o
Stille Teilhaber
Von Ralph Urban
Iönnson stand an einer Straßenbahn-Laltestelle der Gustav-
Vasa-Gatan in Stockholm und ließ seinen geschäftskundigen Blick
prüfend über die Wartenden gleiten. Eine alte Dame hatte ihre
gediegene Landtasche unter den Arm geklemmt, die zwei jungen
Mädchen lohnten sich sowieso nicht der Mühe, und der behäbige
Onkel, der soeben auf seine goldene Doppelmanteluhr gesehen hatte,
verschanzte sie dann wieder unter den Knopfreihen von Rock und
klebermantel. Die einfach gekleidete Frau dort, die soeben ihre
Landtasche öffnete und anscheinend das Fahrgeld zusammensuchte,
kam wohl kaum in Frage, aber Nachsehen sollte man trotzdem. Iönnson
schlenderte an ihr vorbei, prüfte mit geübtem Blick den Inhalt der
Lairdtasche und bekam sofort frohstnnige Nasenlöcher. Zwischen einem
säubern Taschentuch und einem Briefumschlag lächelten ihm zwei
gefaltete Lundertkronenscheine entgegen.
Die nächste Straßenbahn hielt und war ziemlich voll. Linker
jener Frau drängte Iönnson scharf
nach. Während seine linke Land
betont die Griffstange suchte, hatte
die rechte bereits den einfachen Ver-
schluß geöffnet und tastete jetzt eifrig
nach den Geldscheinen. Einer —
aha — der zweite. Jetzt die Tasche
rasch wieder zu, damit — oweh —
nun hatte die Frau was gemerkt,
sie suchte sich Luft zu machen, und
nun sah sie auch, daß die Tasche
offen war. Da gab es keine Zeit zu
verlieren. Eben setzte sich die Stra-
ßenbahn in Bewegung. Iönnson
murmelte ärgerlich etwas, als wäre
er in den falschen Wagen gestiegen,
und sprang ab. Machte dann eine
Wendung und strebte eilig der
nächsten Nebenstraße zu. Er hörte
hinter sich heftige Klingelzeichen und
kreischendes Bremsen der Straßen-
bahn, dann schrie auch schon jemand:
„Laltet den Dieb!" Iönnson kam
in Schwung. Als er aber um die
Ecke bog, sah er so hundert Schritte
vor sich den breiten Rücken eines
Polizisten. Eine kleine Tür in der
Mauer eines langgestreckten Ge-
bäudes — der Strolch drückte hastig
die Klinke — die Rettung, wenn
es eine gab. Die Tür hinter sich zu,
266
den Schlüssel an der Innenseite rumgedreht, dann machte er eine
Wendung und sah sich in einer Werkstätte zwei Männern gegenüber,
die ihn erstaunt betrachteten. Sie trugen Arbeitskleidung und waren
anscheinend damit beschäftigt gewesen, alte Kisten zu zerschlagen.
„Ich werde verfolgt," stammelte Iönnson, „ein persönlicher Feind,
der mir aus Eifersucht an den Kragen will. Laßt mich hier, sonst
bringt er mich um. Zwanzig Kronen für jeden von euch!"
Die Männer schwiegen und schüttelten ernst die Köpfe.
„Es geht um meine Laut, fünfzig für jeden I"
Die Männer schüttelten die Köpfe. Da wurden auch schon Rufe
von draußen laut,jemandversuchte die Klinke,man schlug gegendieTür.
„Pst," flüsterte der Strolch, „verratet mich nicht. Lier, mein
ganzes Geld!" Damit drückte er jedem der beiden einen Lundert-
Kronen-Schein in die Land. Etwas verwundert prüften die Männer
die Banknoten, nickten zufrieden lächelnd und steckten sie ein.
„Lier ist er nicht," rief draußen
eine energische Stimme, „die Tür
dürfte immer versperrt sein. Wir
müssen ihn auf der andern Seite
suchen —"
Iönnson atmete auf. Für dies-
mal war er mit einem blauen Auge
davongekommen. Schade allerdings
um den guten Fang. — Er setzte sich
auf eine der Kisten und wartete.
Die beiden Männer betrachteten ihn
noch eine Weile, nicht unfreundlich,
dann wandten sie sich schweigend ihrer
Arbeit zu. Rach einer Viertelstunde
öffnete er ein wenig die Tür, über-
zeugte sich so, daß die Luft draußen
inzwischen rein geworden war, und
schlüpfte hinaus. Als er drüben am
andern Gehsteig angelangt und da-
mit in Sicherheit war, begann er sich
grimmig zu ärgern, daß sich die bei-
den Kerle ihre stille Teilhaberschaft
so teuer hatten bezahlen lassen. Giftig
sah er nach jener Tür zurück, und dabei
erblickte er jetzt die Schrift, die sich
in großen Buchstaben oben längs des
Gebäudes hinzog. Kaum hatte sie
Iönnson gelesen, gab er sich selbst eine
schallende Ohrfeige. Die Schrift auf
dem Gebäude lautete: ,Städtische
Taubstummenanstalt".
