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Erlebnis in Venedig
Bvn Peter Robinson
Leute lacht der Oberforstrat Greber auch über die Geschichte,
aber damals — ach, das ist nun schon anderthalb Dutzend Jahre
Herl — als sie ihm in Venedig widerfuhr, hat er schrecklich gejammert.
Er hatte gerade sein Examen als Forstaffeffor glücklich fertiggebracht
und sich zur Belohnung eine Italienreise erlaubt, deren letzte Station
Venedig war. And da, einen Tag, ehe er wieder in die Leimat fuhr,
hatte er das Erlebnis.
Es war an einem der letzten Maitage um die Mittagsstunde und
schrecklich heiß. Gerade schlug es 12 Ahr. Die beiden Riesen auf der
Plattform des Ahrturms, des Torre dell’ Orologio, die mit gewal-
tigen Lämmern jeder auf eine Glocke hauen, hatten vielleicht noch
einen oder zwei Schläge zu tun, da kam der Forstaffeffor Greber
vom Markusplatz her angestürzt. Ich saß in dem Gärtchen hinter
den Alten Prokurazien am Bacino Orseolo, wo es damals gutes
Bier gab, und sah ihn heranjagen, als wäre es noch zur Zeit des
strengen Rats der Zehn, und als wollte er sich vor verfolgenden
Sbirren in das Gewimmel der
Gäßchen und Gänge flüchten.
Er hatte den Lut in der Land;
sein Laarschopf hing wild über
die Stirn bis an die stier blik-
kenden Augen. Ich rief ihn an,
und er ließ sich auf einen Stuhl
niederkrachen, dicht neben mir,
als wollte er Rettung und Lilfe
bei mir suchen.
„Sie hätten nicht ausgehen
sollen, Lerr Assessor/ meinte
ich. „Sie fühlen sich jetzt schlech-
ter, nicht wahr?" Er hatte mir
morgens beim Frühstück im
Lotel erzählt, daß er gar nicht
wohl wäre und etwas über 38
Grad hätte, was zu viel für die
Frühe war; wahrscheinllch hatte
er einen kleinen Grippeanflug.
Meine Frage nach seinem
Befinden ließ der Forstassessor
Greber unbeachtet. Er preßte
die Land gegen die Stirn, als
wollte er seinen Kopf zwingen,
eine Auskunft zu geben. „Ent-
setzlich! Grauenhaft! Wie kann
das sein? Gibt es wirklich Te-
lekinese? War es tatsächlich
mein Einfluß? Oder ist nur durch
einen ungeheuerlichen Zufall
74.
gerade heute der Mechanismus irgendwie in Anordnung geraten,
daß eine so gespenstische Erfüllung meines Wunsches sich ergab?
O Limmel!"
„Zeigen Sie mal Ihre Land her, Lerr Assessor!" sagte ich.
„Richtig: Sie haben hohes Fieber, Sie glühen ja."
„Selbstverständlich! Da würde jeder glühen, wenn er eben so
etwas erlebt hätte. Grauenhaft! And doch — ich habe recht gehabt.
Mein Wunsch ist verzeihlich gewesen und durchaus zu begreifen.
Andrerseits — diese furchtbare Wirkung! Sie ist eine schreckliche
Person; sie hat mir schöne Stunden der Reise verekelt, dieses Fräu-
lein Laura Knöpfler aus Apolda-aber durfte ich solch eine
Vergeltung begehren? Wie kann ich wieder Ruhe finden?"
Ich suchte ihn zu beruhigen. „Sie phantasieren, Lerr Assessor.
Sie sind krank, Sie haben eine Lalluzination gehabt."
„Ansinn! Ich kann Ihnen die Geschichte ganz klar erzählen; Sie
werden merken, daß ich nicht phantasiere. Passen Sie auf! Man
macht manchmal wider Willen
eine Reisebekanntschaft, nicht
wahr? Da läuft einem jemand
in den Weg, erkennt einen als
Landsmann, hat irgendwas zu
fragen und läßt einen dann nicht
wieder los. So ging mir das
mit der Laura Knöpfler aus
Apolda: In Bologna hat sie
mich angefallen. Ich stand da,
glücklich und ahnungslos, auf
dem Neptunplatz, da kam sie
auf mich zu, eine lange Stange
mit einem Gesicht wie eine Zi-
trone, aber eine schon etwas ver-
schrumpelte Zitrone. And baum-
wollene Landschuhe hatte sie an,
was mir widerwärtig ist. Aber
die werden vielleicht in Apolda
fabriziert. „Ach bitte," fragte
sie, „wo ist hier der Palast, in
dem der arme König Enzio ge-
fangen saß?"
Gut, ich zeigte ihr den Pa-
last, der aber nicht mehr nach
Enzios Zeiten ausfleht, denn sie
haben ihn renoviert, und dachte,
die Sache wäre erledigt. Aber
nein. Sie seufzte. „Also da hat
er geschmachtet, 23 Jahr« lang.
Der arme junge Mann!" And
„Peterle, du flunkerst, du bist die Lüge in Person."
„Unsinn, Lügen haben viel kürzere Beine als ich."
Erlebnis in Venedig
Bvn Peter Robinson
Leute lacht der Oberforstrat Greber auch über die Geschichte,
aber damals — ach, das ist nun schon anderthalb Dutzend Jahre
Herl — als sie ihm in Venedig widerfuhr, hat er schrecklich gejammert.
Er hatte gerade sein Examen als Forstaffeffor glücklich fertiggebracht
und sich zur Belohnung eine Italienreise erlaubt, deren letzte Station
Venedig war. And da, einen Tag, ehe er wieder in die Leimat fuhr,
hatte er das Erlebnis.
Es war an einem der letzten Maitage um die Mittagsstunde und
schrecklich heiß. Gerade schlug es 12 Ahr. Die beiden Riesen auf der
Plattform des Ahrturms, des Torre dell’ Orologio, die mit gewal-
tigen Lämmern jeder auf eine Glocke hauen, hatten vielleicht noch
einen oder zwei Schläge zu tun, da kam der Forstaffeffor Greber
vom Markusplatz her angestürzt. Ich saß in dem Gärtchen hinter
den Alten Prokurazien am Bacino Orseolo, wo es damals gutes
Bier gab, und sah ihn heranjagen, als wäre es noch zur Zeit des
strengen Rats der Zehn, und als wollte er sich vor verfolgenden
Sbirren in das Gewimmel der
Gäßchen und Gänge flüchten.
Er hatte den Lut in der Land;
sein Laarschopf hing wild über
die Stirn bis an die stier blik-
kenden Augen. Ich rief ihn an,
und er ließ sich auf einen Stuhl
niederkrachen, dicht neben mir,
als wollte er Rettung und Lilfe
bei mir suchen.
„Sie hätten nicht ausgehen
sollen, Lerr Assessor/ meinte
ich. „Sie fühlen sich jetzt schlech-
ter, nicht wahr?" Er hatte mir
morgens beim Frühstück im
Lotel erzählt, daß er gar nicht
wohl wäre und etwas über 38
Grad hätte, was zu viel für die
Frühe war; wahrscheinllch hatte
er einen kleinen Grippeanflug.
Meine Frage nach seinem
Befinden ließ der Forstassessor
Greber unbeachtet. Er preßte
die Land gegen die Stirn, als
wollte er seinen Kopf zwingen,
eine Auskunft zu geben. „Ent-
setzlich! Grauenhaft! Wie kann
das sein? Gibt es wirklich Te-
lekinese? War es tatsächlich
mein Einfluß? Oder ist nur durch
einen ungeheuerlichen Zufall
74.
gerade heute der Mechanismus irgendwie in Anordnung geraten,
daß eine so gespenstische Erfüllung meines Wunsches sich ergab?
O Limmel!"
„Zeigen Sie mal Ihre Land her, Lerr Assessor!" sagte ich.
„Richtig: Sie haben hohes Fieber, Sie glühen ja."
„Selbstverständlich! Da würde jeder glühen, wenn er eben so
etwas erlebt hätte. Grauenhaft! And doch — ich habe recht gehabt.
Mein Wunsch ist verzeihlich gewesen und durchaus zu begreifen.
Andrerseits — diese furchtbare Wirkung! Sie ist eine schreckliche
Person; sie hat mir schöne Stunden der Reise verekelt, dieses Fräu-
lein Laura Knöpfler aus Apolda-aber durfte ich solch eine
Vergeltung begehren? Wie kann ich wieder Ruhe finden?"
Ich suchte ihn zu beruhigen. „Sie phantasieren, Lerr Assessor.
Sie sind krank, Sie haben eine Lalluzination gehabt."
„Ansinn! Ich kann Ihnen die Geschichte ganz klar erzählen; Sie
werden merken, daß ich nicht phantasiere. Passen Sie auf! Man
macht manchmal wider Willen
eine Reisebekanntschaft, nicht
wahr? Da läuft einem jemand
in den Weg, erkennt einen als
Landsmann, hat irgendwas zu
fragen und läßt einen dann nicht
wieder los. So ging mir das
mit der Laura Knöpfler aus
Apolda: In Bologna hat sie
mich angefallen. Ich stand da,
glücklich und ahnungslos, auf
dem Neptunplatz, da kam sie
auf mich zu, eine lange Stange
mit einem Gesicht wie eine Zi-
trone, aber eine schon etwas ver-
schrumpelte Zitrone. And baum-
wollene Landschuhe hatte sie an,
was mir widerwärtig ist. Aber
die werden vielleicht in Apolda
fabriziert. „Ach bitte," fragte
sie, „wo ist hier der Palast, in
dem der arme König Enzio ge-
fangen saß?"
Gut, ich zeigte ihr den Pa-
last, der aber nicht mehr nach
Enzios Zeiten ausfleht, denn sie
haben ihn renoviert, und dachte,
die Sache wäre erledigt. Aber
nein. Sie seufzte. „Also da hat
er geschmachtet, 23 Jahr« lang.
Der arme junge Mann!" And
„Peterle, du flunkerst, du bist die Lüge in Person."
„Unsinn, Lügen haben viel kürzere Beine als ich."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Peterle, du flunkerst, du bist die Lüge in Person"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5142, S. 5142_074
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg