Im nördlichen Eismeer
Dem Roosevelt, wie ihr hier seht —
jetzt allerhand mit Grundeis geht.
Eine Verleumdung
Frau Amalie Schaller bestätigte das, einen schweren Seufzer
vorausschickend, dem Reisegefährten Cornelius. „Ach ja, es war ganz
schrecklich! Was mir der Krämer, der auch Delikatessenhändler ist,
nicht alles angeboten hat! Da wäre ja mein Wirtschaftsgeld für
den ganzen Monat draufgegangen. And wie ich für meine Mädchen
Stoff zu Kleidern kaufen mußte, da wurden mir die feinsten Tuche
vorgelegt, und als ich sagte, das wäre doch nicht das Rechte, da
wurde ich angeguckt wie-na, man sagt ja wohl: wie ein Wun-
vertier. Ich konnte mir das gar nicht erklären."
„Ja ja, es gab vieles, was wir uns nicht erklären konnten," fing
jetzt der Sekretär Schaller wieder an. „Mein Junge da, der Bruno,
geht in die Tertia. Ein ganz guter Schüler, nicht der Erste, aber
auch mehr als die halbe Klasse weit weg vom Letzten. Ich bin da-
für, daß Elternhaus und Schule stets was von einander wissen, und
deshalb ging ich mal zu Brunos Ordinarius und erkundigte mich
nach dem Jungen. ,Ich bin ganz zufrieden/ sagte der Lerr Studien-
rat. ,Aber ich glaube, Lerr Sekretär, es wird gut sein, wenn ich
den Jungen jetzt recht scharf herannehme. Sonst bildet er sich wo-
möglich ein, er habe es nicht mehr nötig, zu lernen/ — Ich wunderte
mich. ,Ratürlich soll er tüchtig was lernen; er soll doch das Abitur
machen/ Da drückte mir der Studienrat herzlich die Land und sagte:
,Es freut mich, Lerr Sekretär, daß Sie so vernünftig denken/ —
Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, aber ich fragte weiter
nicht. Vielleicht hatte der Studienrat gerade vorher mit einem Vater
oder eher noch mit einer Mutter gesprochen, die der Meinung war,
ihrem Söhnchen würde zu viel aufgebürdet."
Frau Amalie Schaller meldete sich. „Aber zu unseren Mädchen
hat eine Lehrerin grade das Gegenteil gesagt. ,Ra, ihr braucht nun
nicht mehr viel zu lernen/ hat sie gesagt. .Einen Beruf werdet ihr
ja nicht nötig haben, ihr werdet ja doch heiraten. O, euch wird es
nicht an Bewerbern fehlen/ Ich bitte, sowas sagt man doch nicht
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zu Mädchen in dem Alter. And es ist auch Ansinn. Natürlich sollen
sie sich für einen Beruf vorbereiten. Ich wollte erst hingehn zu der
Lehrerin und sie fragen, wie sie dazu käme, sowas den Mädchen
in den Kopf setzen zu wollen. Aber dann kam gleich hinterher der
Aerger mit der Kaffeegesellschaft. Wir hatten nämlich in Poggstedt
ein Kaffeekränzchen, das immer reihum veranstaltet wurde; so alle
drei Monate war ich daran. Ich hatte alles wie sonst immer her-
gerichtet, nett, aber nicht üppig. Doch wie dann die Damen kamen,
da schienen sie sehr enttäuscht zu sein. Es gab Streußelkuchen, aber
ich glaube, sie hatten die feinsten Torten erwartet. Sie saßen alle
ganz verdrossen da, und wie sie dann gingen — ach, da hörte ich
doch, daß eine auf der Treppe sagte: ,Rein, wie filzig die Frau
ist/"
„Iawoll! Filzig — das hat man auch von mir gesagt," erzählte
nun wieder der Sekretär Schaller. „And zwar meine Kollegen auf
dem Postamt. Da zog mich eines Tages der Assistent Fenzke bei-
seite. Er wäre in einer gräßlichen Verlegenheit, ich möchte ihm doch
100 Mark borgen. Erst ersuchte er mich darum; dann bat er, und
schließlich beschwor er mich. Aber ich konnte ihm nicht helfen. Es
war in der letzten Woche des Quartals, und ich selber hatte wenig
mehr als 50 Mark in der Tasche. Das sagte ich ihm ganz offen,
aber er schien es für gemeinen Schwindel zu halten. Es sah aus,
als wollte er am liebsten vor mir ausspucken. And dann ging er
herum bei den Kollegen, und nachher redete keiner ein Wort mit
mir. Aber untereinander ergingen sie sich laut in häßlichen Anspie-
lungen, indem sie von Dingen redeten, die mit dem Wort Filz ver-
knüpft waren. Der eine sagte, an seinen Fensterplatz gehörte eine
Filzdecke; ein anderer redete vom Kauf eines Filzhutes, ein dritter
von Filzpantoffeln usw. And immer bei dem Wort Filz meckerten
sie höhnisch. Das war ekelhaft für mich, und ich habe infolgedessen
dann auch bei einem Telegramm 50 Pfennig zu wenig berechnet.
Damit mir das nicht noch einmal passierte, nahm ich mir vor,
am nächsten Tage energisch Aufklärung über dieses seltsame Beneh-
men der Lerren zu verlangen. Aber das erübrigte sich: inzwischen
erhielt ich die Aufklärung von anderer Seite. Da kam nämlich mein
Lauswirt zu mir. Pagel heißt er und ist ein solider Mann. Er er-
zählte mir — und darüber wunderte ich mich erst sehr — was sein
„Jawohl, Doktor — ich bin Beobachter auf einem Kriegs-
schiff, und da mußte ich gleichzeitig auf deutsche A-Boote und
Flugzeuge aufpasse»!"
Dem Roosevelt, wie ihr hier seht —
jetzt allerhand mit Grundeis geht.
Eine Verleumdung
Frau Amalie Schaller bestätigte das, einen schweren Seufzer
vorausschickend, dem Reisegefährten Cornelius. „Ach ja, es war ganz
schrecklich! Was mir der Krämer, der auch Delikatessenhändler ist,
nicht alles angeboten hat! Da wäre ja mein Wirtschaftsgeld für
den ganzen Monat draufgegangen. And wie ich für meine Mädchen
Stoff zu Kleidern kaufen mußte, da wurden mir die feinsten Tuche
vorgelegt, und als ich sagte, das wäre doch nicht das Rechte, da
wurde ich angeguckt wie-na, man sagt ja wohl: wie ein Wun-
vertier. Ich konnte mir das gar nicht erklären."
„Ja ja, es gab vieles, was wir uns nicht erklären konnten," fing
jetzt der Sekretär Schaller wieder an. „Mein Junge da, der Bruno,
geht in die Tertia. Ein ganz guter Schüler, nicht der Erste, aber
auch mehr als die halbe Klasse weit weg vom Letzten. Ich bin da-
für, daß Elternhaus und Schule stets was von einander wissen, und
deshalb ging ich mal zu Brunos Ordinarius und erkundigte mich
nach dem Jungen. ,Ich bin ganz zufrieden/ sagte der Lerr Studien-
rat. ,Aber ich glaube, Lerr Sekretär, es wird gut sein, wenn ich
den Jungen jetzt recht scharf herannehme. Sonst bildet er sich wo-
möglich ein, er habe es nicht mehr nötig, zu lernen/ — Ich wunderte
mich. ,Ratürlich soll er tüchtig was lernen; er soll doch das Abitur
machen/ Da drückte mir der Studienrat herzlich die Land und sagte:
,Es freut mich, Lerr Sekretär, daß Sie so vernünftig denken/ —
Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, aber ich fragte weiter
nicht. Vielleicht hatte der Studienrat gerade vorher mit einem Vater
oder eher noch mit einer Mutter gesprochen, die der Meinung war,
ihrem Söhnchen würde zu viel aufgebürdet."
Frau Amalie Schaller meldete sich. „Aber zu unseren Mädchen
hat eine Lehrerin grade das Gegenteil gesagt. ,Ra, ihr braucht nun
nicht mehr viel zu lernen/ hat sie gesagt. .Einen Beruf werdet ihr
ja nicht nötig haben, ihr werdet ja doch heiraten. O, euch wird es
nicht an Bewerbern fehlen/ Ich bitte, sowas sagt man doch nicht
206
zu Mädchen in dem Alter. And es ist auch Ansinn. Natürlich sollen
sie sich für einen Beruf vorbereiten. Ich wollte erst hingehn zu der
Lehrerin und sie fragen, wie sie dazu käme, sowas den Mädchen
in den Kopf setzen zu wollen. Aber dann kam gleich hinterher der
Aerger mit der Kaffeegesellschaft. Wir hatten nämlich in Poggstedt
ein Kaffeekränzchen, das immer reihum veranstaltet wurde; so alle
drei Monate war ich daran. Ich hatte alles wie sonst immer her-
gerichtet, nett, aber nicht üppig. Doch wie dann die Damen kamen,
da schienen sie sehr enttäuscht zu sein. Es gab Streußelkuchen, aber
ich glaube, sie hatten die feinsten Torten erwartet. Sie saßen alle
ganz verdrossen da, und wie sie dann gingen — ach, da hörte ich
doch, daß eine auf der Treppe sagte: ,Rein, wie filzig die Frau
ist/"
„Iawoll! Filzig — das hat man auch von mir gesagt," erzählte
nun wieder der Sekretär Schaller. „And zwar meine Kollegen auf
dem Postamt. Da zog mich eines Tages der Assistent Fenzke bei-
seite. Er wäre in einer gräßlichen Verlegenheit, ich möchte ihm doch
100 Mark borgen. Erst ersuchte er mich darum; dann bat er, und
schließlich beschwor er mich. Aber ich konnte ihm nicht helfen. Es
war in der letzten Woche des Quartals, und ich selber hatte wenig
mehr als 50 Mark in der Tasche. Das sagte ich ihm ganz offen,
aber er schien es für gemeinen Schwindel zu halten. Es sah aus,
als wollte er am liebsten vor mir ausspucken. And dann ging er
herum bei den Kollegen, und nachher redete keiner ein Wort mit
mir. Aber untereinander ergingen sie sich laut in häßlichen Anspie-
lungen, indem sie von Dingen redeten, die mit dem Wort Filz ver-
knüpft waren. Der eine sagte, an seinen Fensterplatz gehörte eine
Filzdecke; ein anderer redete vom Kauf eines Filzhutes, ein dritter
von Filzpantoffeln usw. And immer bei dem Wort Filz meckerten
sie höhnisch. Das war ekelhaft für mich, und ich habe infolgedessen
dann auch bei einem Telegramm 50 Pfennig zu wenig berechnet.
Damit mir das nicht noch einmal passierte, nahm ich mir vor,
am nächsten Tage energisch Aufklärung über dieses seltsame Beneh-
men der Lerren zu verlangen. Aber das erübrigte sich: inzwischen
erhielt ich die Aufklärung von anderer Seite. Da kam nämlich mein
Lauswirt zu mir. Pagel heißt er und ist ein solider Mann. Er er-
zählte mir — und darüber wunderte ich mich erst sehr — was sein
„Jawohl, Doktor — ich bin Beobachter auf einem Kriegs-
schiff, und da mußte ich gleichzeitig auf deutsche A-Boote und
Flugzeuge aufpasse»!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Im nördlichen Eismeer" "Der englische Matrose"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 197.1942, Nr. 5070, S. 206
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg