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Vas geänderte Teftament

Von Peter Robinson

Eine Stunde vor seinem sehr sanften Abscheiden verriet der alte
Daniel Lagendorp in der kleinen Stadt Müskenburg seinem herbei-
geeilten Neffen Cornelius, warum er ihn — es war erst eine Woche
vorher geschehen — doch zu seinem Erben eingesetzt hatte. „Obwohl
du Windhund es eigentlich nicht verdient hättest/ sagte er, „aber
du wirst dich wohl bessern/ Ja, zuerst hatte er es anders bestimmt
gehabt, doch dann hatte er das eben zu Protokoll gegebene Testa-
ment durch ein anderes ersetzt,
und der Amstand, der diese ihm
jetzt ganz richtig scheinende Land-
lung bewirkt hatte, ließ ihn — so
gut haben es wenige! — mit
einem herzlichen Lächeln diese
Welt verlaffen. Später, nach
langen Jahren, hat dann Corne-
lius Lagendorp, der gar nicht
ein so schlimmer Windhund war
und ein tüchtiger Mann, ja schließ-
lich sogar Ehrenbürger von Müs-
kenburg wurde, davon erzählt,
und jene, die es erzählt bekamen,
haben es der nächsten Generation
berichtet. Denn in einer kleinen
Stadt, wo wenig vvrfällt, ver-
erben sich die Geschichten von
merkwürdigen Geschehnissen, und
so kommt es, daß man noch heute
in Müskenburg vom Kreisrichter
Ahlmann erzählt, obwohl es schon
lange keine Kreisgerichte mehr
gibt. Denn eben dem Kreisrichter
Ahlmann hat Cornelius Lagen-
dorp eigentlich seine Erbschaft
verdankt.

Der Kreisrichter Ahlmann
hatte in dem kleinen Iustizbe-
ttiebe Müskenburgs die Nachlaß-
und Vormundschaftssachen und
die Angelegenheiten der soge-
nannten freiwilligen Gerichts-
barkeit zu erledigen. Er hatte
darum ersucht, nachdem er nur
ein Jahr lang der Entscheidung
von Prozessen obgelegen hatte.

Dabei hatte er sich aber nicht
wohl gefühlt. Es hatte ihm zu
oft leid getan, daß notwendiger
Weise eine Partei verlieren
mußte, denn einen wohltuenden
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Vergleich herbeizuführe», fehlte es ihm ganz und gar an Aeberre-
dungskunst. Ach, und diese häufigen Schwierigkeiten der Beweis-
erhebung! Da kränkte es ihn, wenn Leute mit listigen, ja boshaften
Einwänden kamen, wenn lächerliche Ausreden vorgebracht wurden,
und was es sonst noch an Proben menschlicher Anredlichkeit gab.
And wenn er gar aus einen zum Beweise dienenden Eid erkennen
mußte, weil eS gar nicht anders ging — o, dann konnte er die Nacht

darauf nicht schlafen aus Sorge,
daß er vielleicht einen Anrecht in
Recht verkehrenden Meineid ver-
anlaßt hatte. And darum hatte
er von Prozessen nichts mehr
wissen wollen.

Aber auch mit seinem neuen
Wirkungskreise war er nicht recht
zufrieden. Vielleicht hätte es
überhaupt kein für ihn passendes
Amt, keinen ihm ganz zusagenden
Beruf gegeben, denn überall kann
einmal etwas versehen oder
versäumt werden, und davor
hatte der Lerr Kreisrichter Ahl-
mann ständige Angst. Vielleicht
wirkte in seinem Anterbewußt-
sein ein der Erinnerung schon
entrückter Vorfall aus frühester
Kindheit nach; vielleicht war er
da einmal wegen eines Versehens
oder Versäumnisses geprügelt
worden, oder was es sonst für
einen Grund gehabt haben mag.
In Müskenburg waren die Leute
in der Friedländer Straße, wo
Ahlmann wohnte, gewöhnt, daß
der Lerr Kreisrichter jeden Mor-
gen, wenn er schon seinen Weg
nach dem Gericht angetreten halt«,
wieder zurückkam und noch ein-
mal nachsah, ob er auch die Laus-
tür ordentlich zugeschlossen hatte.
Denn seine Laushälterin war
halb taub und hätte es in der
Küche nicht gemertt, wenn ein
Anbefugter in das Laus einge-
drungen wäre. Ja, oft ging er
auch wieder ins Laus hinein, sich
zu vergewissern, daß nicht ein
Fünkchen seiner Morgenpfeife
noch glimmte, daß das Bauer

Wie Wendeluhr

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Das Pendel der Pendule (und
sie selber) ist aus gutem Holz,

Trägt eine Messingscheibe stolz
Und flach und scharf und blank und rund.

Das Pendel, gestern, morgen, heut.
Geht links und rechts und rechts und links.
Und ewig lächelnd, wie die Sphinx,
Guillotiniert es mir die Zeit.

Mit jedem Hin, mit jedem Her
Schlägt es ihr die Sekunden ab.

Sie sinken lautlos in ihr Grab —

Die eben war, ist schon nicht mehr.

Die eben wird, küßt schon der Tod,

Die eben ist, ist schon vorbei.

Wie viele bis zum Hahnenschrei?

Wie viele bis zum Morgenrot?

A. W.
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