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Zroci in einem Boot

Von Io LannS R»«ler

Vries Andergest nahm heute schneller, als er gewöhnt und es
sonst in den Lotels der kleinen Gebirgsseen üblich war, sein Früh-
stück. Ein leiser, warmer Regen fiel auf die Terrasse, der See hatte
einen hellgrünen Schimmer, gerade das richtige Wetter für einen leiden-
schaftlichen Angler. Schon wollte
sich Vries Andergest erheben und
mit einer leichten Verbeugung
an den anderen Äotelgästen vor-
überschreiten, als eine junge
Dame auf ihn zutrat.

„Wollen Sie mich nicht mit-
nehmen, Lerr Andergest?"

„Mitnehmen? Wohin?"

„Auf den See. Ich habe mein
Angelzeug schon bereit."

„Mit Vergnügen."

Man sah Andergest keines-
wegs das Vergnügen an, das
ihm die Begleitung der jungen
Dame versprach. Er erinnerte
sich nur, daß sie Erika hieß, und
daß er gestern abend einige
Tänze mit ihr getanzt hatte.

Wohl mehr aus Zufall, da sie
unweit von seinem Tisch mit
ihren Eltern Platz genommen
hatte. Aber auch dann, wenn
Erika ihm die Erfüllung einer
Sehnsucht bedeutet hätte, liebte
Andergest keineswegs eine Frau
im Boot, während er angelte.

Trotzdem erklärte er mit einem
höflichen Lächeln: „Mit Ver-
gnügen. Kommen Siel Gehen
wirl"

Zwei Stunden schon saßen
sie im schmalen Boot. Die Angel-
ruten hingen traurig in der
Windstille, und auch zwischen
den beiden Menschen hatte ein
Schweigen Platz gegriffen, das
so eng verwandt ist mit der
Einsamkeit des Wassers an stillen
Stellen.

Vries Andergest brach endlich
das Schweigen.

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„Sie lieben die Fischweid?" fragte er. — „Nein." — „Nein?"
„Zch finde Angeln entsetzlich!" — „Aber —"

Erika bog sich lachend zurück. — „Warum sehen Sie mich so
erstaunt an, Andergest? Glauben Sie wirklich, ich bin mit Ihnen

auf den See gefahren, um zu
angeln?"

„Natürlich glaube ich das."
Erika strich sich eine dichte
Strähne ihres Äaares aus der
Stirn.

„Sie sind ein wundervoller
Mensch, Andergest," sagte sie,
„Sie gefallen mir ausgezeichnet.
Vom Angeln mögen Sie etwas
verstehen, aber von Frauen und
jungen Mädchen verstehen Sie
nichts."

Andergest schwieg.

Verärgert zog er die Schnur
aus dem Wasser und warf sie
in einem weiten Bogen wieder
in den See.

„And Sie glauben," sagte er
spöttisch, „Sie glauben, daß ich
jetzt - nach Ihrer liebenswürdigen
Einladung — nach Ihrer deut-
lichen Aufforderung —"

Ich glaube es nicht. Aber
Mama glaubt es."

„Ihre Mutter?"

„Ja. Mama möchte mich gern
verheiraten. Deswegen sind wir
diesen Sommer hierhergefahren.
Da erschienen Sie auf der Bild-
fläche. Sie gefielen Mama so-
fort. Außerordentlich sogar. Sie
sind reich, wir sind arm. Ist es
da nicht selbstverständlich, daß
mir Mama sofort ein Angelzeug
kaufte und mir befahl, mit Ihnen
angeln zu gehen?"

Andergest sah erstaunt auf
Erika.

„Ich bewundere Ihre Offen-
heit."

„Sie brauchen sie nicht zu
bewundern. — „Nein."

Wir gleiten wie Schiffe im Nebel
Arteinander vorbei.

Wir möchten uns winken und rufen:
Schiff ahoi! Schiff ahoi !

Es fliegen wie Flaggengrüße
Manchmal Zeichen uns zu.
Und eins der stummen Worte
Heißt: Ich liebe dich, du!

Aber es gibt keinen Weg hinüber.
Abschied winke ich wie ein Kind
Lautlos gleitet dein Schiff vorüber,
Und meine Antwort verweht der Wind.

Droben schimmern die ewigen Sterne.

Einsam bin ich in Litst und Pein.
Unerbittlich verschlingt dich die Feme,
Einsam gleit ich ins Dunkel hinein.

Wir gleiten wie Schiffe im Nebel
Aneinander vorbei.

Wir möchten uns winken und rufen:
Schiff ahoi! Schiff ahoi!-

Wir kennen nicht Weg noch Hafen,

Und nicht der Reise Sinn.

Wir fahren wie Schiffe im Nebel

Und niemand weiß, wohin. A. W.
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