schaffner, auf der Post den Be-
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amten am Schalter, im Kino oder Theater alle Leute in meiner
Nähe. Froh bin ich, wenn der Film anfängt, oder der Vorhang
aufgeht. Denn die Darsteller abzuschätzen, dazu fühle ich mich nicht
veranlaßt; bei denen weiß man ja nicht, wie sie von Natur aus-
sehen. Manche müssen ja auch in ihrer Rolle bald sterben.
Nun bitte ich Sie: wie soll man sich bei dieser Gewohnheit eine
Frau suchen? Da gefällt einem ein Mädchen, aber bei genauerer
Aeberlegung sagt man sich: höchstens 55! Nein, darauf kann man
sich nicht einlaffen. Eine andere scheint Aussicht auf mehr als Siebzig
zu habe». Aber dann sieht man sich die Verwandtschaft an: 30 —
35 — 40 — lauter niedrige Zahlen. Immer wieder wird es da Auf-
regungen in der Sippe geben.
Aber einmal, wie erwähnt, war ich tatsächlich verlobt. Ich war
glücklich — himmelhoch jauchzend, wie der Dichter sagt. Aber auch,
wie der Dichter richtig voraussagt, dann auch bald zu Tode betrübt.
Agathe war ein prächtiges Mädchen — mindestens 80! Zwei jüngere
Brüder waren da, Burschen von idealer Strammheit; die Mutter
war eine kerngesunde Frau, alle Onkel und Tanten auch robuste
Menschen, überhaupt eine angenehme Familie, die ich samt und
sonders glatt hätte versichern können. Nur den Vater kannte ich
noch nicht; der war damals gerade auf einer Geschäftsreise in Süd-
amerika; sein Einverständnis mit der Verlobung war aber zu er-
warten. Er sollte auch bald heimkehren.
„Es war ein Sonntag hell und klar" — das Lied wurde damals
viel gesungen. An solch einem Sonntage sollte ich Agathe nebst
Familie in einem viel besuchten Sommerlokal treffen. Ich finde die
Herrschaften und werde mit einem etwas übermäßigen Lächeln be-
grüßt, das mir eigentlich hätte^ auffallen müssen. Ich schreibe es,
damals etwas eingebildet, meinen persönlichen Vorzügen zu und
komme leider nicht auf den Gedanken, daß man wohl eine Aeber-
raschung für mich habe.
Der Garten ist voll von Gästen. Rings um uns sitzen viele Leute.
Sie können sich ja denken, wie ich die anschaue — Zahlen, nichts wie
Zahlen. Am nun meine zukünftige Schwiegermutter zu unterhalten,
macke ich sie auf verschiedene Leute aufmerksam und taxiere mit
meiner gewohnten Sicherheit.
Aber sie will das nicht gelten lassen. „Das können Sie niemals
mit solcher Bestimmtheit behaupten," meint sie.
Ich werde eifrig. „Das kann ich, das muß ich können. Ich irre
mich nie. Sehen Sie mal den schwerfälligen Herrn, der jetzt am
Orchester steht und sich suchend umblickt: 50 wird er sein, aber über
52 wird er es nicht bringen. Eine ganz ungesunde Konstitution. Der
Mann hat jedenfalls zu viel getrunken."
„Wen meinen Sie denn?" fragt meine zukünftige, meine damals
zukünftige Schwiegermutter.
„Den häßlichen Mann da, der sich so matt vorwärts bewegt;
jetzt kommt er gerade auf uns zu. 52, nicht mehr als 52!"
And da — ich denke, meine erhoffte Schwiegermutter rührt der
Schlag, so rot läuft ihr Gesicht an. Aber es war nur vor Wut,
Denn wer war der Mensch, dessen Lebensfaden ich schon die Parze
mit der Schere nahen sah? Agathes Papa — überraschend war er
zurückgekommen, am Tage vorher, und ich sollte ihm ohne mein
Vermuten vorgefübrt werden.
Es gab einen Krach, kann ich Ihnen sagen, einen richtigen Krach.
Agathe muhte mir als folgsame Tochter sofort den Ring zurückgeben,
denn ihre Mutter erklärte, ich dürfte ihr nie wieder vor Augen kommen.
Ich war so zerschmettert, daß mir die nächsten drei Wochen nicht
ein einziger Versicherungsabschluß gelang; beinahe hätte ich meinen
Beruf aufgegeben."
Wobbe seufzt in schmerzlichem Erinnern. Lehnert fragt: „And
hat sich Ihre Voraussage bezüglich jenes Herrn bestätigt?"
„Nee, eben nicht! Ich hakte mich leider —ich will sagen: ich hatte
mich glücklicher Weise doch geirrt. Er sah nur vorübergehend so
schlecht aus; wahrscheinlich war ihm der Aufenthalt in Südamerika
nicht bekommen. Er läuft noch heute munter herum. And Agathe?
möchten Sie wissen. Ja, die hat ein Jahr später einen Baumeister
geheiratet. An den habe ich mich herangemacht, ohne daß die Farmlie
eine Ahnung hatte — haha! — und habe ihn versichert, stramm
versichert."
„Ach Oskar, du kennst dich auch auf dem Rennplatz aus?"
Eine Gewohnheit seines Berufs
der Antrag angenommen und die Versicherung abgeschlossen ist. —
Nun möchte man doch was verdienen, nicht wahr? Je mehr, desto
besser. Dazu läuft man sich doch die Stiefelsohlen ab, klingelt an
den Türen, belästigt alle möglichen Leute, sucht gute Gelegenheiten
auszuspionieren, etwa bei jung verheirateten Männern, die für Frau
und in Aussicht stehende Kinder mit einer Lebensversicherung sorgen
wollen, und so weiter. Es ist also zu verstehen, daß man sich zwar
freut, wenn man endlsch einen Antrag unterschrieben bekommen hat,
daß dann aber auch oft die sorgenvolle Frage sich einstellt: Was
wird der Vertrauensarzt dazu meinen? Wird der Antrag am Ende
abgelehnt? Wird er angenommen werden, aber nur für den Erlebens-
fall bis zu einem bestimmten Alter? Manche Leute sind sich nicht klar
darüber, ob sie sich nur auf Todesfall versichern wollen oder auf
Erleben. And im letzten Fall: auf welches Jahr dann? Aufs sechzigste,
aufs fünfundsechzigste, aufs siebzigste? Je weiter man das hinaus-
schiebt, desto kleiner können die Prämien werden. Da muß der Agent
den besten Rat geben, damit der Antrag keinen Schwierigkeiten be-
gegnet. Wenn z. B. einer durchaus nur auf Todesfall versichert sein
will, und die beratenden Aerzte der Anstalt nach dem Bericht des
Vertrauensarztes der Meinung sind, der Mann komme nicht weit
über die Sechzig hinaus — nun, dann wird der Antrag abgelehnt.
Wäre er aber von vornherein auf Erlebe» mit dem sechzigsten Jahre
gestellt worden — ja, dann wäre er angenommen worden. Da muß
also vorher gründlich überlegt werden.
„Aber nun stellen Sie sich einmal vor, welche selbstverständliche
Wirkung solche Tätigkeit aus die Dauer haben mußl Wird man
schließlich überhaupt noch einen einzigen Menschen ohne Nebenge-
danken ansehen können? Ganz ausgeschlossen! Bei jedem überlegt
man: Na, bis zu welchemJahre könnte man eine Versicherung mit
ihm eingehen? Ach, das wird zu einer gräßlichen Gewohnheit! In
der Straßenbahn taxiere ich den Schaffner, auf der Post den Be-
118
amten am Schalter, im Kino oder Theater alle Leute in meiner
Nähe. Froh bin ich, wenn der Film anfängt, oder der Vorhang
aufgeht. Denn die Darsteller abzuschätzen, dazu fühle ich mich nicht
veranlaßt; bei denen weiß man ja nicht, wie sie von Natur aus-
sehen. Manche müssen ja auch in ihrer Rolle bald sterben.
Nun bitte ich Sie: wie soll man sich bei dieser Gewohnheit eine
Frau suchen? Da gefällt einem ein Mädchen, aber bei genauerer
Aeberlegung sagt man sich: höchstens 55! Nein, darauf kann man
sich nicht einlaffen. Eine andere scheint Aussicht auf mehr als Siebzig
zu habe». Aber dann sieht man sich die Verwandtschaft an: 30 —
35 — 40 — lauter niedrige Zahlen. Immer wieder wird es da Auf-
regungen in der Sippe geben.
Aber einmal, wie erwähnt, war ich tatsächlich verlobt. Ich war
glücklich — himmelhoch jauchzend, wie der Dichter sagt. Aber auch,
wie der Dichter richtig voraussagt, dann auch bald zu Tode betrübt.
Agathe war ein prächtiges Mädchen — mindestens 80! Zwei jüngere
Brüder waren da, Burschen von idealer Strammheit; die Mutter
war eine kerngesunde Frau, alle Onkel und Tanten auch robuste
Menschen, überhaupt eine angenehme Familie, die ich samt und
sonders glatt hätte versichern können. Nur den Vater kannte ich
noch nicht; der war damals gerade auf einer Geschäftsreise in Süd-
amerika; sein Einverständnis mit der Verlobung war aber zu er-
warten. Er sollte auch bald heimkehren.
„Es war ein Sonntag hell und klar" — das Lied wurde damals
viel gesungen. An solch einem Sonntage sollte ich Agathe nebst
Familie in einem viel besuchten Sommerlokal treffen. Ich finde die
Herrschaften und werde mit einem etwas übermäßigen Lächeln be-
grüßt, das mir eigentlich hätte^ auffallen müssen. Ich schreibe es,
damals etwas eingebildet, meinen persönlichen Vorzügen zu und
komme leider nicht auf den Gedanken, daß man wohl eine Aeber-
raschung für mich habe.
Der Garten ist voll von Gästen. Rings um uns sitzen viele Leute.
Sie können sich ja denken, wie ich die anschaue — Zahlen, nichts wie
Zahlen. Am nun meine zukünftige Schwiegermutter zu unterhalten,
macke ich sie auf verschiedene Leute aufmerksam und taxiere mit
meiner gewohnten Sicherheit.
Aber sie will das nicht gelten lassen. „Das können Sie niemals
mit solcher Bestimmtheit behaupten," meint sie.
Ich werde eifrig. „Das kann ich, das muß ich können. Ich irre
mich nie. Sehen Sie mal den schwerfälligen Herrn, der jetzt am
Orchester steht und sich suchend umblickt: 50 wird er sein, aber über
52 wird er es nicht bringen. Eine ganz ungesunde Konstitution. Der
Mann hat jedenfalls zu viel getrunken."
„Wen meinen Sie denn?" fragt meine zukünftige, meine damals
zukünftige Schwiegermutter.
„Den häßlichen Mann da, der sich so matt vorwärts bewegt;
jetzt kommt er gerade auf uns zu. 52, nicht mehr als 52!"
And da — ich denke, meine erhoffte Schwiegermutter rührt der
Schlag, so rot läuft ihr Gesicht an. Aber es war nur vor Wut,
Denn wer war der Mensch, dessen Lebensfaden ich schon die Parze
mit der Schere nahen sah? Agathes Papa — überraschend war er
zurückgekommen, am Tage vorher, und ich sollte ihm ohne mein
Vermuten vorgefübrt werden.
Es gab einen Krach, kann ich Ihnen sagen, einen richtigen Krach.
Agathe muhte mir als folgsame Tochter sofort den Ring zurückgeben,
denn ihre Mutter erklärte, ich dürfte ihr nie wieder vor Augen kommen.
Ich war so zerschmettert, daß mir die nächsten drei Wochen nicht
ein einziger Versicherungsabschluß gelang; beinahe hätte ich meinen
Beruf aufgegeben."
Wobbe seufzt in schmerzlichem Erinnern. Lehnert fragt: „And
hat sich Ihre Voraussage bezüglich jenes Herrn bestätigt?"
„Nee, eben nicht! Ich hakte mich leider —ich will sagen: ich hatte
mich glücklicher Weise doch geirrt. Er sah nur vorübergehend so
schlecht aus; wahrscheinlich war ihm der Aufenthalt in Südamerika
nicht bekommen. Er läuft noch heute munter herum. And Agathe?
möchten Sie wissen. Ja, die hat ein Jahr später einen Baumeister
geheiratet. An den habe ich mich herangemacht, ohne daß die Farmlie
eine Ahnung hatte — haha! — und habe ihn versichert, stramm
versichert."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hinter Andromeda liegen Perseus, Cassiopeia und Cepheus!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5038, S. 118
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg