Sin gequälter Gläubiger
Der nette alte Doktor Kliagge wollte diskreter Weise beiseite
gehen, aber das paßte nicht zu Ziebolds Absicht. Er wandte sich zu
dem Doktor, brummelte zu flüchtiger Vorstellung seinen Namen und
sagte: „O, bleiben Sie nur, mein Lerr! Ich habe keine Geheimnisse."
Ja, er packte ihn sogar ganz frech am Arm, um ihn festzuhalten, und
der gutmütige Doktor Knagge ließ sich das gefallen. And dann legte
Ziebold gegen mich los: „O, wenn Sie wüßten, wie mich Ihr uner-
warteter Mahnbrief getroffen hat, welche schlaflosen Nächte er mir
bereitet hat! .Laben Sie doch noch ein wenig Geduld! Es handelt
sich ja nur um 200 Mark, eine Kleinigkeit für Sie. Seien Sie nicht
unbarmherzig, lassen Sie Ihr Lerz erweichen!" And dann stürzte er
davon, als könnte er nicht mehr weiter sprechen, aber er beeilte sich
wohl nur, weil er ein infames Lachen nicht mehr länger hätte unter-
drücken können.
Gräßlich war das für mich! Ich war in solcher Verlegenheit, daß
ich erst gar keine Worte finden konnte, deni netten alten Doktor
Knagge die Sache zu erklären. Aber der wollte dann gar nichts davon
hören, dem hatte der peinliche Zwischenfall die Stimmung verdorben.
„Ach, lassen Sie nur!" sagte er, und dann empfahl er sich auch gleich,
aber recht kühl. Jedenfalls ist er mit der Meinung von mir gegangen,
ich sei ein unbarmherziger Gläubiger und der andere Mann ein zu
seinem Anglück in meine Klauen geratener, bedauernswerter Schuldner.
Das nächste Mal war's noch schlimmer. Da hatte ich gerade die
Gattin des Konsuls Struve getroffen, eine freundliche Dame, die
irgendein kleines Wohltätigkeitsunternehmen dirigiert, eine Krippe,
oder wie es sonst heißen mag, und die bat mich um einen kleinen
Beitrag, den ich ihr auch mit Vergnügen geben wollte. Aber da kam
gerade Ziebold an. Die Dame brauchte er nicht am Arm zu packen
wie den Doktor Knagge; die blieb aus Neugier dabei. And dann
heulte Ziebold und tat beinahe, als wollte er mir zu Füßen fallen,
und winselte: „Versuchen Sie, edel zu sein, Lerr Stäblein! Ja, ich
bin Ihnen 200 Mark schuldig, und die sollen Sie auch bekommen.
Ich will mich rühren, ich will vierzehn Stunden am Tage arbeiten,
ich will schuften, daß mir das Blut unter den Fingernägeln hervor-
spritzt, und dabei werde ich mir nur das Notdürftigste gönnen, aber
nichts, auch gar nichts Besonderes, keine Zigarre, kein Gläschen Bier.
So wird es ja nur kurze Zeit dauern, bis ich das Geld beisammen
habe, und ich flehe Sie an, mich in dieser kurzen Zeit nicht mehr zu
drängen." And dann stürzte dieses wirkliche Angeheuer wieder davon
und ließ mich vor der Frau Struve als ein scheinbares Angeheuer
„So, so — Sie waren einmal Schüler von mir —
und was ist dann aus Ihne» geworden ?"
Fritzchens Drohung
„Ruhe dadrinnen, sonst komme ich 'rein!
zurück. Sie hat dann auch meinen Beitrag für ihre Krippe, oder wie
das Institut heißen mag, nicht annehmen wollen, und jedenfalls hat
sie nachher ihrem Manne erzählt, was ich doch für ein grausamer
Mann sein müsse.
Ach, und so ist das noch öfter gegangen. Aber heute war es am
schlimmsten, das werde ich kaum überwinden können. Da war ich
nämlich mit dem Konsistorialrat Oelschläger zusammen, diesem wür-
digen Manne, und das war für Ziebold eine ganz besondere Ge-
legenheit, für die er auch die ihm besonders paffenden Worte zu finden
wußte. „Gewähren Sie mir Aufschub, nur einen kleinen Aufschub!"
hat er gewimmert. „Seien Sie kein Shylock, Lerr Stäblein I Ich
will tun, was ich irgend kann; ich will Ihnen Zinsen zahlen — —
zehn Prozent, zwanzig Prozent, soviel Sie wollen! Aber greifen Sie
— wir Menschen sind ja alle Brüder! — um Limmels willen nicht
zu Gewaltmaßregeln I Jedesmal, wenn der Briefträger kommt, zittere
ich, daß er mir eine Klage von Ihnen zustellen könnte. Sehen Sie:
so zittere ich!" And dabei zitterte er wirklich wie eine vom Winde
geschüttelte Vogelscheuche, und dann wankte er kläglich davon. Es
wäre mir eine Wohltat gewesen, wenn mich der Erdboden ver-
schlungen hätte, aber er tat es nicht, und ich blieb da, und der Kon-
sistorialrat hielt mir eine förmliche Predigt, und ich konnte kein
Wort erwidern, so vor den Kopf geschlagen war ich; auch hätte ich
den schnellen Fluß seiner Rede ja gar nicht unterbrechen können.
Aber was mache ich gegen diese entsetzliche Quälerei? Wie wehre
ich mich gegen Ziebolds Tücke?"
„Tun Sie, was Sie schon längst hätten tun sollen," rät Bückler.
„Schicken Sie dem Kerl einen Zahlungsbefehl!"
„Anmöglich! Dann würde ich mir vielleicht noch Schlimmeres
einrühren. Denken Sic doch, wenn mich dann Ziebold mit jemandem
trifft, vor dem er sich schon einmal produziert hat, etwa dem alten
Doktor Knagge — dann würde er sich natürlich hinstellen und
jammern: „Sie haben also doch keine Barmherzigkeit übe» wollen"
und so ähnlich. „Nein, das mache ich nicht!"
„Na, dann nicht!" sagt Bückler und zeigt jetzt seine schon ge-
rühmte Entschlossenheit. „Sie sollen mit Ziebold nichts mehr zu tun
haben. Bitte, geben Sie mir den Lappen von Schuldschein! So —
53
Der nette alte Doktor Kliagge wollte diskreter Weise beiseite
gehen, aber das paßte nicht zu Ziebolds Absicht. Er wandte sich zu
dem Doktor, brummelte zu flüchtiger Vorstellung seinen Namen und
sagte: „O, bleiben Sie nur, mein Lerr! Ich habe keine Geheimnisse."
Ja, er packte ihn sogar ganz frech am Arm, um ihn festzuhalten, und
der gutmütige Doktor Knagge ließ sich das gefallen. And dann legte
Ziebold gegen mich los: „O, wenn Sie wüßten, wie mich Ihr uner-
warteter Mahnbrief getroffen hat, welche schlaflosen Nächte er mir
bereitet hat! .Laben Sie doch noch ein wenig Geduld! Es handelt
sich ja nur um 200 Mark, eine Kleinigkeit für Sie. Seien Sie nicht
unbarmherzig, lassen Sie Ihr Lerz erweichen!" And dann stürzte er
davon, als könnte er nicht mehr weiter sprechen, aber er beeilte sich
wohl nur, weil er ein infames Lachen nicht mehr länger hätte unter-
drücken können.
Gräßlich war das für mich! Ich war in solcher Verlegenheit, daß
ich erst gar keine Worte finden konnte, deni netten alten Doktor
Knagge die Sache zu erklären. Aber der wollte dann gar nichts davon
hören, dem hatte der peinliche Zwischenfall die Stimmung verdorben.
„Ach, lassen Sie nur!" sagte er, und dann empfahl er sich auch gleich,
aber recht kühl. Jedenfalls ist er mit der Meinung von mir gegangen,
ich sei ein unbarmherziger Gläubiger und der andere Mann ein zu
seinem Anglück in meine Klauen geratener, bedauernswerter Schuldner.
Das nächste Mal war's noch schlimmer. Da hatte ich gerade die
Gattin des Konsuls Struve getroffen, eine freundliche Dame, die
irgendein kleines Wohltätigkeitsunternehmen dirigiert, eine Krippe,
oder wie es sonst heißen mag, und die bat mich um einen kleinen
Beitrag, den ich ihr auch mit Vergnügen geben wollte. Aber da kam
gerade Ziebold an. Die Dame brauchte er nicht am Arm zu packen
wie den Doktor Knagge; die blieb aus Neugier dabei. And dann
heulte Ziebold und tat beinahe, als wollte er mir zu Füßen fallen,
und winselte: „Versuchen Sie, edel zu sein, Lerr Stäblein! Ja, ich
bin Ihnen 200 Mark schuldig, und die sollen Sie auch bekommen.
Ich will mich rühren, ich will vierzehn Stunden am Tage arbeiten,
ich will schuften, daß mir das Blut unter den Fingernägeln hervor-
spritzt, und dabei werde ich mir nur das Notdürftigste gönnen, aber
nichts, auch gar nichts Besonderes, keine Zigarre, kein Gläschen Bier.
So wird es ja nur kurze Zeit dauern, bis ich das Geld beisammen
habe, und ich flehe Sie an, mich in dieser kurzen Zeit nicht mehr zu
drängen." And dann stürzte dieses wirkliche Angeheuer wieder davon
und ließ mich vor der Frau Struve als ein scheinbares Angeheuer
„So, so — Sie waren einmal Schüler von mir —
und was ist dann aus Ihne» geworden ?"
Fritzchens Drohung
„Ruhe dadrinnen, sonst komme ich 'rein!
zurück. Sie hat dann auch meinen Beitrag für ihre Krippe, oder wie
das Institut heißen mag, nicht annehmen wollen, und jedenfalls hat
sie nachher ihrem Manne erzählt, was ich doch für ein grausamer
Mann sein müsse.
Ach, und so ist das noch öfter gegangen. Aber heute war es am
schlimmsten, das werde ich kaum überwinden können. Da war ich
nämlich mit dem Konsistorialrat Oelschläger zusammen, diesem wür-
digen Manne, und das war für Ziebold eine ganz besondere Ge-
legenheit, für die er auch die ihm besonders paffenden Worte zu finden
wußte. „Gewähren Sie mir Aufschub, nur einen kleinen Aufschub!"
hat er gewimmert. „Seien Sie kein Shylock, Lerr Stäblein I Ich
will tun, was ich irgend kann; ich will Ihnen Zinsen zahlen — —
zehn Prozent, zwanzig Prozent, soviel Sie wollen! Aber greifen Sie
— wir Menschen sind ja alle Brüder! — um Limmels willen nicht
zu Gewaltmaßregeln I Jedesmal, wenn der Briefträger kommt, zittere
ich, daß er mir eine Klage von Ihnen zustellen könnte. Sehen Sie:
so zittere ich!" And dabei zitterte er wirklich wie eine vom Winde
geschüttelte Vogelscheuche, und dann wankte er kläglich davon. Es
wäre mir eine Wohltat gewesen, wenn mich der Erdboden ver-
schlungen hätte, aber er tat es nicht, und ich blieb da, und der Kon-
sistorialrat hielt mir eine förmliche Predigt, und ich konnte kein
Wort erwidern, so vor den Kopf geschlagen war ich; auch hätte ich
den schnellen Fluß seiner Rede ja gar nicht unterbrechen können.
Aber was mache ich gegen diese entsetzliche Quälerei? Wie wehre
ich mich gegen Ziebolds Tücke?"
„Tun Sie, was Sie schon längst hätten tun sollen," rät Bückler.
„Schicken Sie dem Kerl einen Zahlungsbefehl!"
„Anmöglich! Dann würde ich mir vielleicht noch Schlimmeres
einrühren. Denken Sic doch, wenn mich dann Ziebold mit jemandem
trifft, vor dem er sich schon einmal produziert hat, etwa dem alten
Doktor Knagge — dann würde er sich natürlich hinstellen und
jammern: „Sie haben also doch keine Barmherzigkeit übe» wollen"
und so ähnlich. „Nein, das mache ich nicht!"
„Na, dann nicht!" sagt Bückler und zeigt jetzt seine schon ge-
rühmte Entschlossenheit. „Sie sollen mit Ziebold nichts mehr zu tun
haben. Bitte, geben Sie mir den Lappen von Schuldschein! So —
53
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"So, so" "Fritzchens Drohung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5113, S. 53
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg