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Die Lenjgaffe

Von Peter Robinson

Wer als Fremder die alte, so schicksalsreiche Seestadt besucht,
wird kaum in die Lenzgasse kommen, denn fie liegt abseits der Sehens-
würdigkeiten, und eS besteht keine Notwendigkeit, fie zu passieren.
Sollte er aber zufällig dort hineingeraten, so wird ihn, falls er
überhaupt nachzudenken geneigt ist, die Frage beschäftigen: Za, wie
kommt denn diese etwas düstere, reichliky muffige und jeden Grün-
schmuck entbehrende, überhaupt ganz unpoetische Gasse zu dem an
holde Frühlingspracht, die ein bevorzugter Gegenstand der Poesie
ist, gemahnenden Namen? Laben sich die Leute, die voreinst die
Gaffe — die alte Stadt kennt keine Straßen — so benannten, das
gar nicht überlegt? Oder wollten sie gar ironisch sein und der Gasse,
die ihnen vielleicht unsympathisch war, mit dem kontrastierenden
Namen etwas anhängen?

Rein, meine Lerrschaften, der ehrsame und wohlweise Rat hat
vor einigen hundert Jahren die Gaffe gar nicht Lenzgasse getauft;
er hat gut überlegt und ihr, weil dort die ersten Fälle einer dann
fürchterlich um sich greifenden Seuche aufgetaucht waren, einen sachlich
durchaus begründeten Namen ge-
geben, nämlich Pestilenzgasse. Erst
in neuerer Zeit ist dann durch ein-
faches Abschneiden der beiden ersten
Silben aus der Pestilenzgasse die
Lenzgasse geworden. Aber das ist
nun auch schon an die siebzig Jahre
her, doch ist das kein Grund, die
Geschichte nicht zu erzählen.

Damals beherbergte das Laus
Pestilenzgaffe Nummer 7 vier Par-
teien. Den Laden im Erdgeschoß
hatte der Krämer Lauritzen inne, der
nach einem seiner Laupt- und Lieb-
lingsartikel manchmal zum Spaß der
„Leringsimpresario" genannt wurde.

Diesen Namen hatte ihm der im
zweiten Stock wohnende Sänger
Kanzenell beigelegt, dem als einem
Manne vom Theater der Vergleich

mit einem Impresario nahegelegen hatte. Er selbst hatte freilich nie-
mals einen Impresario nötig gehabt oder in Anspruch nehmen können;
er war nur ein kleiner Sänger, der im Chor des Stadttheaters
wirtte, wenn auch immerhin als Chorführer. Er war aber der Eigen-
tümer des Laufes — von seiner Frau her, die er eben dieses Laufes
und einigen Barvermögens wegen geehelicht hatte. Sonst hätte er
sich nämlich, wozu er aber zu faul war, noch nach einem anderen
Erwerbe umsehen müssen, denn das Stadttheater, das einem verehr-
lichen Publikum Schauspiel, Oper und Operette zu bringen hatte,
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DAMALS

Nein, es war nickt gestern, es ist lange her,
nein, es rückt nicht näher, sondern fern im Duft
schwebt es, Glanzgebild aus lauter Frühlingsluft
immer noch wie einst in seinem Nimmermehr.

Lebens Weh und Lust vor allem Anbeginn,
Sehnsucht, wie ein Wölkchen lichterfüllt am Saum,
schwindend wunderbar gebannter Morgentraum:

Seele, deinen ewigen Himmel, nimm ihn hin!

Ridtard von Sdiaukal f

war damals nicht in der Lage, sein Chorpersonal so zu bezahlen,
daß die Leute allein davon leben konnten. Kanzenell war ganze zwölf
Jahre jünger als seine Frau, aber bei der Leirat hatte er daS kaum
als ein Mißverhältnis empfunden und die Verbindung keinem langen
Wägen unterzogen, denn wenn auch die zwölf Jahre auf der einen
Seite schwer wogen, so kamen auf die andere Waagschale Laus und
Geld, und das schien sich auszugleichen. Zudem hatte er gemeint,
er würde eine Art mütterlicher Fürsorge genießen, aber darin hatte
er sich getäuscht: es kam sehr bald ein mehr stiefmütterliches Be-
tragen heraus.

Im ersten Stock hatte Wohnung und Büro der Agent Mitzlaff,
ein rühriger Lerr, der von den in einer Seestadt nötigen Vertre-
tungen und Kommissionen alle, die man von ihm wünschte, zu über-
nehmen stets bereit war. Im kümmerlichen dritten Stock endlich
wohnte der Seefahrer Kliefoth oder vielmehr seine als Wäschenäherin
tätige Frau Wanda Kliefoth. Denn der Seefahrer tauchte nur in
langen Zeitabständen auf und blieb dann auch nicht lange. Man

vermute aber hinter dem Worte
Seefahrer — etwa an den berühmten
Sindbad denkend — kein besonderes
Abenteurerleben; es ist einfach die
noch heute in der alten Stadt übliche
Berufsbezeichnung fürdenMatrosen;
viele hundert Seefahrer stehen in
ihrem Adreßbuch verzeichnet. —

Die Leute im Lause Rümmer 7
nahmen keinen Anstoß an dem Na-
men Pestilenzgasse, und ebensowenig
taten das wohl die Bewohner der
übrigen Läufer. Ja, sie waren viel-
leicht noch nie auf den Gedanken
gekommen, daß man überhaupt daran
Anstoß nehmen könnte. In der Stadt
hatten ja viele Gassen merkwürdige
und gar nicht schöne Namen. Da
gab es eine Große und eine Kleine
Losennähergasse, eine Kater- und
eine Mausegasse und sogar eine Totengaffe. Sicherlich aber war
Totengasse schlimmer als Pestilenzgasse, denn dem Tode kann man
schließlich nicht entrinnen, wohl aber manchmal der Pestilenz.

Das erste bewies — aber freilich ist dabei kein Beweis nöttg —
Frau Kanzenell, indem sie nach einem kurzen Krankenlager dahin-
ging. Der Sänger, der zuletzt ein sehr hartes Leben an ihrer Seite
gehabt hatte, ging der Schicklichkeit halber einige Tage lang mit
einem Gesicht herum wie etwa als Chorführer in der Oper „Lucia
von Lammermoor", wenn zum Schluß der ganze Chor auf den
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