Das Korsett der Frau Postmeifterin
Und da geschah es, daß Alfred sich von der hinterlistigen Seite
zeigte. Im Schimmer des verschwiegenen Kerzenscheines leuchtete
etwas Längliches rosarot auf. Wie eine Äandgranate lag auf den,
Stuhle, fein säuberlich zusammengerollt das Korsett der Frau Post-
meisterin. Geistesgegenwärtig rafften Alfreds zitternde Lände den
verschwiegenen Panzer auf und verwahrten ihn klopfenden Lerzens
an seinem Männerbusen unter dem Rock.
Umständlich, doch mit Sachkenntnis öffnete der Postmeister im
Dienstraum den Geldschrank, der seit Jahren nicht nur wichtige
Dienstakten, sondern auch persönliche Kostbarkeiten des Postmeisters
barg. Leute in seiner „50. Geburtsnacht" sollten diese zur Geltung
kommen, denn hinter den Geheimakten lag der uralte „Asbach Uralt"
und die schwarzen Brasilianer. Geriffen nutzte Alfred den günstigsten
Moment aus, um kühnen Schwunges das Korsett der Frau Post-
meisterin dort zu lande», wo des Postmeisters Kostbarkeiten soeben
noch lagerten. Zuverlässig und geräuschlos schloß sich die Stahltür
wieder, und das Korsett war weg, verschwunden für viele Jahre. -
Ohne Störung glückte der Rückmarsch, und die mitternächtliche
Tafelrunde schwelgte in de» unbegrenzten Genüssen einer alkohol-
und nikotinfreudigen Zeit. —
Es dämmerte draußen, man brach auf, bedankte sich und schritt
hinaus in das Frühlicht des Kleinstadtsonntags. Keiner ahnte den
tückische» Raub des postmeister-
lichen Korsetts, nur Alfred, das
Lundchen, wußte davon. Er aber
bewahrte das Geheimnis in seinem
erinnerungsfrohen Iunggesellen-
hcrzen für lange, lange Jahre.
Die Kirchenglocke» läutete»,
und die nichtsahnende Postmeiste-
rin erhob sich, um ihrem Manne
den Geburtstagstisch zu schmücken.
Aber o weh!
„Wo liegt es nur? Ich weiß
ganz genau, auf diesen Stuhl
habe ich es gelegt! Männe,
Määnne, Määäne hast du mein
Korsett nicht gesehen? Du liegst
wohl gar drauf?"
„I wo, ich habe es wirklich
nicht!" lallte schlaftrunken das
Geburtstagskind, und seine Laare
knisterten hörbar vom Löhen-
rauch. Ein verzweifeltes Suchen
Hub an, die ganze Wohnung
wurde auf den Kopf gestellt, aber
gefunden wurde nichts.
Als anderen Tages die Post-
meisterin mit dem Abendzuge aus
Lamburg zurückkam, da konnte
Alfred von weitem schon fest-
stellen, daß aus der postmeister-
lichen Einkaufstasche ein läng-
lichschmaler Karton hervorsugte,
dessen Inhalt er mit Kennerblick
leicht erriet. Makkaroni konnten
es nicht sein, dafür war der
Karton zu lang. Ein Korsett war
es, ein funknagelneues Korsett!
Morgen schon wird die Frau
Postmeisterin wieder rank und
schlank durchs Städtchen wan-
dern. —
Nach langen Jahre», als der
Postmeister in den wohlverdien-
ten Ruhestand versetzt wurde
und die Dienstwohnung an seinen
44
Nachfolger abtrat, wurde das längst vergessene Korsett im Tresor
gefunden. Der Nachfolger hatte so seine Sondermeinung von der
Moral des scheidenden Kollegen, jedoch er sagte nichts. —
Der schöne Alfred aber lebt heute noch als unbeschwerter Jung-
geselle in einer Großstadt. Korsetten kann er nicht mehr rauben,
denn unser „schwaches Geschlecht" ist erstarkt, es hat sich freigemacht
von der atemberaubenden Panzerung.
Still schmunzelnd gedenkt der leise angegraute Alfred vergangener,
schöner Zeiten, als er noch jung und wendig war, und die nächtliche
Geburtstagsfeier steht immer noch lebendig vor seine» erinnerungs-
freudigen Augen. Ja, er rühmt sich heute als den begeistertsten und
erfolgreichsten Vorkämpfer der „Antikorsettbewegung" einer ver-
gangenen Zeit.
Kleine Ckronik
Auf Verlangen des „American Iewish Commitee" ist für alle
Bühnen der USA Shakespeares „Kaufmann von Venedig" ver-
boten worden.
Allerdings - Shakespeare bringt da für die Juden zu verdrieß-
liche Dinge vor. Daß der blutgierige Jude Shylock seinem Schuldner
ein Pfund Fleisch aus dem Leibe schneiden will, kann angehen. Aber
daß er nicht dazu komint und dann auch noch sein erwuchcrtes Geld
verliert, ist nicht zu ertragen.
Die „Daily Mail" hat ge-
fordert, Finnland müsse „der
Staatskunst Stalins" überlassen
werden.
Sie gehört zur entarteten
Kunst.
Der „Bund der Polen in
der Sowjetunion" hat ein von
der berüchtigte» polnischen Bol-
schewistin Wassiliewska und betn
Führer der polnischen Sowjet-
armisten, dem Juden Berlin,
unterzeichnetes Dankschreiben an
Stalin gesandt, worin sie ver-
sichern, „die Freundschaft zwischen
den beiden Völkern mit ihrem
Blut besiegeln zu wollen".
An das im Walde von Katyn
vergossene polnische Blut hat
man anscheinend nicht gedacht.
Allerdings wurde damit auch
keine Freundschaft besiegelt.
Der Leiter der englischen
kommunistischen Partei, der Jude
Pollit, hat sich darüber beklagt,
daß zu den von ihm veranstal-
teten Versammlungen fast nur
Juden kämen. Dadurch könnte
die Bevölkerung auf den Ver-
dacht kommen, daß der Kommu-
nismus eine jüdische Angelegen-
heit sei, und das würde den
Antisemitismus stärken.
Pollit spielt sich als den
braven Mann auf; er denkt nicht
an sich selbst. Sonst würde er
sich sagen, schon der Umstand,
daß ein Jude zu kommunistischen
Versammlungen einladet, könnte
verdächtig scheinen.
4 U
„Was machen Sie denn da oben. Sie unverschämter Mensch? Sie
gießen wohl Blumen?"
„Ausgeschlossen! Ick weine über den letzten Tonfilm."
Und da geschah es, daß Alfred sich von der hinterlistigen Seite
zeigte. Im Schimmer des verschwiegenen Kerzenscheines leuchtete
etwas Längliches rosarot auf. Wie eine Äandgranate lag auf den,
Stuhle, fein säuberlich zusammengerollt das Korsett der Frau Post-
meisterin. Geistesgegenwärtig rafften Alfreds zitternde Lände den
verschwiegenen Panzer auf und verwahrten ihn klopfenden Lerzens
an seinem Männerbusen unter dem Rock.
Umständlich, doch mit Sachkenntnis öffnete der Postmeister im
Dienstraum den Geldschrank, der seit Jahren nicht nur wichtige
Dienstakten, sondern auch persönliche Kostbarkeiten des Postmeisters
barg. Leute in seiner „50. Geburtsnacht" sollten diese zur Geltung
kommen, denn hinter den Geheimakten lag der uralte „Asbach Uralt"
und die schwarzen Brasilianer. Geriffen nutzte Alfred den günstigsten
Moment aus, um kühnen Schwunges das Korsett der Frau Post-
meisterin dort zu lande», wo des Postmeisters Kostbarkeiten soeben
noch lagerten. Zuverlässig und geräuschlos schloß sich die Stahltür
wieder, und das Korsett war weg, verschwunden für viele Jahre. -
Ohne Störung glückte der Rückmarsch, und die mitternächtliche
Tafelrunde schwelgte in de» unbegrenzten Genüssen einer alkohol-
und nikotinfreudigen Zeit. —
Es dämmerte draußen, man brach auf, bedankte sich und schritt
hinaus in das Frühlicht des Kleinstadtsonntags. Keiner ahnte den
tückische» Raub des postmeister-
lichen Korsetts, nur Alfred, das
Lundchen, wußte davon. Er aber
bewahrte das Geheimnis in seinem
erinnerungsfrohen Iunggesellen-
hcrzen für lange, lange Jahre.
Die Kirchenglocke» läutete»,
und die nichtsahnende Postmeiste-
rin erhob sich, um ihrem Manne
den Geburtstagstisch zu schmücken.
Aber o weh!
„Wo liegt es nur? Ich weiß
ganz genau, auf diesen Stuhl
habe ich es gelegt! Männe,
Määnne, Määäne hast du mein
Korsett nicht gesehen? Du liegst
wohl gar drauf?"
„I wo, ich habe es wirklich
nicht!" lallte schlaftrunken das
Geburtstagskind, und seine Laare
knisterten hörbar vom Löhen-
rauch. Ein verzweifeltes Suchen
Hub an, die ganze Wohnung
wurde auf den Kopf gestellt, aber
gefunden wurde nichts.
Als anderen Tages die Post-
meisterin mit dem Abendzuge aus
Lamburg zurückkam, da konnte
Alfred von weitem schon fest-
stellen, daß aus der postmeister-
lichen Einkaufstasche ein läng-
lichschmaler Karton hervorsugte,
dessen Inhalt er mit Kennerblick
leicht erriet. Makkaroni konnten
es nicht sein, dafür war der
Karton zu lang. Ein Korsett war
es, ein funknagelneues Korsett!
Morgen schon wird die Frau
Postmeisterin wieder rank und
schlank durchs Städtchen wan-
dern. —
Nach langen Jahre», als der
Postmeister in den wohlverdien-
ten Ruhestand versetzt wurde
und die Dienstwohnung an seinen
44
Nachfolger abtrat, wurde das längst vergessene Korsett im Tresor
gefunden. Der Nachfolger hatte so seine Sondermeinung von der
Moral des scheidenden Kollegen, jedoch er sagte nichts. —
Der schöne Alfred aber lebt heute noch als unbeschwerter Jung-
geselle in einer Großstadt. Korsetten kann er nicht mehr rauben,
denn unser „schwaches Geschlecht" ist erstarkt, es hat sich freigemacht
von der atemberaubenden Panzerung.
Still schmunzelnd gedenkt der leise angegraute Alfred vergangener,
schöner Zeiten, als er noch jung und wendig war, und die nächtliche
Geburtstagsfeier steht immer noch lebendig vor seine» erinnerungs-
freudigen Augen. Ja, er rühmt sich heute als den begeistertsten und
erfolgreichsten Vorkämpfer der „Antikorsettbewegung" einer ver-
gangenen Zeit.
Kleine Ckronik
Auf Verlangen des „American Iewish Commitee" ist für alle
Bühnen der USA Shakespeares „Kaufmann von Venedig" ver-
boten worden.
Allerdings - Shakespeare bringt da für die Juden zu verdrieß-
liche Dinge vor. Daß der blutgierige Jude Shylock seinem Schuldner
ein Pfund Fleisch aus dem Leibe schneiden will, kann angehen. Aber
daß er nicht dazu komint und dann auch noch sein erwuchcrtes Geld
verliert, ist nicht zu ertragen.
Die „Daily Mail" hat ge-
fordert, Finnland müsse „der
Staatskunst Stalins" überlassen
werden.
Sie gehört zur entarteten
Kunst.
Der „Bund der Polen in
der Sowjetunion" hat ein von
der berüchtigte» polnischen Bol-
schewistin Wassiliewska und betn
Führer der polnischen Sowjet-
armisten, dem Juden Berlin,
unterzeichnetes Dankschreiben an
Stalin gesandt, worin sie ver-
sichern, „die Freundschaft zwischen
den beiden Völkern mit ihrem
Blut besiegeln zu wollen".
An das im Walde von Katyn
vergossene polnische Blut hat
man anscheinend nicht gedacht.
Allerdings wurde damit auch
keine Freundschaft besiegelt.
Der Leiter der englischen
kommunistischen Partei, der Jude
Pollit, hat sich darüber beklagt,
daß zu den von ihm veranstal-
teten Versammlungen fast nur
Juden kämen. Dadurch könnte
die Bevölkerung auf den Ver-
dacht kommen, daß der Kommu-
nismus eine jüdische Angelegen-
heit sei, und das würde den
Antisemitismus stärken.
Pollit spielt sich als den
braven Mann auf; er denkt nicht
an sich selbst. Sonst würde er
sich sagen, schon der Umstand,
daß ein Jude zu kommunistischen
Versammlungen einladet, könnte
verdächtig scheinen.
4 U
„Was machen Sie denn da oben. Sie unverschämter Mensch? Sie
gießen wohl Blumen?"
„Ausgeschlossen! Ick weine über den letzten Tonfilm."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Was machen Sie denn da oben, Sie unverschämter Mensch?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5112, S. 44
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg