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o

Lady"

Von Otto Violan

Dem Reverend I. B. Smith, der weit draußen in Bermondsey
in einer Gemeinde armer Teufel und überdies hartgesottener
Rugbyspieler lebt, warf seine Betätigung kaum soviel ab, um dem
Staate die Steuern schuldig zu bleiben; er mußte notgedrungen nach
einem Nebenerwerb Ausschau halten.

Ein glücklicher Einfall brachte ihn aus den Gedanken, in den zahl-
reichen Londoner Vorstadtbahnhöfen Schokoladeautomaten zu er-
richten. Der Reverend setzte damit allerdings etwas ins Werk, das
seiner amtlichen Auffassung von den Dingen dieser Welt völlig zu-
widerlief: sein Geschäft war eine Spekulation auf die Genußsucht
der kleinen Ladenmädchen, die von den verschiedenen Vororten in
die City fuhren, und auf die Langweile aller derer, die in den späten
Vormittagsstunden auf einen Zug nach London warteten. Der Re-
verend arbeitete also den schlechten Trieben der Menschen in die
Arme. Aber er vertröstete sein Gewissen damit, daß sein Verdienst
— oder doch wenigstens ein Teil seiner Einnahmen aus dem Scho-
koladebetrieb — auch der Kirche in Bermondsey, an der er kleine
Verbesserungen auf eigene Kosten vornehmen ließ, zugute kam.

Die Schokoladetäfelchen, mit denen Smith seine Apparate füllte,
waren weder besonders gut noch ungewöhnlich schlecht. Im allgemeinen
brachte ihm das Anternehmen nur
wenig ein. In Newington und näher
dem Zentrum war es ein halbes
Pfund in der Woche, in Peckham,

Camberwell oder Bayswater er-
löste er oft bloß ein paar Schilling.

Smith befuhr dreimal in der Woche
die Strecke, trug in einer großen
Ledertasche die Kartons mit Kara-
mellen und Schokoladeplätzchen, aus
denen er die Vorräte in den Auto-
maten ergänzte, und brachte in
einem Leinenbeutel die Losung
heim.

Etwa ein halbes Jahr nach der
Eröffnung seines Geschäftes war ihm
zum ersten Male ausgefallen daß
der Apparat in Kilburn bei seder
Revision fast vollständig geleert war.

Smith konnte nicht gut annehmen,
daß sich der Wohlstand gerade in
Kilburn in den letzten Wochen so
wesentlich gehoben habe. Es war ein
Vorort wie alle andern. And doch
wiederholte sich die Erscheinung mit
einer solchen Regelmäßigkeit, daß
sich der Reverend vornahm, der
Sache nachzugehen.

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And so saß er eines Tages, gerade in der Zeit des stärksten Ver-
kehrs, auf einer Bank in Kilburn-Station, nahe bei einem seiner
Apparate, und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Es ereignete sich eigentlich nichts von Bedeutung.

Die Leute stürzten durch die Bahnhofsperre zu ihren Zügen, einige
erreichten sie noch in letzter Sekunde, und andere blieben enttäuscht
zurück. Den Schokoladeautomaten ließen sie jedenfalls unbeachtet,
da sie mit Bekannten plauderten oder ihre Zeitung auf dem Bahnsteig
lasen.

Das einzig Auffällige, das der Reverend feststellen konnte, war,
daß sich, gerade in dieser verkehrsreichen Zeit, ein Lund auf dem
Bahnsteig Herumtrieb, der keinem der Fahrgäste zu gehören schien.
Es war ein kleiner, tiefschwarzer Skotch, dem Smith belustigt zusah,
wie er sich an dem Losenbein eines Passanten die Schnauze rieb.

Der Mann mußte den Lund kennen. Smith sah zumindest, daß
sie, nach dieser Begrüßung, wie zwei langjährige gute Freunde den
Bahnsteig entlang promenierten.

Vor dem Automaten blieben sie stehn.

Der Scotch sah in gespannter Erwartung und mit einer gewissen
nervösen Angeduld zu seinem großen Freunde auf und wedelte ein

bißchen mit dem Schwanz.

Der Fremde lächelte — wie Re-
verend Smith, derseineLeiterkeitauch
nicht zurückdrängen konnte — warf
eine Münze in den Apparat und
beugte sich mit einem Schokolade-
täselchen zu dem kleinen schwarzen
Gefährten herab. - „Please, Lady!"

Der Scotch schluckte dankbar, und
hob, eine Sekunde später, den Blick
abermals zu seinem Gönner.

„Nein, Lady —" erklärte dieser.
And da sich in den Augen des un-
ruhig zappelnden Tieres ein ent-
täuschtes Fragezeichen malte, setzte
er hinzu: „Bekommst du nie genug? —
Morgen gibts wieder ein Plätzchen I"
Der Fremde bestieg seinen Zug,
und Lady sah ihm verstimmt nach.
Rührte sich aber nicht vom Fleck.

Ein Mädchen, nicht viel über
sechzehn, kam atemlos über die Treppe,
und Lady lief ihr bellend entgegen.
Am Fuße der Stiege rollte sich der
Lund zu einem Ballen, und das
Mädchen, das ihn erst im letzten
Augenblick bemerkte, wäre fast über
ihn gestürzt.

»3a, ja, Frau Ranninger, so isch's halt im Lebe:
schlofts Buele, no schreit der Ma, ond schloft der
Ma, no schreits Buele."
Bildbeschreibung

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"Ja, Ja Frau Ranninger, so isch's halt im Lebe..."
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Frank, Hugo
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 196.1942, Nr. 5053, S. 354
 
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