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Einmal war sie doch pünktlich
Von Ralph Urban
Beim erstennial kam sie um eine halbe Stunde zu spät, beim
zweitenmal um 40 Minuten. In der Folge betrugen die Verspä-
tungen etwas weniger, blieben aber nie unter einer Viertelstunde.
Obwohl Edith teils länger im Geschäft hätte bleiben müssen, teils
sonstige berücksichtigungswürdige Entschuldigungsgründe anzuführen
wußte, ging diese Unpünktlichkeit Lerrn Leinrich sozusagen gegen
den militärischen Strich. Es war allerdings das einzige, das ihm
an den, Mädchen Edith mißfiel. Sie war schon wie ein Magazinengel,
hatte venusische Beine und Lippen, die nach Küssen zu brüllen schienen.
„Leinrich," so sagte der junge Mann zu sich selbst, „sei ein Kerl,
Leinrich, und haue ab." Er sagte es, weil er am rechten Kleinen-
Zehe-Lühnerauge nach fünfunddreißig Minuten Wartezeit ein Stechen
verspürte, und weil beim energischen Zurückwerfen seines Lauptes
von der im Regen vollgelaufenen Lutkrempe ein Schuß davon in
sein Genick gezischt war. Der trotzdem nicht abhaute, hieß Leinrich.
Er gab erst fünf Minuten zu, dann nochmals fünf, dann drei, dann
zwei usw. Endlich kam sie tatsächlich. Die grimmigen Falten auf des
Mannes Stirn glätteten sich, der drohende Brustton wurde zum
Frühlingshauch ähnlichem Säuseln: „Ach, daß du endlich da bist!
Bekomme ich einen Kuß für das lange Warten?"
„Aber nur einen ganz schnellen," entgegnete der Magazinengel
mit scheuen Seitenblicken.
Das nächste Stelldichein wurde für Sonnabend verabredet.
„Natürlich komme ich auf die Sekunde um fünfzehn Uhr," behaup-
tete Edith. „Wir machen schon um zwölf Schluß, da habe ich Zeit
zum Essen und Umkleiden —"
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Vater, vergiß nicht, es ist streng verboten, Leder hintenherum zu gerben!
Einmal war sie doch pünktlich
Von Ralph Urban
Beim erstennial kam sie um eine halbe Stunde zu spät, beim
zweitenmal um 40 Minuten. In der Folge betrugen die Verspä-
tungen etwas weniger, blieben aber nie unter einer Viertelstunde.
Obwohl Edith teils länger im Geschäft hätte bleiben müssen, teils
sonstige berücksichtigungswürdige Entschuldigungsgründe anzuführen
wußte, ging diese Unpünktlichkeit Lerrn Leinrich sozusagen gegen
den militärischen Strich. Es war allerdings das einzige, das ihm
an den, Mädchen Edith mißfiel. Sie war schon wie ein Magazinengel,
hatte venusische Beine und Lippen, die nach Küssen zu brüllen schienen.
„Leinrich," so sagte der junge Mann zu sich selbst, „sei ein Kerl,
Leinrich, und haue ab." Er sagte es, weil er am rechten Kleinen-
Zehe-Lühnerauge nach fünfunddreißig Minuten Wartezeit ein Stechen
verspürte, und weil beim energischen Zurückwerfen seines Lauptes
von der im Regen vollgelaufenen Lutkrempe ein Schuß davon in
sein Genick gezischt war. Der trotzdem nicht abhaute, hieß Leinrich.
Er gab erst fünf Minuten zu, dann nochmals fünf, dann drei, dann
zwei usw. Endlich kam sie tatsächlich. Die grimmigen Falten auf des
Mannes Stirn glätteten sich, der drohende Brustton wurde zum
Frühlingshauch ähnlichem Säuseln: „Ach, daß du endlich da bist!
Bekomme ich einen Kuß für das lange Warten?"
„Aber nur einen ganz schnellen," entgegnete der Magazinengel
mit scheuen Seitenblicken.
Das nächste Stelldichein wurde für Sonnabend verabredet.
„Natürlich komme ich auf die Sekunde um fünfzehn Uhr," behaup-
tete Edith. „Wir machen schon um zwölf Schluß, da habe ich Zeit
zum Essen und Umkleiden —"
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Vater, vergiß nicht, es ist streng verboten, Leder hintenherum zu gerben!
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vater, vergiß nicht..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)