o
€in glücklicher Menfch
Von Peter Robinson
„Du siehst immer zu lange auf die schlechte Seite an einer Sache,
mein Zunge/ hat einmal mein Onkel Cornelius zu mir gesagt, als
ich — es ist lange, lange her! — mir das rechte Fußgelenk verstaucht
hatte und deshalb nicht an einem Schulausfluge teilnehmen konnte.
Ich war darüber sehr verdrossen und lag, mit einem feuchten Wickel
um das Fußgelenk, dem Schicksal grollend aus dem Sofa, als Onkel
Cornelius kam und mir ein Paar Bücher brachte. „Statt dich zu
ärgern. Junge, daß du nicht mitwanderst, solltest du vergnügt sein.
Es ist ein blödsinnig heißer Tag, an die 30 Grad. Dabei ein paar
Meilen zu laufen — na, das wäre doch wirklich kein Vergnügen.
And dann würdest du, erhitzt, wie du bist, was Kaltes trinken — ich
weiß, ihr sauft, wenn eingekehrt wird, immer so viel Limonade —
und dann würdest du wahrscheinlich einen Magenkatarrh kriegen und
könntest drei, vier Tage nicht ordentlich essen. Jetzt aber liegst du
hier bequem zu Lause und kannst die wundervollsten
Schmöker lesen — den ,Peter Simpell vom alten
Kapitän Marryat, den ,Roten Freibeuter" von
Cooper, und da sind gar noch drei Bände von Karl
May. Kannst du dir was Besseres wünschen? Kein
Ding ist ganz schlimm; eine gute Seite findet man
doch, und an der muß man sich freuen."
„Aber Onkel," wandte ich ein, „du bist doch manch-
mal auch verdrossen und fluchst dann mächtig."
„Na ja!" gab Onkel Cornelius zu und steckte sich
eine Zigarre an, was ein Zeichen war, daß er etwas
erzählen wollte. „Aber du sollst dich ja auch nicht an
das halten, was ich tue, denn dann könntest du da
jetzt auch eine Zigarre verlangen. Du sollst das be-
achten, was ich sage. And wenn ich sage, daß man
an jedem Ding eine gute Seite finden kann, so ist
das eine weise Regel, deren Befolgung einem man-
chen Aerger erspart. Ich kann's allerdings manchmal
auch nicht, aber ich habe einen Menschen gekannt,
der das bei jeder Gelegenheit fertigbrachte und des-
halb ein glücklicher Mensch war. Paß mal auf, ich
werde dir von ihm erzählen.
Christian Saltmann hieß er und war, als ich ihn
zuerst sah, als frisch gebackener und deshalb vorläufig
»och auf längere Zeit unbesoldeter Assessor, gerade
so wie ich, an das gleiche Landgericht gekommen.
Anbesoldeter Assessor zu sein, das bedeutet, wenn man
von Lause aus nicht besondere Mittel hat, keine
rosigen Tage. Saltmann aber war immer vergnügt,
als hätte er den dir ja wohl bekannten Säckel des
Fortunatus in der Tasche statt einer Börse, die viel-
leicht noch magerer war als die meine. Auf dem
W
Gericht hatten wir in verschiedenen Büros zu tun, aber eine nähere
Bekanntschaft ergab sich dann, als wir zufällig einmal im Stadt-
theater nebeneinander standen. Ich sage: standen, denn das Stadt-
theater hatte dicht vor dem Orchester ein Stehparkett, das von jungen
Leuten, die nicht viel ausgeben konnten, besucht wurde und nicht als
unfein galt, weil es ja immerhin Parkett war. Auf die Galerie zu
gehen, wo man doch hätte sitzen können — das hätte sich natürlich
für einen Assessor nicht gepaßt.
Die Oper ,CarmerL wurde gegeben, aber es war eine ganz elende
Aufführung, und als wir dann zusammen fortgingen, schimpfte ich,
denn mir tat es leid um das Eintrittsgeld. Ich erwartete, daß Salt-
mann auch schimpfen würde, aber nein, er sagte ganz ohne Bedauern:
„Ich sehe das anders an. Freilich war das eine miserable Vorstellung,
aber wenn sie vortrefflich, ganz musterhaft gewesen wäre, dann hätte
ich das zwar genossen, doch nachher, wahrscheinlich
schon jetzt, würde es mich bekümmern, daß ich mir
so etwas Schönes nur selten gönnen kann, und das
würde mich unzufrieden machen, ja vielleicht dazu
verführen, andere zu beneiden, die ihren Stammplatz
im Theater haben. So aber macht es mich froh, daß
ich mir sagen kann: Ach, die Leute da können ja
nichts; dieses Theater ist ja beinahe eine Schmiere
aus deren Darbietungen du ohne Bedauern verzichten
kannst. Nun, ist das nicht eine angenehme Feststellung?
Darf ich nicht darüber vergnügt sein?"
Darüber mußte ich lachen, und er lachte auch, und
daraufhin beschlossen wir, uns noch etwas zu leisten
und ein Glas Bier zu trinken, wenn das auch eigent-
lich weder bei ihm noch bei mir im Etat vorgesehen
war. Wir kehrte» also ein, und da begab sich gleich
wieder etwas, das mir zeigte, wie Saltmann es nicht
nur verstand, die gute Seite an einer erst eigentlich
ärgerlichen Sache zu entdecken — nein, daß er es
auch fertigbrachte, solch eine gute Seite nicht bloß
zu finden, sondern sogar mit einem jähen Amschwung
zu erfinden, sie im Gegensatz zu einer eben noch ge-
äußerten Meinung frischweg zu konstruieren. Es war
an sich ein ganz belangloser Vorgang, aber das Ge-
ringfügige ist ja gerade oft sehr charakteristisch. Salt-
mann hatte Lunger; er müßte noch eine Kleinigkeit
essen, meinte er, sonst würde er nicht einschlafen können,
und deshalb rief er dem Kellner, der gerade bei uns
vorbeikam, die Bitte zu, ihm ein Paar Wiener Würst-
chen zu bringen. Dann erklärte er mir: „Wiener
Würstchen sind nämlich so spät am Abend ein gerade-
zu ideales Gericht. Sie sind als reines Fleischgericht
Nachtgesang
Die grüne
Bühne
dunkelt.
Durch weiche
Zweige
funkelt
fern
ein Stern.
Der Berg,
ein Traum
im Raum,
verhaucht.
Laß Werk
und Sorgen
auf morgen:
sieh
deine Seele,
die,
Duft
aus Blumenkehle
in Abendluft,
aus deiner Tiefe haucht.
Richard von Schaukal
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€in glücklicher Menfch
Von Peter Robinson
„Du siehst immer zu lange auf die schlechte Seite an einer Sache,
mein Zunge/ hat einmal mein Onkel Cornelius zu mir gesagt, als
ich — es ist lange, lange her! — mir das rechte Fußgelenk verstaucht
hatte und deshalb nicht an einem Schulausfluge teilnehmen konnte.
Ich war darüber sehr verdrossen und lag, mit einem feuchten Wickel
um das Fußgelenk, dem Schicksal grollend aus dem Sofa, als Onkel
Cornelius kam und mir ein Paar Bücher brachte. „Statt dich zu
ärgern. Junge, daß du nicht mitwanderst, solltest du vergnügt sein.
Es ist ein blödsinnig heißer Tag, an die 30 Grad. Dabei ein paar
Meilen zu laufen — na, das wäre doch wirklich kein Vergnügen.
And dann würdest du, erhitzt, wie du bist, was Kaltes trinken — ich
weiß, ihr sauft, wenn eingekehrt wird, immer so viel Limonade —
und dann würdest du wahrscheinlich einen Magenkatarrh kriegen und
könntest drei, vier Tage nicht ordentlich essen. Jetzt aber liegst du
hier bequem zu Lause und kannst die wundervollsten
Schmöker lesen — den ,Peter Simpell vom alten
Kapitän Marryat, den ,Roten Freibeuter" von
Cooper, und da sind gar noch drei Bände von Karl
May. Kannst du dir was Besseres wünschen? Kein
Ding ist ganz schlimm; eine gute Seite findet man
doch, und an der muß man sich freuen."
„Aber Onkel," wandte ich ein, „du bist doch manch-
mal auch verdrossen und fluchst dann mächtig."
„Na ja!" gab Onkel Cornelius zu und steckte sich
eine Zigarre an, was ein Zeichen war, daß er etwas
erzählen wollte. „Aber du sollst dich ja auch nicht an
das halten, was ich tue, denn dann könntest du da
jetzt auch eine Zigarre verlangen. Du sollst das be-
achten, was ich sage. And wenn ich sage, daß man
an jedem Ding eine gute Seite finden kann, so ist
das eine weise Regel, deren Befolgung einem man-
chen Aerger erspart. Ich kann's allerdings manchmal
auch nicht, aber ich habe einen Menschen gekannt,
der das bei jeder Gelegenheit fertigbrachte und des-
halb ein glücklicher Mensch war. Paß mal auf, ich
werde dir von ihm erzählen.
Christian Saltmann hieß er und war, als ich ihn
zuerst sah, als frisch gebackener und deshalb vorläufig
»och auf längere Zeit unbesoldeter Assessor, gerade
so wie ich, an das gleiche Landgericht gekommen.
Anbesoldeter Assessor zu sein, das bedeutet, wenn man
von Lause aus nicht besondere Mittel hat, keine
rosigen Tage. Saltmann aber war immer vergnügt,
als hätte er den dir ja wohl bekannten Säckel des
Fortunatus in der Tasche statt einer Börse, die viel-
leicht noch magerer war als die meine. Auf dem
W
Gericht hatten wir in verschiedenen Büros zu tun, aber eine nähere
Bekanntschaft ergab sich dann, als wir zufällig einmal im Stadt-
theater nebeneinander standen. Ich sage: standen, denn das Stadt-
theater hatte dicht vor dem Orchester ein Stehparkett, das von jungen
Leuten, die nicht viel ausgeben konnten, besucht wurde und nicht als
unfein galt, weil es ja immerhin Parkett war. Auf die Galerie zu
gehen, wo man doch hätte sitzen können — das hätte sich natürlich
für einen Assessor nicht gepaßt.
Die Oper ,CarmerL wurde gegeben, aber es war eine ganz elende
Aufführung, und als wir dann zusammen fortgingen, schimpfte ich,
denn mir tat es leid um das Eintrittsgeld. Ich erwartete, daß Salt-
mann auch schimpfen würde, aber nein, er sagte ganz ohne Bedauern:
„Ich sehe das anders an. Freilich war das eine miserable Vorstellung,
aber wenn sie vortrefflich, ganz musterhaft gewesen wäre, dann hätte
ich das zwar genossen, doch nachher, wahrscheinlich
schon jetzt, würde es mich bekümmern, daß ich mir
so etwas Schönes nur selten gönnen kann, und das
würde mich unzufrieden machen, ja vielleicht dazu
verführen, andere zu beneiden, die ihren Stammplatz
im Theater haben. So aber macht es mich froh, daß
ich mir sagen kann: Ach, die Leute da können ja
nichts; dieses Theater ist ja beinahe eine Schmiere
aus deren Darbietungen du ohne Bedauern verzichten
kannst. Nun, ist das nicht eine angenehme Feststellung?
Darf ich nicht darüber vergnügt sein?"
Darüber mußte ich lachen, und er lachte auch, und
daraufhin beschlossen wir, uns noch etwas zu leisten
und ein Glas Bier zu trinken, wenn das auch eigent-
lich weder bei ihm noch bei mir im Etat vorgesehen
war. Wir kehrte» also ein, und da begab sich gleich
wieder etwas, das mir zeigte, wie Saltmann es nicht
nur verstand, die gute Seite an einer erst eigentlich
ärgerlichen Sache zu entdecken — nein, daß er es
auch fertigbrachte, solch eine gute Seite nicht bloß
zu finden, sondern sogar mit einem jähen Amschwung
zu erfinden, sie im Gegensatz zu einer eben noch ge-
äußerten Meinung frischweg zu konstruieren. Es war
an sich ein ganz belangloser Vorgang, aber das Ge-
ringfügige ist ja gerade oft sehr charakteristisch. Salt-
mann hatte Lunger; er müßte noch eine Kleinigkeit
essen, meinte er, sonst würde er nicht einschlafen können,
und deshalb rief er dem Kellner, der gerade bei uns
vorbeikam, die Bitte zu, ihm ein Paar Wiener Würst-
chen zu bringen. Dann erklärte er mir: „Wiener
Würstchen sind nämlich so spät am Abend ein gerade-
zu ideales Gericht. Sie sind als reines Fleischgericht
Nachtgesang
Die grüne
Bühne
dunkelt.
Durch weiche
Zweige
funkelt
fern
ein Stern.
Der Berg,
ein Traum
im Raum,
verhaucht.
Laß Werk
und Sorgen
auf morgen:
sieh
deine Seele,
die,
Duft
aus Blumenkehle
in Abendluft,
aus deiner Tiefe haucht.
Richard von Schaukal
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