DER V A M P
Von Ralph 8rban
Marga tanzte mit der Leidenschaft einer Achtzehnjährigen. Ein-
mal von wegen des Tanzens, zweimal von wegen der Partner. Für
ein Mädchen von achtzehn Jahren gibt es bekanntlich nichts Inter-
essanteres als Männer, und der Tanz schafft unverbindliche Ge-
legenheit zur Erforschung dieser komischen Wesen. Das Mädchen
fühlt sich beim Tanz in ähnlich prickelnder Sicherheit wie der Afrika-
reisende, der in einem Panzerwagen sitzend von grimmigen Löwen
umringt wird.
„Darf ich birken?" sprach der Löwe und verneigte sich.
Marga blickte scheinbar gelangweilt durch ihn hindurch, stand
lässig auf, legte mit einer Bewegung, mit der man Äunde beim
Äaleband zu nehmen pflegt, die Land auf die Schulter des Part-
ners und schwebte in den Tango hinein. Genau so ganz große Dame
wie ihr Abgott, die dämonische Filmfchauspielerin, die sie sich zum
Vorbild genommen hatte.
Der Tänzer Margas war diesmal kein Jüngling, der nach Porto-
kasse roch, sondern ein Mann von dreißig Jahren. Seine Versuche,
das übliche halblaute Tanzgespräch in Schwung zu bringen, prallten
an dem undurchdringlichen Lächeln ab, das Marga von ihrer Film-
schauspielrrin hatte. Also nahm sich der Tänzer einen Anlauf und
ging gleich aufs Ganze. „Gnädiges Fräulein," sagte er schlicht, „die
Frau, die ich mir wünsche, müßte so aussehen wie Sie. Darf ich
Sie Wiedersehen?"
Marga erschauerte, denn zum erstenmal wurde sie sich der weib-
lichen Macht bewußt, die sogar ein kleines Mädchen über einen
großen, ausgewachsenen Mann triumphieren läßt. Daher sagte sie:
„Mein §>err, was fällt Ihnen eigentlich ein?"
Der Löwe brachte seine Dame schweigend an ihren Tisch
zurück.
„Der Mann sieht gut aus," sagte Frau Agnes, die zwar Mar-
gas Tante, aber selbst noch sehr jung war, und die den Elefanten
spielen mußte. „Was sagte er denn?"
„Er hat mir beinahe einen Leiratsantrag gemacht," meinte
Marga geringschätzig, „und er will mich natürlich Wiedersehen. Ich
denke nicht daran."
Sie dachte aber doch daran, als der Mann in der nächsten
halben Stunde mit anderen tanzte und sie keines Blickes würdigte.
Dann aber kam er sie wieder holen, und diesmal wurde so etwas
wie eine Verabredung daraus. „Vielleicht, mein Äerr!" meinte Marga
in dem Tonfall ihres großen Vorbildes und mit dem Versuch, den
unergründlichen Blick der Filmschauspielerin nachzuahmen.
Das Vielleicht kam am nächsten Tag pünktlich um fünf Ahr
zum Stelldichein. Marga hatte Besorgungen zu machen, und Lerr
Reitherr, wie der Mann hieß, durfte sie begleiten. Marga gab ihm
ein Päckchen zu tragen, dann noch eines und noch eines, und da er
stets dazu artig lächelte, bekam er zum Schluß auch das Netz, das
verschiedene nützliche Einkäufe enthielt. Komisch — dachte Marga —
so ein Mann ist gutmütig wie ei» treuer Kund. Ihr Machtgefühl
wuchs. „Bin ich ein Vamp?" fragte sie sich.
Lerr Reitherr lud sie zum Kaffee ein, und Marga ging mit ihn,
in eine Konditorei. Eine Blumenverkäuferin kam zum Tisch, und
der Mann kaufte seiner Dame einen Strauß herrlicher Rosen.
Marga dachte einen Augenblick lang angestrengt nach, wie sich in
diesem Fall ihr Vorbild, die große Filmschauspielerin, verhalten
würde, und dann begann sie auch schon, scheinbar zerstreut, die
schönen Blumen zu zerpflücken. And während sie mit abgrundtiefem
Lächeln Konversation machte, weidete sie sich an dem schmerzlichen
Zug um den Mund des Mannes anläßlich ihres Zerstörungswerkes.
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Ganz leer ging Tschungking nicht ausl“
Von Ralph 8rban
Marga tanzte mit der Leidenschaft einer Achtzehnjährigen. Ein-
mal von wegen des Tanzens, zweimal von wegen der Partner. Für
ein Mädchen von achtzehn Jahren gibt es bekanntlich nichts Inter-
essanteres als Männer, und der Tanz schafft unverbindliche Ge-
legenheit zur Erforschung dieser komischen Wesen. Das Mädchen
fühlt sich beim Tanz in ähnlich prickelnder Sicherheit wie der Afrika-
reisende, der in einem Panzerwagen sitzend von grimmigen Löwen
umringt wird.
„Darf ich birken?" sprach der Löwe und verneigte sich.
Marga blickte scheinbar gelangweilt durch ihn hindurch, stand
lässig auf, legte mit einer Bewegung, mit der man Äunde beim
Äaleband zu nehmen pflegt, die Land auf die Schulter des Part-
ners und schwebte in den Tango hinein. Genau so ganz große Dame
wie ihr Abgott, die dämonische Filmfchauspielerin, die sie sich zum
Vorbild genommen hatte.
Der Tänzer Margas war diesmal kein Jüngling, der nach Porto-
kasse roch, sondern ein Mann von dreißig Jahren. Seine Versuche,
das übliche halblaute Tanzgespräch in Schwung zu bringen, prallten
an dem undurchdringlichen Lächeln ab, das Marga von ihrer Film-
schauspielrrin hatte. Also nahm sich der Tänzer einen Anlauf und
ging gleich aufs Ganze. „Gnädiges Fräulein," sagte er schlicht, „die
Frau, die ich mir wünsche, müßte so aussehen wie Sie. Darf ich
Sie Wiedersehen?"
Marga erschauerte, denn zum erstenmal wurde sie sich der weib-
lichen Macht bewußt, die sogar ein kleines Mädchen über einen
großen, ausgewachsenen Mann triumphieren läßt. Daher sagte sie:
„Mein §>err, was fällt Ihnen eigentlich ein?"
Der Löwe brachte seine Dame schweigend an ihren Tisch
zurück.
„Der Mann sieht gut aus," sagte Frau Agnes, die zwar Mar-
gas Tante, aber selbst noch sehr jung war, und die den Elefanten
spielen mußte. „Was sagte er denn?"
„Er hat mir beinahe einen Leiratsantrag gemacht," meinte
Marga geringschätzig, „und er will mich natürlich Wiedersehen. Ich
denke nicht daran."
Sie dachte aber doch daran, als der Mann in der nächsten
halben Stunde mit anderen tanzte und sie keines Blickes würdigte.
Dann aber kam er sie wieder holen, und diesmal wurde so etwas
wie eine Verabredung daraus. „Vielleicht, mein Äerr!" meinte Marga
in dem Tonfall ihres großen Vorbildes und mit dem Versuch, den
unergründlichen Blick der Filmschauspielerin nachzuahmen.
Das Vielleicht kam am nächsten Tag pünktlich um fünf Ahr
zum Stelldichein. Marga hatte Besorgungen zu machen, und Lerr
Reitherr, wie der Mann hieß, durfte sie begleiten. Marga gab ihm
ein Päckchen zu tragen, dann noch eines und noch eines, und da er
stets dazu artig lächelte, bekam er zum Schluß auch das Netz, das
verschiedene nützliche Einkäufe enthielt. Komisch — dachte Marga —
so ein Mann ist gutmütig wie ei» treuer Kund. Ihr Machtgefühl
wuchs. „Bin ich ein Vamp?" fragte sie sich.
Lerr Reitherr lud sie zum Kaffee ein, und Marga ging mit ihn,
in eine Konditorei. Eine Blumenverkäuferin kam zum Tisch, und
der Mann kaufte seiner Dame einen Strauß herrlicher Rosen.
Marga dachte einen Augenblick lang angestrengt nach, wie sich in
diesem Fall ihr Vorbild, die große Filmschauspielerin, verhalten
würde, und dann begann sie auch schon, scheinbar zerstreut, die
schönen Blumen zu zerpflücken. And während sie mit abgrundtiefem
Lächeln Konversation machte, weidete sie sich an dem schmerzlichen
Zug um den Mund des Mannes anläßlich ihres Zerstörungswerkes.
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Ganz leer ging Tschungking nicht ausl“
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ganz leer ging Tschungking nicht aus!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5138, S. 5138_030
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg