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LANQWEILIQE QESCHICHTE

Von Ralph Urban

Zn einem Abteil zweiter Klasse wurden die Insassen von Gähn-
krämpfen geschüttelt, aber trotzdem vermochte noch niemand einzu-
schlafen. Nach achtstündiger Fahrt im »Zug befand man sich im
Aebergangsstadium von nervöser Abgespanntheit zu tödlicher Lang-
weile. Die Anwesenheit einer hübschen Frau, die ihrem dahindösenden
Gatten gegenüber saß, spornte die drei übrigen Lerren wenigstens
noch an, ab und zu einen verzweifelten Geistesblitz loszulassen.

„Einen Rekord von Langweile stellte ich einmal in Sardinien auf,"
erzählte gerade einer der Reisenden. „Ich hatte damals beruflich
mit den Bürgermeistern einiger Ortschaften der Insel zu tun, und
so reiste ich an einem Dienstagmorgen von Macomer mit dem Bähn-
lein nach Nuora. ,Wann geht ein Zug zurück?^ erkundigte ich mich
beim Stationsvorstand
vor meiner Abreise.

,La sera verso Ie sette I'
meinte der Beamte, wo-
raus ich schloß, daß der
Fahrplan nicht an über-
triebener Genauigkeit litt,
da der Zug zurück so
gegen sieben ging. Ra
schön. Ich komme also an
und erledige meine Ge-
schäfte. Dann saß ich ein
paar Stunden lang im
Gastzimmer einer Ler-
berge. Nachdem ich die
Fliegen gezählt hatte,
stierte ich eine Weile ver-
zweifelt vor mich hin.

Aus dieser Oedigkeit her-
aus befiel mich plötzlich
ein geradezu entsetzliches
Schlafbedürfnis. Also ließ
ich mir vom Wirt ein
Zimmer geben, um mich
eine Stunde aufs Ohr zu legen. Ich schlief wie noch nie in meinem
Leben. Daher kam es, daß ich den Wirt zum Teufel schickte, als er
mich auftragsgemäß wecken wollte. Da fuhr ich eben am nächsten
Morgen. Ich schlief auch wie ein Murmeltier bis in den jungen
Tag hinein. Nun fühlte ich mich aber frisch und stark und empfand
nur das eine Verlangen, so rasch wie möglich aus diesem langwei-
ligen Nest wegzukommen.

,Wann fährt der nächste Zug?^ fragte ich den Wirt beim Be-
treten der Gaststube.

,Sabato verso Ie sette/ — Sonnabend so gegen sieben — sagte
der freundliche Mann. Und wir hatten Mittwoch. Können Sie sich
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Rente hab ich iin Garten alle Blumen geschnitten.

Manche müde sind langsam zu meinen Füssen geglitten.

Was noch hinter mir wächst am verschlossenen Hause verlassen,
wird in Nebel und Nässe des dunkelnden Herbstes verblassen.

vorstellen, Lerrschaften, wie ich bis zum Abgang des nächsten Zuges
gelitten habe?"

„Kann ich mir vorstellen," meinte jetzt die hübsche Dame. „Aber
das langweiligste Abenteuer der Weltgeschichte habe bestimmt ich
erlebt. Wenn ich es Ihnen erzähle, dann schlafen Sie sicher ein."

„Wunderbar," sagte einer der Lerrn, „also dann Ios,gnädigeFrauI"

„Ich kam damals aus dem Pensionat," begann die Dame, „und
fuhr direkt nach einem bekannten Schweizer Kurort, wo ich mit
meiner Mutter zusammentreffen sollte. Im Lotel angekommen, fand
ich einen Brief von ihr vor, in dem sie mir mitteilte, daß sie erst in
zwei Tagen eintreffen würde, und daß ich sie erwarten sollte. Zum
erstenmal allein in meinem Leben, wollte ich die Freiheit benützen

und die große Dame spie-
len. Am Abend machte ich
daher ganz fein Toilette
und behängte mich mit
sämtlichen Schmuckstücken,
die ich besaß. Dann
rauschte ich in den Speise-
saal. Von der Umgebung
meines Tischchens war
ich enttäuscht. Ehepaare,
einige einzelne Damen
und etliche alte Lerren
mit eisgrauen Bärten,
deren Anblick zum Gähnen
reizte. Dann ging ich in
mein Zimmer. Es lag nach
rückwärts zur Bergseite
hinaus, eine Tür führte
zum Balkon, der die ganze
Front des Laufes entlang
lief. Ich dachte einen
Augenblick daran, die Tür
zu schließen, aber die Lust
roch so herrlich, daß ich
mich entschloß, offen zu lassen. Wer sollte mir auch schon etwas tun?
Ich legte mich also bei offener Balkontür zu Bett, drehte das Licht
ab und schlief ein.

Es muß schon spät nach Mitternacht gewesen sein, als ich plötz-
lich aufschreckte. Ein fremdes Geräusch, das mich geweckt hatte, lag
mir noch in den Ohren. Was war das? Ich richtete mich ein wenig
auf, um schärfer hören zu können, es war aber gar nicht notwendig,
denn ich sah es bereits: in der Balkontür erschien die breitschultrige
Silhouette eines Mannes und verharrte dort regungslos, als
lauschte der Mensch in das Zimmer hinein. Ich war so entsetzt, daß
ich nicht einmal zu schreien vermochte, dafür begann ich leicht zu

Uns hat der wedelnde Hund an den Wagen begleitet,

Abschied im ahnenden Blick, und der Weg hat sich weichend geweitet.

Richard von Schaukal
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Abreise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5119, S. 122

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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