Hans und Franz-und die Stelzen
Kleine Tragikomödie
er wird auch in die Tat umgesetzt. Die erste Station kommt; der
junge Mann steigt ein, begrüßt Käthe und will herzlich mit ihr
plaudern - da klopft ihm der alte Lerr sacht auf die Schulter:
„Einen Augenblick, junger Lerr! Darf ich eine Frage an Sie richten?"
„O bitte — bitte!"
Der alte Lerr fragt leise, aber mit großer Eindringlichkeit:
„Nehmen Sie an. Sie bemerken, daß jemand, der Ihnen fremd ist,
den Sie aber schon öfter gesehen haben und für einen ganz sym-
pathischen Menschen halten, in häßlicher Weise hintergangen, uin
nicht zu sage» betrogen wird-würden Sie sich dann für ver-
pflichtet halten, ihn darüber aufzuklären?"
Der junge Mann wundert sich über diese unvermutete Frage,
aber er meint, bejahend darauf antworten zu müssen. „Gewiß doch!"
sagt er.
Das junge Mädchen Käthe hat ungefähr verstanden, was der
alte Lerr gefragt hat; sie ist zusammengezuckt und macht ein Gesicht
wie ein Mensch, der Angst bei Gewittern hat und jetzt gerade in
der Ferne ein erstes Wetterleuchten bemerkt. Die ältere Dame ist
aufmerksam geworden.
„Würden Sie es für eine moralisch begründete Pflicht halten?"
fragt der alte Lerr noch einmal.
„Selbstverständlich!" erklärt der junge Mann. Er hat nicht weiter
nachgedacht, aber die Wendung „moralisch begründete Pflicht" hat
Eindruck auf ihn gemacht.
Der alte Lerr nickt befriedigt. „Gut; dann bin ich gerechtfertigt,
wenn ich Ihnen jetzt eine Ihnen zweifellos unangenehme, aber not-
wendige Eröffnung mache. Lören Sie zu! Sie fahren also seit längerer
Zeit jeden Morgen mit dem Fräulein dort zusammen und haben
anscheinend auch sonst Gelegenheit gehabt, sie zu treffen, Aeber die
Beziehungen, die sich dabei zwischen Ihnen beiden ergeben haben,
44
mich zu äußern, steht mir nicht zu. Aber meine Pflicht, meine auch
von Ihnen anerkannte Pflicht ist es. Ihnen folgendes milzuteilen.
Sie fahren also fünf Stationen weit mit dem Fräulein zusammen;
dann müssen Sie aussteigen. Eine Station weiter aber — was ge-
schieht dann? Da steigt ein anderer junger Mann zu, ein schwarz-
haariger junger Mann, während Sie blond sind. And dieser junge
Mann begrüßt das Fräulein dort gerade so herzlich, wie Sie es tun,
und sie ist ebenso liebenswürdig zu ihm wie zu Ihnen. And soweit
ich es beurteilen kann, waltet auch in diesem Fall die gleiche — wie
soll ich sagen? — die gleiche amouröse Beziehung. So — das mußte
ich Ihnen Mitteilen."
Der junge Mann ist etwas erschüttert. Er wendet sich an das
Mädchen Käthe: „Ist das wahr?"
Das Gewitter ist da; Käthe zittert, aber sie versucht, es zu ver-
bergen. Sie nimmt sich zusammen und sagt forsch: „Ist ja Ansinn!
Ich verstehe den Lerrn nicht. Freilich — nachher steigt ein anderer
junger Mann ein, und wir begrüßen uns. Er ist ein Bürokollege
von mir. Dem werde ich doch wohl guten Tag sage» dürfen; mit
dem darf ich mich doch wohl unterhalten?" And dann fährt sie den
alten Lerrn heftig an: „Es ist ein Bürokollege von mir. Lassen Sie
sich das gesagt sein!"
Der alte Lerr muß sich verteidigen. „Bürokollege — das mag
zutreffen. Aber die Blicke, der Ländedruck, die ganze Art des-“
Doch nun mischt sich die ältere Dame ein. „Lassen Sie sich nicht
beunruhigen, junger Mann! Der Lerr kann sowas gar nicht beur-
teilen. Es handelt sich zweifellos nur um einen durchaus gleichgülti-
gen Kollegen. Daß man bestrebt sein muß, sich mit Kollegen gut zu
stehn, ist doch klar."
Der alte Lerr will noch nicht nachgeben; er möchte noch mit
einigen Erläuterungen kommen, aber er überlegt zu lange, und dann
(Fortsetzung Seite 46)
Kleine Tragikomödie
er wird auch in die Tat umgesetzt. Die erste Station kommt; der
junge Mann steigt ein, begrüßt Käthe und will herzlich mit ihr
plaudern - da klopft ihm der alte Lerr sacht auf die Schulter:
„Einen Augenblick, junger Lerr! Darf ich eine Frage an Sie richten?"
„O bitte — bitte!"
Der alte Lerr fragt leise, aber mit großer Eindringlichkeit:
„Nehmen Sie an. Sie bemerken, daß jemand, der Ihnen fremd ist,
den Sie aber schon öfter gesehen haben und für einen ganz sym-
pathischen Menschen halten, in häßlicher Weise hintergangen, uin
nicht zu sage» betrogen wird-würden Sie sich dann für ver-
pflichtet halten, ihn darüber aufzuklären?"
Der junge Mann wundert sich über diese unvermutete Frage,
aber er meint, bejahend darauf antworten zu müssen. „Gewiß doch!"
sagt er.
Das junge Mädchen Käthe hat ungefähr verstanden, was der
alte Lerr gefragt hat; sie ist zusammengezuckt und macht ein Gesicht
wie ein Mensch, der Angst bei Gewittern hat und jetzt gerade in
der Ferne ein erstes Wetterleuchten bemerkt. Die ältere Dame ist
aufmerksam geworden.
„Würden Sie es für eine moralisch begründete Pflicht halten?"
fragt der alte Lerr noch einmal.
„Selbstverständlich!" erklärt der junge Mann. Er hat nicht weiter
nachgedacht, aber die Wendung „moralisch begründete Pflicht" hat
Eindruck auf ihn gemacht.
Der alte Lerr nickt befriedigt. „Gut; dann bin ich gerechtfertigt,
wenn ich Ihnen jetzt eine Ihnen zweifellos unangenehme, aber not-
wendige Eröffnung mache. Lören Sie zu! Sie fahren also seit längerer
Zeit jeden Morgen mit dem Fräulein dort zusammen und haben
anscheinend auch sonst Gelegenheit gehabt, sie zu treffen, Aeber die
Beziehungen, die sich dabei zwischen Ihnen beiden ergeben haben,
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mich zu äußern, steht mir nicht zu. Aber meine Pflicht, meine auch
von Ihnen anerkannte Pflicht ist es. Ihnen folgendes milzuteilen.
Sie fahren also fünf Stationen weit mit dem Fräulein zusammen;
dann müssen Sie aussteigen. Eine Station weiter aber — was ge-
schieht dann? Da steigt ein anderer junger Mann zu, ein schwarz-
haariger junger Mann, während Sie blond sind. And dieser junge
Mann begrüßt das Fräulein dort gerade so herzlich, wie Sie es tun,
und sie ist ebenso liebenswürdig zu ihm wie zu Ihnen. And soweit
ich es beurteilen kann, waltet auch in diesem Fall die gleiche — wie
soll ich sagen? — die gleiche amouröse Beziehung. So — das mußte
ich Ihnen Mitteilen."
Der junge Mann ist etwas erschüttert. Er wendet sich an das
Mädchen Käthe: „Ist das wahr?"
Das Gewitter ist da; Käthe zittert, aber sie versucht, es zu ver-
bergen. Sie nimmt sich zusammen und sagt forsch: „Ist ja Ansinn!
Ich verstehe den Lerrn nicht. Freilich — nachher steigt ein anderer
junger Mann ein, und wir begrüßen uns. Er ist ein Bürokollege
von mir. Dem werde ich doch wohl guten Tag sage» dürfen; mit
dem darf ich mich doch wohl unterhalten?" And dann fährt sie den
alten Lerrn heftig an: „Es ist ein Bürokollege von mir. Lassen Sie
sich das gesagt sein!"
Der alte Lerr muß sich verteidigen. „Bürokollege — das mag
zutreffen. Aber die Blicke, der Ländedruck, die ganze Art des-“
Doch nun mischt sich die ältere Dame ein. „Lassen Sie sich nicht
beunruhigen, junger Mann! Der Lerr kann sowas gar nicht beur-
teilen. Es handelt sich zweifellos nur um einen durchaus gleichgülti-
gen Kollegen. Daß man bestrebt sein muß, sich mit Kollegen gut zu
stehn, ist doch klar."
Der alte Lerr will noch nicht nachgeben; er möchte noch mit
einigen Erläuterungen kommen, aber er überlegt zu lange, und dann
(Fortsetzung Seite 46)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hans und Franz ------ und die Stelzen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)