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DAS OSTEREI

Von Io Sann« RöSler

Es kann Vorkommen, daß ein Ehemann zu seiner Frau sagt:
„Komm, gehen wir ein wenig spazieren!" dann gehen sie nebenein-
ander her, durch die Straßen, die ihnen bekannt sind, über Plätze,
wo der Wind weht, sie reden über dies und das, und manchmal
bleibt eine kleine Verstimmung aus einem Wort zurück, ohne daß
sie sich des Wortes noch zu entsinnen vermöchten.

„Dieser wundervolle Flieder, Karl!" sagte sie.

„Flieder war immer deine Lieblingsblume, Martha."

„Weißt du das noch?"

„Wie sollte ich es vergessen haben," antwortete Karl, „einmal
als die Straßen und Gärten voll von Flieder waren, stieg ich
nachts über einen Zaun und holte dir einen Arm der blauen
Blüten. Du warst sehr glücklich darüber, und wir liefen wie die
Kinder davon, unsere Beute zu bergen. In dieser Nacht verlobten
wir uns."

„Seitdem hast du mir keinen Flieder mehr geschenkt, Karl."

Er antwortete nicht. Sie sah stumm in die Auslagen des Blumen-
geschäftes, und jeder hing seinen Gedanken nach.

„Wovon mögen eigentlich die Blumengeschäfte leben?" begann
Karl nach einer Weile, „im Sommer gibt es Blumen übergenug,
und im Winter sind sie so teuer, daß man sie nicht kaufen kann."

Martha lächelte:

„Es gibt zu jeder
Jahreszeit Ver-
liebte."

„Verliebte gehen
nicht in ein großes

Blumengeschäft,
sie suchen sich einen
kleinen Laden und
wählen dort lange,

Blüte für Blüte.

Glaubst du, ein
Mann — und wäre
er noch so verliebt
—würde einer Frau
dieses große Osterei
hier aus dem Fen-
ster schenken?"

„Ja. Das glaube
ich."

„Welche Dumm-
heit!"

Sie schüttelte nur
den Kopf und sah
versonnen auf das
große Osterei, das
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in der Mitte des tiefen Fensters stand. Es war aus weißen Kamelien
gebunden, ein breites Band aus dunkelblauen Veilchen lief quer
darüber, und auf einer Schleife stand: „So sehr liebe ich Dich!"
Auch Karl mußte die Schrift wohl gelesen haben, denn er sagte:
„Kein Mann schreibt so etwas — vor allem, wenn es alle Leute
lesen können!"

„Warum nicht? Wenn er sehr stolz auf seine Frau ist?"

„Wie romantisch du bist, Martha! Ich glaube fast, dir wäre es
nach zehn Jahren Ehe heute noch lieber, ich würde jetzt hineingehen
und dir Flieder kaufen, statt alles Geld für unser neues Zimmer
zu sparen."

„Ja, Karl."

Er schien verärgert, antwortete aber nichts. Sie gingen wortlos
weiter. Marthas Gedanken aber blieben bei dem Osterei zurück.
„Ich möchte die Frau sehen, die es bekommt, Karl!"

„Was denn bekommt?"

„Das Osterei."

„Das bekommt überhaupt niemand. Das ist einfach ein Schau-
fensterstück. Keiner könnte es bezahlen und dann hält sich so ein Ei
auch nicht. Die Blumen welken in einem Tag."

„Kommt es darauf an?"

„Natürlich. Was
hätte eine Frau
von dem Osterei?"
„Eine große Freu-
de," sagte Martha
leise, „sie weiß,
wenn sie die Blu-
men bekommt, daß
sie in eines Man-
nes Augen diese
Blumen wert ist,
daß ein Mann sie
so sieht, daß ihm
das Schönste gerade
gut genug für sie
dünkt."

Er blieb stehen
und sagte heftig:
„Wie hältst du
es dann mit mir
aus? Ich bringe dir
nie Blumen. Es
gibt zu viele Dinge,
die von dem We-
nigen zu bestreiten
sind."

Liebe blüht und reift gleich einer Frucht,
ihrem Stamm und ihrer Art getreu:
sie gedeiht in stiller Eigensucht
sich zu Lust und Leiden ohne Reu.

Weh ihr aber, wenn sie wahnentbrannt,
statt sich darzubringen, fordern mag,
von der eignen Fälle weggewandt,
anderm lauschen will als ihrem Schlägl

Der ihr gnädig sonst, der Gott, vergibt
zürnend nimmer solche Ungebühr,
und er züchtigt, die um Liebe liebt,
hart als ihr Entgelt mit Haß dafür.

Richard von Schaulcal
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