Fliegende Blätter (196.1942 (Nr. 5031-5056) = 98. Jahrg.)

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Andenken

Bo» Alfred Richter

Jeder wollte etwas mitgebracht haben. Vater Lermann schrieb
sich alles gewiffenhaft auf.

Beim Vetter Bernhard war es nicht anders. Seine ganze Bande
hatte Wünsche. Auch er notierte Ding um Ding gewiffenhaft.

Und dann fuhren sie zusammen los, zur Tausendjahrfeier ihrer
gemeinsamen Geburtsstadt. Lerrjeh, was freuten sie sich doch auf
dieses Fest, die beiden redlichen alten Krauler! Seit Jahren bereits
sparten sie Fünfziger um Fünfziger dafür, sie hatten auf manche
Zigarre und auf manches Glas Bier verzichtet, auch auf sonstige
Kleinigkeiten, aber nun war es so weit: sie fuhren!

And es war ihnen dann, als wären sie in ein Märchen versetzt.
Die ganze Feftstadt prangte im Schmuck von Fahnen und Gir-
landen, die Bürger hatten ihre Läufer frisch und recht bunt an-
streichen lassen, die Stadtverwaltung hatte neue, prächtige Anlagen
geschaffen, Straßen waren verbreitert, häßliche, alte Bauwerke be-
seitigt worden, die Stra-
ßenbahn hatte sich ganz
neue Wagen geleistet, we-
nigstens für ihre Laupt-
strecken, das Rathaus hatte
einen wuchtigen Anbau be-
kommen, überhaupt waren
im Laufe der Jahre viele
Veränderungen im Stadt-
bild vorgenommen worden,
und Lermann und Bern-
hard, die fast zwei Jahr-
zehnte lang den Leimat-
boden nicht wieder betre-
ten Hallen, waren bei ihrer
ersten Rundfahrt vor Er-
staunen ganz stumm.

Sie suchten dann ihre
Geburtshäuser auf, gingen
an der alten Schule vor-
über, in der sie das ABC
gelernt hatten, klopften bei
ihren alten Lehrfirmen an
und suchten manchen alten
Kameraden aus der Ju-
gendzeit auf. Aeberall wur-
den sie bewirtet und festge-
halten. Sie kamen aus dem
sorglosen Feiern einfach
nicht heraus.

Sie suchten auch den
Friedhof auf und besuchten
die Gräber ihrer Ellern,
und jeder brach sich ftttt
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ein Zweiglein von den Ledensbäumen ab, die links und rechts von
den angemoosten, alten Gedenksteinen schon längst übermannshoch
emporgewachsen waren. Aus dem alten Lausgarten, den nunmehr
seit vielen Jahren eine ganz fremde Familie bewirtschaftete, nahm
sich Vater Lermann etliche Stecklinge mit von Blumen und Nutz-
pflanzen, die er zu Lause gar nickt oder in minderen Sorten halte.
Ein alter Regimentskamerad, auf den er zufällig auf der Straße
stieß, und der ihn gleich zu einem gewaltigen Dämmerschoppen mit
sich schleppte, der dann zu Lause bei einem guten Abendbrot seinen
familienhaften Abschluß fand, schenkte ihm ein paar seltene Bilder
aus der gemeinsam verlebten Weltkriegszett. Einem Bruder, der in
der Leimatstadt ansässig geblieben war und den Lauptbesitz an fah-
render Labe aus dem Elternhause übernommen hatte, luchste er
gleichfalls etliche Kinderphotos aus jenen Zeiten ab, da der Photo-
graph noch fünf Minuten belichtete und das Photographieren für

alle Beteiligten eine Qual
x-" '—war.

O' .— j Aeberhaupt kam Vater

Lermann plötzlich auf den
Gedanken, Andenken an
dieses einzigartige Ereignis
seines Lebens zu sammeln.
And zumal die offiziellen
Veranstaltungen — ganz
abgesehen von den privaten
Möglichkeiten bei Freun-
den und Bekannten und
an Erinnerungsstätten —
forderten dazu ja auch ge-
radezu heraus. Da gab es
Plaketten,Festprogramme,
Liederbücher, Anstchtskar-
tenserien von dem histo-
rischen Festzug, ein Gedenk-
buch, herausgegeben von
der Stadt, es gab ein Fest-
abzeichen, und viele Fir-
men hatten Erinnerungs-
gaben gestiftet mit Fest-
aufdruck: Taschenkalender,
Brief-und Zigarrentaschen,
ja, sogar Bierseidel mit der
aufgemalken Ansicht des
Rathauses. Lier bekam
man, ahnungslos beim
Biere sitzend, eine Schach-
tel Festzigaretten in die
Land gedrückt, und dort
winkte wieder eine andere

„So, wann i a Frau hält' wie du, Marie, immer fleißig und immer uff'm Feld."
„Des wär gar nex für di. Gottlieb, do tät bei Bauch bloß noch dicker werde!"