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letzte Prüfung bestanden!

Von Josef Robert Sarrer

Irmengard — schon der Name allein war für Erich der Extrakt
ihres Wesens —, Irmengard hätte besser in Zeiten gepaßt, da die
Männer alles blindlings für die Liebe taten, alles ohne Ausnahme!
Aber da Erich vom Lühnerauge der kleinen Zehe bis zum wider-
spenstigen Wirbel auf dem Kopf in Irmengard verliebt war, glich
er immerhin einem der längst ausgestorbenen Minnehelden, und
deshalb tat er auch alles, auch das Unsinnige, das Irmengard als
Zeichen seiner stets beteuerten Liebe verlangte.

„Erich, von heute ab gibst du mir alle deine Zigaretten! Wenn
du mich liebst, darfst du nicht mehr rauchend

„Von Lerzen gerne, Irmengardchen! Ich habe mir ja vor Jahren
in der Volksschule das Rauchen nur angewöhnt, damit ich es ein-
mal für dich lassen kann!"

Oder: „Erich, es muß komisch sein, wenn du dich jetzt mitten auf
dem Stefansplatz auf die bloße Erde setzt und — "

„Gerne! Aber es ist keine Erde hier, sondern nur Asphalt!"
„Wortklaubereien liebt Irmengard nicht, verstanden! Es muß
also komisch sein, wenn du dich auf den asphaltierten Stefansplatz
niedersetzen und so tun möchtest, als ob du Fliegen fingest! Erich,
ich will etwas so Komisches sehen, jetzt, sofort, auf der Stelle! Oder
sind deine Liebesbeteuerungen wirklich nur hohle Worte?"

Erich glich einem armen Lund, als er Irmengard flehend an-
blickte, Irmengard aber, die Liebesprüfertn mit der Lartherzigkeit
entschwundener Jahrhunderte, funkelte Erich an. Die Blicke riefen:
„Nun, wird es?"

Ja, es wurde! Erich setzte sich nieder, stellt euch nur vor, mitten
auf dem Stefansplatz im Lerzen Wiens! Die Leute lachten. Man
murmelte etwas von einem armen Narren; einer rief nach einem

Polizisten, ein anderer nach einem Irrenarzt. Erich fing imaginäre
Fliegen, dann erhob er sich feuerrot vor Scham und sagte leise:

„Nun, Irmengard, bist du mit mir zufrieden?"

Irmengard sah ihn kalt an; sie verleugnete ihn und sagte:

„Mein Lerr, belästigen Sie mich nicht!"

Ein anderesmal auf dem Sportplatz. Es spielte Irmengards
Lieblingsmannschast Rapid. Deshalb war auch Erich Rapidanhänger
geworden. Rapids Mittelstürmer schoß ein Tor nach dem anderen.
Zehntausende jubelten begeistert. Auch Erich jubelte. Da zischte ihm
Irmengard zu:

„Beim nächsten Tor, das er schießt, schrei laut: ,Pfui, Binder!"

Erichs Blick streifte die Runde; er flehte: „Man wird mich er-
schlagen!" Irmengards harter Blick erwiderte: „Nuuuun?"

Der Mittelstürmer schoß das schönste Tor des Jahrhunderts;
Superlativisten würden gesagt habe», ein nie dagewesenes Tor.
Der Sportplatz tobte; sogar die 37 Anhänger des anderen Vereins
schüttelten über dieses Tor bewundernd den Kopf. Irmengards
Blick forderte Erich auf.

„Pfui, Binder!" flüsterte er, indem er sich klein machte.

„Lauter!" zischte Irmengard, das Wort mit einem Rippenstoß
garnierend. Da machte sich Erich noch kleiner; er kreischte:

„Pfui, Binder!"

. . . Als er sieben Wochen später halbwegs geheilt das Kranken-
haus verließ, trug er noch immer die Spuren der Liebe an sich,
die ihm jene zwei Worte von den andern Zuschauern eingetragen
hatten. Er traf sich mit Irmengard. Kopfschüttelnd sagte sie:

„Eigentlich sollte ich einen Menschen, der sich auf dem Sport-
platz derart benimmt, gar nicht mehr ansehen! Du Radaubruder!"

zäun ist so fremd und doch vertraut,
Vor allem sehr verwundert.

Hier aß man früher Sauerkraut —
Wie alles anders riecht und schaut
Nach einem halben Jahrhundert!

Man bleibt vor einem Haustor stehn,
Ganz zweifellos ernüchtert:

Hier ist zu Käthchen Tausendschön
Herzklopfend auf verzückten Zehn
Man einst hineingeschüchtert.

Stadt der Kindheit

Der Marktplatz ist ja winzig klein.
Und das Geschäft von Zanders
Mit flal im Fenster, Krebsen, Schlei’n,
Das war doch damals wirklich fein —
Heut ist ja alles anders!

Und während eine Trambahn kurvt
Und kreischt in ihren Ritzchen,

Da kommt ein ältrer Herr geschlurft.
Er hat von hier nie weggedurft —
Und das war einmal Fritzchen!

Man geht mit ihm die Straße hoch
Ins Weinlokal von Grüder
Und überlegt: Wie heißt du noch?
Und dann nach vielen „Weißt du noch?“
Trennt man sich traurig wieder.

Und während man zum Bahnhof schweift,
Spürt man im Hals was schnüren.

Ist man nun alt? Ist man „gereift“?
Nur schnell davon! Der D-Zug pfeift.
Und Türen fallen — Türen —

Artur Wagner

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