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Der Götze mit den sieben Schlangen

Von Ralph Urban

„Und das hier ist mein Lochzeitsgeschenk," sagte die alte Tante
Berta zu dem jungen Paar, während sie einen unförmigen Gegen-
stand umständlich aus seiner gründlichen Verpackung schälte. Neugierig
blickten ihr Max und seine ihm eben erst angetraute Frau über die
Schulter, dann verlängerte» sich ihre Gesichter bedeutend. Zum Vor-
schein kam nämlich die häßliche, roh geschnitzte Figur eines Männchens,
um dessen Leib, Arme und Kopf sich sieben Schlangen wanden.

„Mein Großvater hat diesen Buddha einmal aus China mitge-
bracht," fuhr die alte Dame fort. „Er gilt dort als Schutzpatron der
Ehe. Meine Großeltern hielten ihn in Ehren, und ihr Zusammenleben
war auch wirklich außerordentlich glücklich. Auch bei meinen
Eltern gab es nie Streit, weil der Götze im Laus war. Ich erbte
ihn, doch fand ich keine Gelegenheit, ihn zu erproben, da ich allein
geblieben bin. Aber euch, Kinder, soll er Glück bringen, ihr müßt
mir nur versprechen, die Bedingungen zu erfüllen. Räumt dem Götzen
einen Ehrenplatz ein, und wenn euch einmal der Anmut faßt oder
ein böses Wort aus euren Lippen liegt, dann sprecht es nicht gleich
aus, sondern tretet zuerst zu dem Götzen, zündet eines dieser Räucher-
stäbchen an und wartet, bis es ver-
glimmt ist. Fühlt ihr dann noch immer
das Bedürfnis, ein rauhes Wort
auszusprechen oder einen Streit zu
beginnen, dann nur zu. Wollt ihr
mir dies versprechen?"

Der Mann und seine junge Frau
gaben der alten Dame mit heim-
lichem Lächeln die Land darauf, nur
um sie nicht zu kränken. Als aber die
Tante gegangen war, platzten sie los.

„Was ist denn das für ein häß-
licher Vogel!" lachte Mar. „Jeden-
falls ein ebenso sinnreiches wie billiges
Lochzeitsgeschenk!"

„Wenn Tante Berta nicht meine
Erbtante wäre, würde ich das Ange-
tüm gut verpackt auf den Dachboden
stellen," meinte Eveline. „So werde
ich ihm einen Platz auf dem Pfeiler-
schrank einräumen müssen, damit sie
ihn gleich sieht, wenn sie uns besuchen
kommt."

„Stelle ihn hin, wo du magst, Lieb-
ste," sagte Max und zog seine Frau an
sich. „Außerdem ist das alles lächerlich,
wir werden überhaupt nie streiten!"

Am selben Abend gingen sie auf
die Lochzeitsreise. Sie kehrten erst
nach einigen Wochen zurück in ihre
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neue Läuslichkeit. Der Mann ging seinem Beruf nach, die Frau
ihren Lausarbeiten, und die freien Stunden verbrachten sie im trauten
Zusammensein. Dann machte sich der graue Alltag breit, der Mann
hatte geschäftliche Sorgen, die Frau häusliche, man sprach oft an-
einander vorbei, und manchmal war die Stimmung sogar gedrückt.

„Die Suppe ist ja wieder eiskalt," begehrte eines Tages der Mann
auf und warf den Löffel vor sich hin.

„Natürlich, wenn du so spät—" Die Frau sprach die gereizte
Antwort nicht zu Ende, denn plötzlich war ihr etwas eingefallen:
das Versprechen. Sie stand auf, trat vor den Pfeilerschrank, ent-
zündete eines der Räucherstäbchen, die zu Füßen des Götzen mit den
sieben Schlangen lagen, und wartete, bis es verglimmt war. Ein
seltener angenehmer Geruch verbreitete sich durch das Zimmer. Mit
feinem Lächeln kehrte Frau Eveline zum Tisch zurück.

„Ich werde dir die Suppe warm machen, Max," sagte sie ruhig.
„Du hast recht, sie ist kalt. And sei mir nicht böse!"

„Aber das macht ja nichts, Liebling," meinte der Mann etwas
beschämt. „Ich bin wirklich zu spät gekommen, du mußt das von

früher schon verzeihen, ich habe näm-
lich im Büro Aerger gehabt —"
Sie standen noch oft vor dem Götzen
und entzündeten Räucherstäbchen,
Eveline und Max, oder beide zu-
sammen. Den Götzen mit den sieben
Schlangen fanden sie gar nicht mehr
häßlich und hatten ihn ebenso liebge-
wonnen, wie sie auch der alten Tante
Berta im Stillen Abbitte leisteten für
die damalige Verdächtigung, Geiz
hätte sie zu diesem Lochzeiksgeschenk
veranlaßt.— Die Zeit verrann, Kinder
lärmten in dem erst so stillen Leim, es
gab Sorgen, große und kleine, und es
gab natürlich Meinungsverschieden-
heiten. Aber es gab keinen Streit
und keine gegenseitigen Kränkungen.
And wenn einmal das Temperament
durchgehen wollte, dann trat man
eben schon aus Gewohnheit vor den
Götzen, und nach einer Minute sah
die Welt wieder viel freundlicher
aus. Die Ehe von Max und Eve-
line war restlos glücklick. And
es müßte wohl jede Ehe so glücklich
sein, wenn eine lebenserfahrene kluge
Tante dem jungen Pärchen zur Loch-
zeit einen Götzen mit sieben Schlan-
gen schenken würde.

„Last du keinen Sand im Schuh?"
„Doch, aber ich lasse ihn drin für
unseren Kanarienvogel zu Lause."
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Hast du keinen Sand im Schuh?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bauer, Max
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5042, S. 178
 
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