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DER HUND
Von Alfred Richter
Zwackes erschienen unangemeldet bei dem sehr fernen Vetter
Edmund Grieselpohl auf dem Lande. Warum? Darum. Sie wollten
ihn eben mal besuchen.
Es war sehr, sehr lange her, seitdem man sich das letztemal
die Land gedrückt hatte. Aber diesen Brauch wollten Zwackes nun
endlich erneuern. Das letzte Zusammentreffen war bei Verwandten
anderswo gefeiert worden, bei einem Lochzeilsfest. Noch nie hatten
Zwackes die Grieselpohlschen bisher besucht. Sie kamen mit der
Eisenbahn gefahren und fragten sich in dem Dorf nach dem Griesel-
pohlschen Anwesen durch.
Das erste, was ihnen an dem Zaun des großen Vorgartens
auffiel, war ein mächtiges Schild: „Vorsicht! Bissiger Lund!"
Die Aussicht aus den rasenden Empfang durch einen Molosser
stimmte die Wiedersehensfreude herab und die Bänglichkeit hinauf.
An der Gartentür war ein weiteres Schild: „Achtung! Lund
beißt!" „Das scheint ja ein schönes Vieh zu sein," meinte Frau
Zwacke verzagt. Sie klinkten auf und traten vorsichtig ein. Noch
bellte der Zerberus nicht. Vielleicht lag er aber schon irgendwo
auf der Lauer. Zwackes blickten unsicher umher. Schließlich schritten
sie auf das Laus zu. An der Laustür hing ein Schild: „Bitte, den
Lund ja nicht zu reizen!!" Das Wörtchen ja war blau und rot
dick unterstrichen. „Ich glaube, wir kehren wieder um," schlug Frau
Zwacke vor. „Ansinn," polterte Zwacke, aufs übelste gelaunt durch
dieses Trommelfeuer von Warnungen vor dem Lunde, „sind wir
glücklich hergereist, werden wir wohl ausgerechnet vor der Laustür
wieder umkehren I So siehst du aus! Wenn du solche Angst hast,
dann warte hier draußen. Ich gehe allein 'rein."
„Ich habe keine Angst," verteidigte sich Frau Zwacke beleidigt,
„aber wenn er mir mein gutes Kleid zerreißt, dann bist du der
letzte, der sagt: Komm, ich kauf' dir ein neues!"
„Er hat es ja vorläufig noch nicht zerriffen," entschied Zwacke
mit männlicher Aeberlegenheit, aber man sah es ihm an, daß doch
auch er hineinhorchte ins Laus, ob der Köter nicht vielleicht doch
schon hinter der Tür lechzte und nur darauf wartete, daß geöffnet
würde, um dann herauszubrausen wie ein Bergföhn bei Märzbeginn.
Anheimlicherweise rührte sich aber nichts. Frau Zwacke konnte die
Spannung nicht mehr ertragen und packte ihren Mann am Arm.
„Was hast du denn?" fuhr er sie nervös an. „Du zitterst ja?"
„Ich kann ihm ja vielleicht den aufgespannten Schirm entgegen-
halten ?" meinte sie stotternd und starrte immerfort auf die Türritze.
„Tu's," sagte Zwacke kategorisch, „besser der Schirm geht zum
Teufel, als der ganze Kerl."
„Danke für die Löflichkeit," erwiderte Frau Zwacke ihm pikiert
und spannte ihren Schirm auf.
Dann klinkten sie auf und traten ein. Zwacke voran, obgleich
er natürlich wußte, daß Damen der Vortritt gehört, selbst bei Ehe-
frauen. Er war aber bereit, sich zu opfern, denn im Grunde tat
ihm seine Alma ja doch leid.
Es geschah aber gar nichts weiter, als daß eine Zimmertür
aufging und der höchst erstaunte Vetter Grieselpohl in Lebensgröße
im Rahmen erschien, auch sogleich beide Länve zur Begrüßung
ausstreckte und nach seiner Frau rief. Zwackes waren aber gar nicht
bei der Sache und spähten zwischen den Worten immerzu umher,
wie der selige Winnetou auf der Trapperfährte. „Was habt ihr
denn?" erkundigte sich Grieselpohl verwundert, „habt ihr was ver-
loren? And hat's denn geregnet, daß du den Schirm auf hast?"
„Nein, aber euer Lund!"
„Anser Lund?" Grieselpohl sah seine Frau an, und dann lachten
sie beide. „Er tut euch nichts," rief Grieselpohl, „kommt nur wieder
zu euch. Tretet erst mal ein." Er schob sie in die Stube, aber
Zwackes hefteten ihre Blicke sogleich unter den Tisch. Dort Pflegen
tückische Lunde ja zu sitzen und auf Beute zu warten in Gestalt von
Waden oder wenigstens von Strumpfmaschen, die zur Zeit genau
so wertvoll sind. Da zwinkte Vetter Grieselpohl seiner guten Ehe-
hälfte zu, weil er selbst nicht recht damit herauswollte, und so sagte
sie ein wenig stockend: „Lier am Ort ist nämlich die Lundesteuer
so teuer, volle 60 Mark." — „Die drei Warnungsschilder sind billiger,"
fügte Vetter Grieselpohl sachlich hinzu. „Ihr habt wohl Angst ge-
habt, Leutchen?"
„And wie I" fuhr es dem entrüsteten Zwacke heraus. Alma Zwacke
schluckte überhaupt nur vor Empörung, aber auch vor Erleichtertsein,
ehrlich gestanden.
„Das geht allen Leuten so," begütigte der gute Vetter Griesel-
Pohl, „seht ihr, und deshalb brauchen wir ja auch gar keinen Lund!"
MflIMORGEN
In hellem Tau
Der Himmel glänzt,
Es zwitschert sanft
frisch grün und blau
mit Flaum bekränzt,
vom Gartenranft
ist über Nacht
im Laub gelind
Nun, Herzenshauch,
der Mai erwacht.
wiegt sich der Wind.
entström du auch!
Richard von Schaukal
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DER HUND
Von Alfred Richter
Zwackes erschienen unangemeldet bei dem sehr fernen Vetter
Edmund Grieselpohl auf dem Lande. Warum? Darum. Sie wollten
ihn eben mal besuchen.
Es war sehr, sehr lange her, seitdem man sich das letztemal
die Land gedrückt hatte. Aber diesen Brauch wollten Zwackes nun
endlich erneuern. Das letzte Zusammentreffen war bei Verwandten
anderswo gefeiert worden, bei einem Lochzeilsfest. Noch nie hatten
Zwackes die Grieselpohlschen bisher besucht. Sie kamen mit der
Eisenbahn gefahren und fragten sich in dem Dorf nach dem Griesel-
pohlschen Anwesen durch.
Das erste, was ihnen an dem Zaun des großen Vorgartens
auffiel, war ein mächtiges Schild: „Vorsicht! Bissiger Lund!"
Die Aussicht aus den rasenden Empfang durch einen Molosser
stimmte die Wiedersehensfreude herab und die Bänglichkeit hinauf.
An der Gartentür war ein weiteres Schild: „Achtung! Lund
beißt!" „Das scheint ja ein schönes Vieh zu sein," meinte Frau
Zwacke verzagt. Sie klinkten auf und traten vorsichtig ein. Noch
bellte der Zerberus nicht. Vielleicht lag er aber schon irgendwo
auf der Lauer. Zwackes blickten unsicher umher. Schließlich schritten
sie auf das Laus zu. An der Laustür hing ein Schild: „Bitte, den
Lund ja nicht zu reizen!!" Das Wörtchen ja war blau und rot
dick unterstrichen. „Ich glaube, wir kehren wieder um," schlug Frau
Zwacke vor. „Ansinn," polterte Zwacke, aufs übelste gelaunt durch
dieses Trommelfeuer von Warnungen vor dem Lunde, „sind wir
glücklich hergereist, werden wir wohl ausgerechnet vor der Laustür
wieder umkehren I So siehst du aus! Wenn du solche Angst hast,
dann warte hier draußen. Ich gehe allein 'rein."
„Ich habe keine Angst," verteidigte sich Frau Zwacke beleidigt,
„aber wenn er mir mein gutes Kleid zerreißt, dann bist du der
letzte, der sagt: Komm, ich kauf' dir ein neues!"
„Er hat es ja vorläufig noch nicht zerriffen," entschied Zwacke
mit männlicher Aeberlegenheit, aber man sah es ihm an, daß doch
auch er hineinhorchte ins Laus, ob der Köter nicht vielleicht doch
schon hinter der Tür lechzte und nur darauf wartete, daß geöffnet
würde, um dann herauszubrausen wie ein Bergföhn bei Märzbeginn.
Anheimlicherweise rührte sich aber nichts. Frau Zwacke konnte die
Spannung nicht mehr ertragen und packte ihren Mann am Arm.
„Was hast du denn?" fuhr er sie nervös an. „Du zitterst ja?"
„Ich kann ihm ja vielleicht den aufgespannten Schirm entgegen-
halten ?" meinte sie stotternd und starrte immerfort auf die Türritze.
„Tu's," sagte Zwacke kategorisch, „besser der Schirm geht zum
Teufel, als der ganze Kerl."
„Danke für die Löflichkeit," erwiderte Frau Zwacke ihm pikiert
und spannte ihren Schirm auf.
Dann klinkten sie auf und traten ein. Zwacke voran, obgleich
er natürlich wußte, daß Damen der Vortritt gehört, selbst bei Ehe-
frauen. Er war aber bereit, sich zu opfern, denn im Grunde tat
ihm seine Alma ja doch leid.
Es geschah aber gar nichts weiter, als daß eine Zimmertür
aufging und der höchst erstaunte Vetter Grieselpohl in Lebensgröße
im Rahmen erschien, auch sogleich beide Länve zur Begrüßung
ausstreckte und nach seiner Frau rief. Zwackes waren aber gar nicht
bei der Sache und spähten zwischen den Worten immerzu umher,
wie der selige Winnetou auf der Trapperfährte. „Was habt ihr
denn?" erkundigte sich Grieselpohl verwundert, „habt ihr was ver-
loren? And hat's denn geregnet, daß du den Schirm auf hast?"
„Nein, aber euer Lund!"
„Anser Lund?" Grieselpohl sah seine Frau an, und dann lachten
sie beide. „Er tut euch nichts," rief Grieselpohl, „kommt nur wieder
zu euch. Tretet erst mal ein." Er schob sie in die Stube, aber
Zwackes hefteten ihre Blicke sogleich unter den Tisch. Dort Pflegen
tückische Lunde ja zu sitzen und auf Beute zu warten in Gestalt von
Waden oder wenigstens von Strumpfmaschen, die zur Zeit genau
so wertvoll sind. Da zwinkte Vetter Grieselpohl seiner guten Ehe-
hälfte zu, weil er selbst nicht recht damit herauswollte, und so sagte
sie ein wenig stockend: „Lier am Ort ist nämlich die Lundesteuer
so teuer, volle 60 Mark." — „Die drei Warnungsschilder sind billiger,"
fügte Vetter Grieselpohl sachlich hinzu. „Ihr habt wohl Angst ge-
habt, Leutchen?"
„And wie I" fuhr es dem entrüsteten Zwacke heraus. Alma Zwacke
schluckte überhaupt nur vor Empörung, aber auch vor Erleichtertsein,
ehrlich gestanden.
„Das geht allen Leuten so," begütigte der gute Vetter Griesel-
Pohl, „seht ihr, und deshalb brauchen wir ja auch gar keinen Lund!"
MflIMORGEN
In hellem Tau
Der Himmel glänzt,
Es zwitschert sanft
frisch grün und blau
mit Flaum bekränzt,
vom Gartenranft
ist über Nacht
im Laub gelind
Nun, Herzenshauch,
der Mai erwacht.
wiegt sich der Wind.
entström du auch!
Richard von Schaukal
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