Stille Teilhaber
Von Ralph Urban
Iönnson stand an einer Straßenbahn-Laltestelle der Gustav-
Vasa-Gatan in Stockholm und ließ seinen geschäftskundigen Blick
prüfend über die Wartenden gleiten. Eine alte Dame hatte ihre
gediegene Landtasche unter den Arm geklemmt, die zwei jungen
Mädchen lohnten sich sowieso nicht der Mühe, und der behäbige
Onkel, der soeben auf seine goldene Doppelmanteluhr gesehen hatte,
verschanzte sie dann wieder unter den Knopfreihen von Rock und
klebermantel. Die einfach gekleidete Frau dort, die soeben ihre
Landtasche öffnete und anscheinend das Fahrgeld zusammensuchte,
kam wohl kaum in Frage, aber Nachsehen sollte man trotzdem. Iönnson
schlenderte an ihr vorbei, prüfte mit geübtem Blick den Inhalt der
Lairdtasche und bekam sofort frohstnnige Nasenlöcher. Zwischen einem
säubern Taschentuch und einem Briefumschlag lächelten ihm zwei
gefaltete Lundertkronenscheine entgegen.
Die nächste Straßenbahn hielt und war ziemlich voll. Linker
jener Frau drängte Iönnson scharf
nach. Während seine linke Land
betont die Griffstange suchte, hatte
die rechte bereits den einfachen Ver-
schluß geöffnet und tastete jetzt eifrig
nach den Geldscheinen. Einer —
aha — der zweite. Jetzt die Tasche
rasch wieder zu, damit — oweh —
nun hatte die Frau was gemerkt,
sie suchte sich Luft zu machen, und
nun sah sie auch, daß die Tasche
offen war. Da gab es keine Zeit zu
verlieren. Eben setzte sich die Stra-
ßenbahn in Bewegung. Iönnson
murmelte ärgerlich etwas, als wäre
er in den falschen Wagen gestiegen,
und sprang ab. Machte dann eine
Wendung und strebte eilig der
nächsten Nebenstraße zu. Er hörte
hinter sich heftige Klingelzeichen und
kreischendes Bremsen der Straßen-
bahn, dann schrie auch schon jemand:
„Laltet den Dieb!" Iönnson kam
in Schwung. Als er aber um die
Ecke bog, sah er so hundert Schritte
vor sich den breiten Rücken eines
Polizisten. Eine kleine Tür in der
Mauer eines langgestreckten Ge-
bäudes — der Strolch drückte hastig
die Klinke — die Rettung, wenn
es eine gab. Die Tür hinter sich zu,
266
den Schlüssel an der Innenseite rumgedreht, dann machte er eine
Wendung und sah sich in einer Werkstätte zwei Männern gegenüber,
die ihn erstaunt betrachteten. Sie trugen Arbeitskleidung und waren
anscheinend damit beschäftigt gewesen, alte Kisten zu zerschlagen.
„Ich werde verfolgt," stammelte Iönnson, „ein persönlicher Feind,
der mir aus Eifersucht an den Kragen will. Laßt mich hier, sonst
bringt er mich um. Zwanzig Kronen für jeden von euch!"
Die Männer schwiegen und schüttelten ernst die Köpfe.
„Es geht um meine Laut, fünfzig für jeden I"
Die Männer schüttelten die Köpfe. Da wurden auch schon Rufe
von draußen laut,jemandversuchte die Klinke,man schlug gegendieTür.
„Pst," flüsterte der Strolch, „verratet mich nicht. Lier, mein
ganzes Geld!" Damit drückte er jedem der beiden einen Lundert-
Kronen-Schein in die Land. Etwas verwundert prüften die Männer
die Banknoten, nickten zufrieden lächelnd und steckten sie ein.
„Lier ist er nicht," rief draußen
eine energische Stimme, „die Tür
dürfte immer versperrt sein. Wir
müssen ihn auf der andern Seite
suchen —"
Iönnson atmete auf. Für dies-
mal war er mit einem blauen Auge
davongekommen. Schade allerdings
um den guten Fang. — Er setzte sich
auf eine der Kisten und wartete.
Die beiden Männer betrachteten ihn
noch eine Weile, nicht unfreundlich,
dann wandten sie sich schweigend ihrer
Arbeit zu. Rach einer Viertelstunde
öffnete er ein wenig die Tür, über-
zeugte sich so, daß die Luft draußen
inzwischen rein geworden war, und
schlüpfte hinaus. Als er drüben am
andern Gehsteig angelangt und da-
mit in Sicherheit war, begann er sich
grimmig zu ärgern, daß sich die bei-
den Kerle ihre stille Teilhaberschaft
so teuer hatten bezahlen lassen. Giftig
sah er nach jener Tür zurück, und dabei
erblickte er jetzt die Schrift, die sich
in großen Buchstaben oben längs des
Gebäudes hinzog. Kaum hatte sie
Iönnson gelesen, gab er sich selbst eine
schallende Ohrfeige. Die Schrift auf
dem Gebäude lautete: ,Städtische
Taubstummenanstalt".
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wartest du schon lange auf mich, Liebling?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5131, S. 266
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg