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Vorfrühling

Wie sich das junge Jahr
Zu seiner Feier schmückt!
Der Himmel hebt sich klar
Und bleibt in Duft entrückt.

Die Luft am hellen Tag
Schmeckt herb und morgenrein;

Wo gestern Schnee erst lag,
Schwebt warmer Veilchenschein.

Die Hecken sind mit Grün
Nur zärtlich angehaucht,
Bescheidne Blumen- blühn,
Die still hervorgetaucht.

Noch stehn die Bäume bloß,
Doch gar nicht mehr entlaubt,
Der Traum in ihrem Schoß
Wiegt ihr geneigtes Haupt.

Und meine Seele geht
Durch diese frühe Zeit,
Bis wär sie schon umweht
Von ihrem Osterkleid.

Richard von Schaukal

Liebe laut Vorlage

Von Otto Lofmann-Wellenhof

Von acht bis halb eins und von halb drei bis acht saß sie hinter
der Schreibmaschine, und zum Lesen kam sie eigentlich nur in der
Straßenbahn.

In der Straßenbahn liest man nicht Goethe, noch Lölderlin,
sondern bunte Romanhefte zu zwanzig Pfennig.

Einmal ist es ein Graf, der Bodo heißt, einmal bloß ein Diplom-
ingenieur namens Ralf oder ein verwitweter Arzt mit Lerzensgüte
und gutgehender Praxis. Alle aber sind sie reich, und alle verlieren
ihr Äerz an kleine Mädchen, die von acht bis halb eins und von
halb drei bis acht hinter der Schreibmaschine sitzen müssen — und
nicht nur das: auf den Seiten 63 bis 64 heiraten sie sogar die
Mädchen.

Der gehetzten kleinen Leserin wird das Bimmeln der Straßenbahn
zum weihevollen Orgelklang. Alles ist wieder einmal gut gegangen
— der schurkische Mann, der ihrer Ehre nachstellte, wurde als Bank-
notenfälscher entlarvt, und die polnische Baronin, die Jörg-Eber-
harden girrend in ihre Fangnetze zu locken trachtete, nahm auf Seite
56 zu viel Veronal und wurde bereits Seite 58 eingeäschert, worauf
bis Seite 61 entsetzlicher Verdacht auf Jörg-Eberhard fiel, der aber
durch die bewährte Umsicht und Tatkraft des Kriminalkommissars
Wollmann schon innerhalb sechzehn Zeilen entkräftet werden konnte.
Die Seiten 62 und 63 blieben dann der Beschreibung des Lochzeits-
kleides und des Brautschmuckes Vorbehalten, und auf Seite 64 ging
es dann hinaus in einem herrlichen Kabriolett zur Fahrt ins Leben.

Ach — und den ganzen goldenen Jörg-Eberhard verdankte schließ-
lich die kleine Stenotypistin Susi nur dem Ruck der Straßenbahn,
wodurch er ihr auf den Fuß stieg, und wodurch dann über Kino,
Tanzcafe und städtische, dem Schutze des Publikums empfohlene
Anlagen der gerade Weg zum Standesamt führte, mit Silberfüchsen
und 80 PS.

Mir sind schon viele Männer in der Elektrischen auf den Fuß
gestiegen, denkt sich bitter die kleine Stenotypistin Steffi und klappt
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das Romanheft zu, und geheiratet hat mich doch keiner — wenn
er sich entschuldigte, war 's schon viel.

„Aul" quietschte sie auf und rieb im Schmerz die dünnen Lalb-
schuhe aneinander.

„Gnädiges Fräulein, ich bitte vielmals um Vergebung," sagte
da der Angeschickte mit einer weichen Stimme, dunkel gefärbt und
fast schwermütig.

Steffi gab es einen Stich: wie Jörg-Eberhard I „Oh, bitte, nicht
der Rede wert — es bedarf keinerlei Aufhebens," zitierte sie wört-
lich die Antwort der Kollegin Susi aus dem Romanheft, die sich
ja hinterher als so erfolgreich erwiesen hatte, und stellte tapfer das
Schuhreiben ein.

„Ich fürchtete schon. Ihnen wehe getan zu haben," sprach der gleich
Jörg-Eberhard über eine breitschultrige Sportlergestatt, über Adler-
nase und Falkenblick verfügende Mann zart.

Da war ihre Laltestelle. Die eiserne Gewohnheit ließ Steffi ganz
instinktiv sich erheben. Sie neigte vornehm-zurückhaltend, jedoch nicht
ohne gewisse Lerzlichkeit (laut Seite 7) bag reizende Köpfchen, wo-
rauf im klaren blauen Auge des Mannes ein jäher Funke erglomm
(ebenda).

Dann stieg sie aus. Sie wagte nicht, sich umzublicken — teils
aus Anstand, teils wegen der Aufregung. Jetzt mußte es sich ent-
scheiden, ob die Romanheftdichterin das Leben kannte. Wird auch
er aussteigen oder nicht?

Er stieg nicht nur aus, sondern nach.

„Gnädiges Fräulein," bat er mild, „ich weiß, ich muß in Ihren
Augen als ein Zudringlicher erscheinen. Ich pflege sonst nicht, bitte,
glauben Sie mir, auf solche Weise Bekanntschaften zu machen, aber
dieses eine Mal — es ist wie eine Bestimmung — ein Ruf des
Schicksals-s"

Steffi erschauerte: fast wörtlich Seite 8.
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