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Vas gute Herz
Von Wilhelm Lammond-Norden
Es war im Jahre 1930, in der Zeit des wirtschaftlichen Nieder-
gangs. Ich war damals kaufmännischer Angestellter bei Lagedorn
& Printer, und manchmal schickte mich mein Chef aufs Gericht,
wenn es galt, die sogenannten „kleinen Termine" wahrzunehmen,
Zahlungsklagen und dergleichen. Ich tat das sehr gern; denn es gab
da immer allerlei zu sehen und zu hören.
Wieder einmal saß ich im Sitzungsraum des Amtsgerichts, aber
ich war noch nicht an der Reihe. Der Amtsrichter rief auf: „Langer
gegen Brill!" An das Pult mit dem Schild „Beklagter" eilte mit
kleinen Schritten ein
zerfahren wirkendes
Männchen: Lerr
Brill, während auf
der anderen Seite,
groß und massig,
der Elektrotechniker
Langer stand.
Der Richter warf
einen Blick in die
Akten und sagte:
„Lerr Brill, stimmt
das: Lerr Langer
fordert von Ihnen
30 Mark für ausge-
führte Reparatur-
arbeiten in Ihrer
Wohnung?"
„Ja, das stimmt!"
„Warum haben
Sie noch nicht be-
zahlt?"
„Ich hatte kein
Geld!"
„Sie haben aber auch auf keine Mahnung geantwortet!"
„Was sollte ich antworten, Lerr Amtsrichter?"
„Lm. And wie denken Sie sich den weiteren Verlauf der Ange-
legenheit?"
Brill schwieg. Er dachte sich offenbar nichts.
Der Richter schlug vor: „Vielleicht in Raten?"
Brill bedauerte: „Ich habe kein Geld!"
„Was heißt das?"
„Ich habe in der vergangenen Woche den Offenbarungseid
geleistet!" Brill seufzte, als er das sagte, und, fast entschuldigend,
fügte er hinzu: „Leider!"
Der Richter sagte zu Langer: „Tja, Lerr Langer, das sieht
traurig aus für Sie. Viel wird da nicht zu holen sein. Einen Schuld-
titel bekommen Sie selbstverständlich, aber im übrigen . . ."
110
Die Parteien traten ab. Dann kam ich an die Reihe. „Lagedorn
& Printer gegen Kamp ermann!" Ich trat ans Pult. Lerr
Kampermann ließ sich nicht sehen. Da er auch nach einem zweiten
Aufruf nicht zum Vorschein kam, beantragte ich das Versäumnis-
urteil. Dann verließ ich den Raum.
Auf dem Flur fand ich Brill und Langer in lebhaftem Gespräch.
Das heißt, zunächst war es lediglich der Elektrotechniker, der redete.
Er hatte den zappeligen kleinen Mann am Arm gepackt und bear-
beitete ihn mit Worten: „Wissen Sie, ich habe für mancherlei Ver-
ständnis, und wenn
einer mal kein Geld
hat, dann braucht er
deshalb noch lange
kein Lump zu sein.
Aber Sie,mein Lerr,
Sie haben doch von
vornherein gewußt,
daß Sie nicht be-
zahlen können . . ."
Brill versuchte,
sich dem Griff des
kräftigen Elektro-
technikers zu entwin-
den, aber das gelang
ihm nicht. Er wollte
jetzt auch etwas
sagen, aber Langer
fuhr ihm in die
Rede:
„Widersprechen
Sie nicht, Mann,
auch das nehme ich
Ihnen nicht mal Übel, denn schließlich mußte die Reparatur ja
ausgeführt werden. Aber: daß Sie mich außerdem noch im Preis
gedrückt haben, Lerr Brill, das ist es, was ich Ihnen nachtrage.
Sie wissen doch wohl noch, daß ich erst 40 Mark für die Arbeit
haben wollte. Aber dann haben Sie gehandelt und gebettelt, bis
ich mit 30 Mark einverstanden war. Menschenskind, warum haben
Sie mir auch noch den Aerger bereitet — wenigstens das hatten
Sie doch nicht nötig. Ihnen konnte es doch gleichgültig sein, ob Sie
40 oder 30 Mark — nicht bezahlen!"
Da belehrte ihn der kleine Lerr Brill folgendermaßen: „Ja, sehen
Sie/Lerr Langer, das sagen Sie so. Natürlich, ich hätte es mir leicht
machen können, ich hätte nicht zu betteln und nicht zu handeln brauchen,
die Sache wäre viel glatter gegangen. Aber was kann einer für sein
gutes Lerz? Ich habe mir gesagt: sein Geld muß Lerr Langer ver-
lieren, dagegen läßt sich leider nichts machen, aber er soll wenigstens
’zcp
Frühjahrsmüde Schlänglein schälen sich und schlupfen
aus verschabten Schuppen mit verblaßten Tupfen.
Immer liegt metallenblank ein Ringelkleid
unter ihrer alten Narbenhaut bereit.
Spatz und Hahn und Adler plustern sich und werfen
ab versplissenes Gefieder. Blinde Kerfen
sprengen ihre Kerkerhülle: graues Ding
lebt und schwebt, ein schimmerschöner Schmetterling.
So in mir zerfällt zu totem Staub und Zunder
Schein und Schemen, nur das Wesen bleibt und Wunder.
Vom Gehäuse sind die Riegel abgestreift:
Seele, die befreite, singt und schwingt und schweift.
Willy Arndt
Vas gute Herz
Von Wilhelm Lammond-Norden
Es war im Jahre 1930, in der Zeit des wirtschaftlichen Nieder-
gangs. Ich war damals kaufmännischer Angestellter bei Lagedorn
& Printer, und manchmal schickte mich mein Chef aufs Gericht,
wenn es galt, die sogenannten „kleinen Termine" wahrzunehmen,
Zahlungsklagen und dergleichen. Ich tat das sehr gern; denn es gab
da immer allerlei zu sehen und zu hören.
Wieder einmal saß ich im Sitzungsraum des Amtsgerichts, aber
ich war noch nicht an der Reihe. Der Amtsrichter rief auf: „Langer
gegen Brill!" An das Pult mit dem Schild „Beklagter" eilte mit
kleinen Schritten ein
zerfahren wirkendes
Männchen: Lerr
Brill, während auf
der anderen Seite,
groß und massig,
der Elektrotechniker
Langer stand.
Der Richter warf
einen Blick in die
Akten und sagte:
„Lerr Brill, stimmt
das: Lerr Langer
fordert von Ihnen
30 Mark für ausge-
führte Reparatur-
arbeiten in Ihrer
Wohnung?"
„Ja, das stimmt!"
„Warum haben
Sie noch nicht be-
zahlt?"
„Ich hatte kein
Geld!"
„Sie haben aber auch auf keine Mahnung geantwortet!"
„Was sollte ich antworten, Lerr Amtsrichter?"
„Lm. And wie denken Sie sich den weiteren Verlauf der Ange-
legenheit?"
Brill schwieg. Er dachte sich offenbar nichts.
Der Richter schlug vor: „Vielleicht in Raten?"
Brill bedauerte: „Ich habe kein Geld!"
„Was heißt das?"
„Ich habe in der vergangenen Woche den Offenbarungseid
geleistet!" Brill seufzte, als er das sagte, und, fast entschuldigend,
fügte er hinzu: „Leider!"
Der Richter sagte zu Langer: „Tja, Lerr Langer, das sieht
traurig aus für Sie. Viel wird da nicht zu holen sein. Einen Schuld-
titel bekommen Sie selbstverständlich, aber im übrigen . . ."
110
Die Parteien traten ab. Dann kam ich an die Reihe. „Lagedorn
& Printer gegen Kamp ermann!" Ich trat ans Pult. Lerr
Kampermann ließ sich nicht sehen. Da er auch nach einem zweiten
Aufruf nicht zum Vorschein kam, beantragte ich das Versäumnis-
urteil. Dann verließ ich den Raum.
Auf dem Flur fand ich Brill und Langer in lebhaftem Gespräch.
Das heißt, zunächst war es lediglich der Elektrotechniker, der redete.
Er hatte den zappeligen kleinen Mann am Arm gepackt und bear-
beitete ihn mit Worten: „Wissen Sie, ich habe für mancherlei Ver-
ständnis, und wenn
einer mal kein Geld
hat, dann braucht er
deshalb noch lange
kein Lump zu sein.
Aber Sie,mein Lerr,
Sie haben doch von
vornherein gewußt,
daß Sie nicht be-
zahlen können . . ."
Brill versuchte,
sich dem Griff des
kräftigen Elektro-
technikers zu entwin-
den, aber das gelang
ihm nicht. Er wollte
jetzt auch etwas
sagen, aber Langer
fuhr ihm in die
Rede:
„Widersprechen
Sie nicht, Mann,
auch das nehme ich
Ihnen nicht mal Übel, denn schließlich mußte die Reparatur ja
ausgeführt werden. Aber: daß Sie mich außerdem noch im Preis
gedrückt haben, Lerr Brill, das ist es, was ich Ihnen nachtrage.
Sie wissen doch wohl noch, daß ich erst 40 Mark für die Arbeit
haben wollte. Aber dann haben Sie gehandelt und gebettelt, bis
ich mit 30 Mark einverstanden war. Menschenskind, warum haben
Sie mir auch noch den Aerger bereitet — wenigstens das hatten
Sie doch nicht nötig. Ihnen konnte es doch gleichgültig sein, ob Sie
40 oder 30 Mark — nicht bezahlen!"
Da belehrte ihn der kleine Lerr Brill folgendermaßen: „Ja, sehen
Sie/Lerr Langer, das sagen Sie so. Natürlich, ich hätte es mir leicht
machen können, ich hätte nicht zu betteln und nicht zu handeln brauchen,
die Sache wäre viel glatter gegangen. Aber was kann einer für sein
gutes Lerz? Ich habe mir gesagt: sein Geld muß Lerr Langer ver-
lieren, dagegen läßt sich leider nichts machen, aber er soll wenigstens
’zcp
Frühjahrsmüde Schlänglein schälen sich und schlupfen
aus verschabten Schuppen mit verblaßten Tupfen.
Immer liegt metallenblank ein Ringelkleid
unter ihrer alten Narbenhaut bereit.
Spatz und Hahn und Adler plustern sich und werfen
ab versplissenes Gefieder. Blinde Kerfen
sprengen ihre Kerkerhülle: graues Ding
lebt und schwebt, ein schimmerschöner Schmetterling.
So in mir zerfällt zu totem Staub und Zunder
Schein und Schemen, nur das Wesen bleibt und Wunder.
Vom Gehäuse sind die Riegel abgestreift:
Seele, die befreite, singt und schwingt und schweift.
Willy Arndt
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Erinnerung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5145, S. 5145_110
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg