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Anteils neuer Freund, der Steuerreferent
Von Josef Robert Larrer
Antal grübelt vor sich hin. Da hat man alte Freunde, mit
denen man vor Jahren auf einer Schulbank saß, denen man bei den
Prüfungen getreu und nicht immer falsch einsagte, mit denen man
während der Lomerstunde — wann und wo rief Odysseus zum
siebenundzwanzigstenmal Aphrodite an? — herrliche Zukunftspläne
zusammenphantasierte: und was muß man jetzt mit diesen alten
Freunden erleben? Wie
haben sich die Zeiten ge-
ändert? Es ist, als habe
sich eine düstere Wolke über
den blühenden Garten der
Freundschaft gebreitet.
Ianos zum Beispiel, der
unzertrennliche Freund der
Jugendzeit, hat eine präch-
tige Anstellung gefunden;
als leitender Direktor
eines Großunternehmens
verdient er im Monat
mehr als Antal im ganzen
Jahr. And eben kommt
Antal von ihm. Kühl und
fremd hatte ihn Ianos
empfangen; während Antal
mit seiner Bitte auf den
Lippen neben ihm stand,
hatteJanos fortwährend zu
telephonieren. Antal hatte
verbittert geschwiegen;
denn wahre Freunde tele»
phonieren nie, wenn ein
Freund bei ihnen ist.
And warum hatte Antal
überhaupt den groß ge-
wordenen Ianos ausge-
sucht? Ach, Antal hatte
am Morgen eine amtliche
Vorladung zur Steuer-
behörde erhalten. Rur
Ianos konnte ihm helfen,
aber Ianos hörte ihm
nicht einmal zu. And nun
grübelt Antal vor sich hin.
Nein, weit und breit kein
Freund, der einem helfen,
der einen trösten könnte Sein oder „nicht sein,"
oder auch nur wollte! Nun ist Antal ein verlassenes Lamm, das zur
Schlachtbank geschleppt wird. Wäre man nur einer, der geschleppt
wird! Da könnte man wenigstens glauben, man weiche nur dem
Zwange! So aber muß man selbst gehe», und niemand ist nahe, der
einem auf diesem harten Wege Freund wäre! Antal macht sich also
auf den Weg, einsam, verlassen, allein ... — Läufer, in denen Steuer-
behörden wohnen, sind
außen nicht anders als
Läufer, in denen nette
Mädchen dem Verliebten
die Wangen streicheln. In-
nen aber sind diese Läufer,
in deren viertem Stockwerk
die Steuerreferenten die
Messer wetzen, unheimlich.
Das Tor saugt Antal ein,
sauerstoffarme Luft legt
sich um ihn. And obwohl
das Leben mit starken
Armen wieder auf die
Straße zurückziehen möch-
te, steht Antal im Land-
umdrehen vor der Türe
3789. Schwer atmend tritt
er ein. Im Zimmer sitzt ein
Lerr. DieSonnescheintauf
seinen schwarzen Schnurr-
bart; eben so scheint sie auf
die schwarzen Locken der
reizenden Irma. Aber wo
ist jetzt Irma? Schon ent-
schwindet Antal das holde
Mädchenbild; denn der
Steuerreferent fragt: „Sie
wünschen?"
„Ich, ich habe eine Vor-
ladung bekommen." Er
überreicht sie. Der Lerr mit
dem versonnten Schnurr-
bart lädt Antal zum Sitzen
ein und blättert in den
Akten. Er zieht ein Blatt
heraus und sagt lächelnd:
„IhrEinkommenbekennt-
nis stimmt nicht!Erschrecken
das ist hier die Frage. Sie nur nicht!"
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Anteils neuer Freund, der Steuerreferent
Von Josef Robert Larrer
Antal grübelt vor sich hin. Da hat man alte Freunde, mit
denen man vor Jahren auf einer Schulbank saß, denen man bei den
Prüfungen getreu und nicht immer falsch einsagte, mit denen man
während der Lomerstunde — wann und wo rief Odysseus zum
siebenundzwanzigstenmal Aphrodite an? — herrliche Zukunftspläne
zusammenphantasierte: und was muß man jetzt mit diesen alten
Freunden erleben? Wie
haben sich die Zeiten ge-
ändert? Es ist, als habe
sich eine düstere Wolke über
den blühenden Garten der
Freundschaft gebreitet.
Ianos zum Beispiel, der
unzertrennliche Freund der
Jugendzeit, hat eine präch-
tige Anstellung gefunden;
als leitender Direktor
eines Großunternehmens
verdient er im Monat
mehr als Antal im ganzen
Jahr. And eben kommt
Antal von ihm. Kühl und
fremd hatte ihn Ianos
empfangen; während Antal
mit seiner Bitte auf den
Lippen neben ihm stand,
hatteJanos fortwährend zu
telephonieren. Antal hatte
verbittert geschwiegen;
denn wahre Freunde tele»
phonieren nie, wenn ein
Freund bei ihnen ist.
And warum hatte Antal
überhaupt den groß ge-
wordenen Ianos ausge-
sucht? Ach, Antal hatte
am Morgen eine amtliche
Vorladung zur Steuer-
behörde erhalten. Rur
Ianos konnte ihm helfen,
aber Ianos hörte ihm
nicht einmal zu. And nun
grübelt Antal vor sich hin.
Nein, weit und breit kein
Freund, der einem helfen,
der einen trösten könnte Sein oder „nicht sein,"
oder auch nur wollte! Nun ist Antal ein verlassenes Lamm, das zur
Schlachtbank geschleppt wird. Wäre man nur einer, der geschleppt
wird! Da könnte man wenigstens glauben, man weiche nur dem
Zwange! So aber muß man selbst gehe», und niemand ist nahe, der
einem auf diesem harten Wege Freund wäre! Antal macht sich also
auf den Weg, einsam, verlassen, allein ... — Läufer, in denen Steuer-
behörden wohnen, sind
außen nicht anders als
Läufer, in denen nette
Mädchen dem Verliebten
die Wangen streicheln. In-
nen aber sind diese Läufer,
in deren viertem Stockwerk
die Steuerreferenten die
Messer wetzen, unheimlich.
Das Tor saugt Antal ein,
sauerstoffarme Luft legt
sich um ihn. And obwohl
das Leben mit starken
Armen wieder auf die
Straße zurückziehen möch-
te, steht Antal im Land-
umdrehen vor der Türe
3789. Schwer atmend tritt
er ein. Im Zimmer sitzt ein
Lerr. DieSonnescheintauf
seinen schwarzen Schnurr-
bart; eben so scheint sie auf
die schwarzen Locken der
reizenden Irma. Aber wo
ist jetzt Irma? Schon ent-
schwindet Antal das holde
Mädchenbild; denn der
Steuerreferent fragt: „Sie
wünschen?"
„Ich, ich habe eine Vor-
ladung bekommen." Er
überreicht sie. Der Lerr mit
dem versonnten Schnurr-
bart lädt Antal zum Sitzen
ein und blättert in den
Akten. Er zieht ein Blatt
heraus und sagt lächelnd:
„IhrEinkommenbekennt-
nis stimmt nicht!Erschrecken
das ist hier die Frage. Sie nur nicht!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sein oder 'nicht sein', das ist hier die Frage"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5149, S. 5149_158
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg