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HERR FEDERLICH

Im L erbst 1942 hatte Lerr Sekretär Federlich einen Kochkurs
für Junggesellen mit Auszeichnung bestanden und damit seine Bil-
dung wesentlich bereichert. Mit den gewonnenen Kenntnissen und
Fähigkeiten war auch sein Selbstbewußtsein merklich angeschwollen.
Er sah mit mitleidiger Geringschätzung auf die armen Geschlechts-
genossen herab, die sich von andern nähren lassen mußten, dem
Säuglingsalter der Stillzeit gewissermaßen nie entwuchsen, also von
der Wiege bis zum Grabe ein Stilleben führten. Lerr Federlich
hatte das Stadium gastronomischer Unmündigkeit glücklich überwun-
den. „Selbst ist der Mann", das gilt vor allem von dem, der sein
eigener Koch ist. Wenn
der Mensch das ist, was
er ißt, erlag Lerr Feder-
lich keiner Täuschung
über sein wahres Wesen.

Er war wohl vertraut mit
den Stoffen, aus denen
er sich täglich neu ergänzte,
während seine ahnungs-
losen Kollegen Knopp und
Knapp sich fortgesetzt
Fremdkörper einverleib-
ten. Er besaß Kenntnisse,
übte Künste, vollbrachte
Leistungen, von denen die
wenigsten Männer eine
Ahnung hatten. Daß
Sekretäre schreiben konn-
ten, war selbstverständlich,
aber Puddings erstehen
zu lassen, Suppen und
Saucen zu dichten, das
vermochten in der Regel
nicht einmal Obersekre-
täre. Der neidigste Neid
mußte es Lerrn Federlich
lassen: Er war ein vielsei-
ttger, bedeutender, schöp-
ferischer Mensch. Seine
Selbstachtung, sein Künfilerstolz wuchsen mit jeder Mahlzeit, die er
hervorbrachte. Er führte den Kochlöffel gleich virtuos wie die Feder.
Wie genial er Eier zu rühren wußte, Schaum zu schlagen, Kartoffeln
zu Brei zu zermalmen! Mit der kochenden Land vervollkommnete
sich auch der kostende Gaumen. Lätte Grimod de la Reyniöre seine
gastronomische Akademie verwirklicht, Lerr Federlich hätte sicherlich
einen Lehrstuhl für Suppen und Saucen erhalten. Lätte Brillat-
Savarin das Glück seiner Zeitgenossenschaft genossen, Lerr Federlich
wäre in der „Physiologie des Geschmacks" verewigt.

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Aber auch ohne Literatur und Lehrstuhl blieb Lerrn Federlichs Koch'
genie nicht verborgen. DieWohlgerüche,die von seiner Küche ausgingen,
durchdufteten das ganze Laus. Frau Möller schnupperte: „Wer
kocht denn da so wohlriechend?" — „Ja, wissen Sie es noch nicht?"
flüsterte Frau Meier, „der Lerr Federlich hat kürzlich die Reife-
prüfung im junggeselligen Kochen bestanden."

Im ersten Stock wohnte Frau Dorothea Niedlich, eine finanziell
sehr wertvolle Witwe. Lerr Federlich erwies ihrem achtunggebie-
tenden Körperbau, wenn immer er ihm auf der Treppe begegnete,
alle gebührenden Ehre». And Frau Niedlich wogte an ihm stets

mit einem gnädigen Lä-
cheln vorüber. Eher Alt-
ais Junggeselle, hatte sich
Lerr Federlich längst mit
seinem weil» und wärme-
losen Dasein abgefunden
und daher zur Selbster-
zeugung der unentbehr-
lichen Kalorien ent-

schlossen. Er hatte mit sich
allein einen Lausstand ge-
gründet, da er sich ein dich-
ter bevölkertes Leim nicht
mehr zu erhoffen wagte-
Seit er seinen Bedarf an
Eiweiß, Fetten und

Kohlehydraten selbst er-
zeugte, war er nicht nur
in seiner eigenen Achtung
gestiegen, sondern auch in
der seiner weiblichen Mit-
menschen. In Federlich,
dem Koch, ehrten sie den
Berufsgenoffen, den Ka-
meraden. Die Weiblichkeit
des Laufes zog ihn jetzt
gern in Fachgespräche-
„Was kochen wir heute?"
befragte ihn oft FraN
Müller, Frau Maier bezog von ihm Kochrezepte, und Frau Schulze
beriet sich mit ihm über Reformen des Küchenzettels. Ja, selbst FraN
Niedlich geruhte freundlicher zu lächeln, seit er eigenhändig seinen
Nudelteig fabrizierte.

Wiewohl schon Mann im Ruhestande, besaß Lerr Federlich noch
männliche Witterung genug, subtile Anterschiede in den Sympathien
zu erspüren, die ihm neuerdings die Frauenwelt des Laufes ent-
gegenbrachte. Frau Müller, Meier und Schulze, ohnehin bemannt,
schätzten ihn als Fachgenossen. Anders aber Frau Niedlich. ö*c

Warum wollt’ ich Tor und Taps, ich dummer,
nur so lange in der Nacht verharren?
Warum hielt ein kläglich kleiner Kummer
mich bei hellem Tage noch zum Narren?

Weiter wär ich so getrottelt und geschwommen,
hätte Liebe nicht mit süßer Zange
mich gefaßt. Noch bin ich leicht benommen
und befremdet und ein wenig bange.

Doch ich habe vor, nicht auszuweichen,
wenn ein Scheusal kommt, mich zu verwirren.
Fröhlich schlag ich zu mit festen Streichen,
daß die Fetzen und die Funken schwirren.

Fely
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