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ER KENNT JEDENl
Von RN« Rlssow
Direktor Donnerkeil ist ein Mann Mitte Fünfzig, von energischem
Aussehen. Er ist bei der großen Belegschaft des Konzerns weniger
beliebt als gefürchtet. Man kann schwerlich sagen, wie es dazu ge-
kommen ist, vielleicht aber war es die bei den Angestellten als lästig
empfundene Att des Genannten, sich persönlich um jeden einzelnen
zu kümmern. Das wäre an und für sich eine lobenswerte Eigenschaft
gewesen, aber bei Direttor Donnerkeil artete das derart aus, daß
die Angestellten gerne einen Bogen um ihn machten, wenn sie ihn
von weitem kommen sahen. Doch Donnerkeil besaß ein scharfes Auge,
und die Brille, welche er trug, hatte anfangs bei den Angestellten
den falschen Eindruck erweckt, daß er kurzsichtig sei.
And diejenigen, die glaubten, sich diesen Amstand zu Nutze machen
zu können, erlebten eines Tages eine große Aeberraschung. Anverhofft
rief Direktor Donnerkeil telephonisch eine Anzahl dieser kleinen
,Sündett zu sich in sein Privatkontor.
„Gerlach, ich habe Sie jetzt sechsmal dabei ertappt, wie Sie mir
offensichtlich aus dem Wege gingen und sich bei meiner Annäherung
rasch verdrückten. Dazu möchte ich nur bemerken, daß ich beim nächsten
Mal gezwungen sein werde, andere Maßnahmen zu ergreifen, falls
diese Ermahnung nicht den gewünschten Erfolg haben sollte."
„Lerr Direktor," wagte der Zurechtgewiesene schüchtern einzu-
wenden, „das muß bestimmt ein Irrtum sein, ich wüßte nicht,
wann-"
„Es ist sinnlos, Gerlach, noch zu leugnen. Ich kann Ihnen übrigens,
falls Sie tatsächlich an Gedächtnis-
schwund leiden sollten, mit genauen
Daten dienen. Das erste Mal am
12. Februar, dann am 18. nachmit-
tags und schon wieder am darauf-
folgenden Tag um 9 Ahr 50. Dann
waren Sie vierzehn Tage in Urlaub
an der Ostsee und sofort nach Ihrer
Rückkehr am 5. März, das war
übrigens noch einige Minuten vor
Feierabend, als Sie heimlich davon-
schlichen, und heute früh find Sie
zudem noch eine ganze halbe Stunde
zu spät im Büro erschienen!"
Donnerkeil sagte das alles vor sich
hin, ohne dabei irgendwelche Unter-
lagen zu Lilfe zu nehmen, und was
das Schlimmste war, seine Angaben
stimmten haargenau. Das wußte
Gerlach selbst nur zu gut, aber er
zog es vor, einen roten Kopf zu be-
kommen und kein Wort einer neuer-
lichen Erwiderung hervorzubringen.
314
And in der gleichen Weise fertigt« Donnerkeil an diesem Tage
23 weitere Angestellte ab. Kein Wunder, daß danach das Gerücht
umging, Donnerkeil sei allwissend, und er hatte auch so kleine Pri-
vatdinge seiner Angestellten geschickt mit hineingeflochten, daß ein
großes Rätselraten um ihn anhub, woher er seine Kenntnisse über
jeden bezog.
And Direttor Donnerkeil selbst stand von diesem Tage an in dem
Ruf, in dem er stehen wollte. Er konnte als Erfolg für sich buchen,
daß der Respett der Angestellten vor seiner Person ins Angemessene
gestiegen war.
,Er kennt jeden/ sagte man nur noch kurz.
And dabei war es einfach unfaßlich, daß Donnerkeil so genau über
alle informiert sein konnte. Die Belegschaftszahl des Versicherungs-
konzerns von einigen hundert Angestellten machte das ganz unmöglich.
All das muß man wissen, um sich ein Arteil über die letzthin
stattgefundene Auseinandersetzung bilden zu können.-
Es war gleich nach neun Ahr, als ein junger Mann, der einen
etwas schüchternen Eindruck machte, in das Allerheiligfte eintrat.
Direttor Donnerkeil warf noch schnell einen Blick auf den vor
ihm liegenden Anmeldezettel.
,Lerr Reumann, in persönlicher Angelegenheit/ stand darauf.
„Kommen Sie näher! Was haben Sie für ein Anliegen, Lerr
Reumann?" fragte Donnerkeil von seiner uneinnehmbaren Festung
aus, den andern kritisch musternd.
„Leer Direttor, ich möchte meine
Stellung kündigen-"
„Was wollen Sie?!" fuhr ihn
Donnerkeil sofort an und ließ ihn
von diesem Augenblick an nicht
mehr zu Worte kommen. „Kündigen
wollen Sie?! Sie sind wohl wahn-
sinnig, mir in der heutigen Zeit mit
so etwas zu kommen! Ich will Ihnen
mal was sagen, Reumann, gerade
Sie haben am allerwenigsten Grund
dazu. Die Position, die Sie bei
mir bekleiden, sollte Sie mit Stolz
erfüllen. Jeder andere wäre froh,
auf so einem guten Posten zu sitzen.
Roch dazu in Ihren Jahren I Wissen
St« überhaupt, waS das heißt, so
«ine verantwottungsvolle Stellung
inne zu haben? Das in Sie gesetzte
Vertrauen täglich wieder durch neue
Beweise zu rechtfettigen,-,
täglich mit den interessantesten Ar-
beiten bettaut zu werden-"
Ein Schmetterling schwebt im Grün
an Rosen vorüber und schwindet:
sein blendendes Bild erblindet,
und wieder prangt schweigendes Glühn.
Es zirpen und flöten vertraut
verborgene Vogelstimmen.
Die wiegenden Wipfel glimmen,
vom weiten Himmel durchblaut.
/ \ Richard von Schaukel
ER KENNT JEDENl
Von RN« Rlssow
Direktor Donnerkeil ist ein Mann Mitte Fünfzig, von energischem
Aussehen. Er ist bei der großen Belegschaft des Konzerns weniger
beliebt als gefürchtet. Man kann schwerlich sagen, wie es dazu ge-
kommen ist, vielleicht aber war es die bei den Angestellten als lästig
empfundene Att des Genannten, sich persönlich um jeden einzelnen
zu kümmern. Das wäre an und für sich eine lobenswerte Eigenschaft
gewesen, aber bei Direttor Donnerkeil artete das derart aus, daß
die Angestellten gerne einen Bogen um ihn machten, wenn sie ihn
von weitem kommen sahen. Doch Donnerkeil besaß ein scharfes Auge,
und die Brille, welche er trug, hatte anfangs bei den Angestellten
den falschen Eindruck erweckt, daß er kurzsichtig sei.
And diejenigen, die glaubten, sich diesen Amstand zu Nutze machen
zu können, erlebten eines Tages eine große Aeberraschung. Anverhofft
rief Direktor Donnerkeil telephonisch eine Anzahl dieser kleinen
,Sündett zu sich in sein Privatkontor.
„Gerlach, ich habe Sie jetzt sechsmal dabei ertappt, wie Sie mir
offensichtlich aus dem Wege gingen und sich bei meiner Annäherung
rasch verdrückten. Dazu möchte ich nur bemerken, daß ich beim nächsten
Mal gezwungen sein werde, andere Maßnahmen zu ergreifen, falls
diese Ermahnung nicht den gewünschten Erfolg haben sollte."
„Lerr Direktor," wagte der Zurechtgewiesene schüchtern einzu-
wenden, „das muß bestimmt ein Irrtum sein, ich wüßte nicht,
wann-"
„Es ist sinnlos, Gerlach, noch zu leugnen. Ich kann Ihnen übrigens,
falls Sie tatsächlich an Gedächtnis-
schwund leiden sollten, mit genauen
Daten dienen. Das erste Mal am
12. Februar, dann am 18. nachmit-
tags und schon wieder am darauf-
folgenden Tag um 9 Ahr 50. Dann
waren Sie vierzehn Tage in Urlaub
an der Ostsee und sofort nach Ihrer
Rückkehr am 5. März, das war
übrigens noch einige Minuten vor
Feierabend, als Sie heimlich davon-
schlichen, und heute früh find Sie
zudem noch eine ganze halbe Stunde
zu spät im Büro erschienen!"
Donnerkeil sagte das alles vor sich
hin, ohne dabei irgendwelche Unter-
lagen zu Lilfe zu nehmen, und was
das Schlimmste war, seine Angaben
stimmten haargenau. Das wußte
Gerlach selbst nur zu gut, aber er
zog es vor, einen roten Kopf zu be-
kommen und kein Wort einer neuer-
lichen Erwiderung hervorzubringen.
314
And in der gleichen Weise fertigt« Donnerkeil an diesem Tage
23 weitere Angestellte ab. Kein Wunder, daß danach das Gerücht
umging, Donnerkeil sei allwissend, und er hatte auch so kleine Pri-
vatdinge seiner Angestellten geschickt mit hineingeflochten, daß ein
großes Rätselraten um ihn anhub, woher er seine Kenntnisse über
jeden bezog.
And Direttor Donnerkeil selbst stand von diesem Tage an in dem
Ruf, in dem er stehen wollte. Er konnte als Erfolg für sich buchen,
daß der Respett der Angestellten vor seiner Person ins Angemessene
gestiegen war.
,Er kennt jeden/ sagte man nur noch kurz.
And dabei war es einfach unfaßlich, daß Donnerkeil so genau über
alle informiert sein konnte. Die Belegschaftszahl des Versicherungs-
konzerns von einigen hundert Angestellten machte das ganz unmöglich.
All das muß man wissen, um sich ein Arteil über die letzthin
stattgefundene Auseinandersetzung bilden zu können.-
Es war gleich nach neun Ahr, als ein junger Mann, der einen
etwas schüchternen Eindruck machte, in das Allerheiligfte eintrat.
Direttor Donnerkeil warf noch schnell einen Blick auf den vor
ihm liegenden Anmeldezettel.
,Lerr Reumann, in persönlicher Angelegenheit/ stand darauf.
„Kommen Sie näher! Was haben Sie für ein Anliegen, Lerr
Reumann?" fragte Donnerkeil von seiner uneinnehmbaren Festung
aus, den andern kritisch musternd.
„Leer Direttor, ich möchte meine
Stellung kündigen-"
„Was wollen Sie?!" fuhr ihn
Donnerkeil sofort an und ließ ihn
von diesem Augenblick an nicht
mehr zu Worte kommen. „Kündigen
wollen Sie?! Sie sind wohl wahn-
sinnig, mir in der heutigen Zeit mit
so etwas zu kommen! Ich will Ihnen
mal was sagen, Reumann, gerade
Sie haben am allerwenigsten Grund
dazu. Die Position, die Sie bei
mir bekleiden, sollte Sie mit Stolz
erfüllen. Jeder andere wäre froh,
auf so einem guten Posten zu sitzen.
Roch dazu in Ihren Jahren I Wissen
St« überhaupt, waS das heißt, so
«ine verantwottungsvolle Stellung
inne zu haben? Das in Sie gesetzte
Vertrauen täglich wieder durch neue
Beweise zu rechtfettigen,-,
täglich mit den interessantesten Ar-
beiten bettaut zu werden-"
Ein Schmetterling schwebt im Grün
an Rosen vorüber und schwindet:
sein blendendes Bild erblindet,
und wieder prangt schweigendes Glühn.
Es zirpen und flöten vertraut
verborgene Vogelstimmen.
Die wiegenden Wipfel glimmen,
vom weiten Himmel durchblaut.
/ \ Richard von Schaukel