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Krauses haben ihr Karnickel geschlachtet
Abenteuer tn der Nacht
Balkontür. Der Lund war nämlich eine schwarze Katze mit gelben
Augen, die auf ihrem nächtlichen Streifzug über Dach, Sims und
Balkon in das Zimmer gelangt war und dort Unfug getrieben hatte.
Geistesgegenwärtig trampelte Lerr Möller ein wenig herum und
kehrte dann in das Zimmer zurück.
„Dem Faffadenkletterer ist es leider gelungen zu flüchten," sagte
Möller schlicht, „aber vielleicht ist es ganz gut so. Denn wenn ich
ihn der Polizei übergeben hätte, wäre die Situation doch peinlich
geworden, ein fremder Mann bei einer jungen Dame —"
„Ich danke Ihnen," sagte die junge Dame und ihr Wuschelkopf
erschien wieder. „Sie sind wirklich ein Kavalier. Sind Sie ver-
heiratet?"
„Nein," entgegnete Möller.
„Fein!" meinte das Mädchen. „Ich auch nicht. Meine Eltern
sind nur für ein paar Tage auswärts zu Besuch. Daher schlief ich
allein in der Wohnung. Und als ich früher erwachte, hörte ich Ge-
räusche im Nebenzimmer, wagte aber nicht Lärm zu schlagen, da
mir der Einbrecher dann sicher den Lals umgedreht hätte. Dann
vernahm ich unten ihr Pfeifen. Glücklicherweise verstanden Sie mich.
Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll?"
„Wie wäre es mit dem Kuß, den Sie früher von mir verlangt
haben?"
„Ich küsse nur den Mann, den ich heiraten werde!"
„Dann können Sie mich ruhig küssen."
• „So? Nun, vielleicht. Zuerst werde ich aber ausstehen und Kaffee
kochen. Dabei haben wir Gelegenheit, einander kennenzulernen. Man
kann doch nicht einen Menschen küssen, von dem man nicht einmal
weiß, wie er heißt —"
Leute ist Lerr Möller glücklicher Ehemann. Wenn er einmal
von einer Sitzung heimkommt, dann pfeift er, die Frau erscheint
am Balkon und wirft ihm die Schlüssel zu wie damals im Mai.
Mit bekommt er die Schlüssel nicht, Frau Möller meint, es wäre
schade um die schöne Erinnerung. Deshalb dauern auch seine Sitzungen
nie lang.
102
Selbsterzieliung
Leute herrscht überall Not am Mann. Man ist am besten sein
eigner Tischler, sein eigener Installateur, sein eigener Koch, sein
eigener Arzt und sein eigener Erzieher. Lier soll nur von der eigenen
Erziehung die Rede sein, an der fehlt es bekanntlich am meisten.
Das merkt man erst in fortgeschrittenem Alter. In der selbst-
genügsamen, selbstzufriedenen Jugend dünkt man sich gewöhnlich viel
zu viel erzogen. Bei längerem Lebenslauf aber stellen sich wie bei jeder
Art Fortbewegung die Mängel heraus. Der. dünne Firnis, die
seichte Tünche fällt ab und zurückbleibt die splitternackte — Grun-
dierung.
Seit Jahren gewahrte ich an mir und nicht nur an mir (ich bin
kein Ausnahmemensch und poche nicht darauf, poche überhaupt nicht
aus überkommener Bescheidenheit) seit Jahren gewahrte ich an mir
eine zunehmende Verärgerung, eine wachsende, wuchernde Gereizt-
heit. Ich stand mit mindest einem mißgelaunten Fuße aus, ohne er-
gründen zu können, warum meine Mißgelauntheit sich gerade in den
unteren Extremitäten ansässig gemacht hatte. Aber ich vermutete,
daß das eine Laune der Mißgelauntheit sei. „Wenn dich dein Auge
ärgert, reiß es aus und wirs es fort," zitierte ich mir. Aber ich
blieb doch skeptisch, ob mit diesem chirurgischen Eingriff das Aebel
beseitigt würde und fürchtete, eventuell solange weiter operieren zu
müssen, bis von mir nichts übrig blieb als das Nestroische Ender-
gebnis: der Zerrissene.
Ich beschloß daher, die eigene Entgiftung und Entätzung in ge-
müßigtem Maße zu betreiben. Sooft ich mit mißgelauntem Fuße
aus dem Bette stieg, konzentrierte ich sofort auf mich meine pä-
dagogische Aufmerksamkeit. Ich beobachtete mich vor dem Spiegel,
hielt alle aufzuckenden Grimassen nieder, unterdrückte jede verdros-
sene Mimik. Wage es nicht, brummte ich mir zu, der Morgenstunde,
die Gold im gepflegten Munde hat, deine despektierliche Zunge zu
zeigen! Spucke nicht durchs Fenster auf die lachende Welt! Wenn
du schon spucken mußt, dann in deinen Toiletteneimer. Er dürfte
Krauses haben ihr Karnickel geschlachtet
Abenteuer tn der Nacht
Balkontür. Der Lund war nämlich eine schwarze Katze mit gelben
Augen, die auf ihrem nächtlichen Streifzug über Dach, Sims und
Balkon in das Zimmer gelangt war und dort Unfug getrieben hatte.
Geistesgegenwärtig trampelte Lerr Möller ein wenig herum und
kehrte dann in das Zimmer zurück.
„Dem Faffadenkletterer ist es leider gelungen zu flüchten," sagte
Möller schlicht, „aber vielleicht ist es ganz gut so. Denn wenn ich
ihn der Polizei übergeben hätte, wäre die Situation doch peinlich
geworden, ein fremder Mann bei einer jungen Dame —"
„Ich danke Ihnen," sagte die junge Dame und ihr Wuschelkopf
erschien wieder. „Sie sind wirklich ein Kavalier. Sind Sie ver-
heiratet?"
„Nein," entgegnete Möller.
„Fein!" meinte das Mädchen. „Ich auch nicht. Meine Eltern
sind nur für ein paar Tage auswärts zu Besuch. Daher schlief ich
allein in der Wohnung. Und als ich früher erwachte, hörte ich Ge-
räusche im Nebenzimmer, wagte aber nicht Lärm zu schlagen, da
mir der Einbrecher dann sicher den Lals umgedreht hätte. Dann
vernahm ich unten ihr Pfeifen. Glücklicherweise verstanden Sie mich.
Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll?"
„Wie wäre es mit dem Kuß, den Sie früher von mir verlangt
haben?"
„Ich küsse nur den Mann, den ich heiraten werde!"
„Dann können Sie mich ruhig küssen."
• „So? Nun, vielleicht. Zuerst werde ich aber ausstehen und Kaffee
kochen. Dabei haben wir Gelegenheit, einander kennenzulernen. Man
kann doch nicht einen Menschen küssen, von dem man nicht einmal
weiß, wie er heißt —"
Leute ist Lerr Möller glücklicher Ehemann. Wenn er einmal
von einer Sitzung heimkommt, dann pfeift er, die Frau erscheint
am Balkon und wirft ihm die Schlüssel zu wie damals im Mai.
Mit bekommt er die Schlüssel nicht, Frau Möller meint, es wäre
schade um die schöne Erinnerung. Deshalb dauern auch seine Sitzungen
nie lang.
102
Selbsterzieliung
Leute herrscht überall Not am Mann. Man ist am besten sein
eigner Tischler, sein eigener Installateur, sein eigener Koch, sein
eigener Arzt und sein eigener Erzieher. Lier soll nur von der eigenen
Erziehung die Rede sein, an der fehlt es bekanntlich am meisten.
Das merkt man erst in fortgeschrittenem Alter. In der selbst-
genügsamen, selbstzufriedenen Jugend dünkt man sich gewöhnlich viel
zu viel erzogen. Bei längerem Lebenslauf aber stellen sich wie bei jeder
Art Fortbewegung die Mängel heraus. Der. dünne Firnis, die
seichte Tünche fällt ab und zurückbleibt die splitternackte — Grun-
dierung.
Seit Jahren gewahrte ich an mir und nicht nur an mir (ich bin
kein Ausnahmemensch und poche nicht darauf, poche überhaupt nicht
aus überkommener Bescheidenheit) seit Jahren gewahrte ich an mir
eine zunehmende Verärgerung, eine wachsende, wuchernde Gereizt-
heit. Ich stand mit mindest einem mißgelaunten Fuße aus, ohne er-
gründen zu können, warum meine Mißgelauntheit sich gerade in den
unteren Extremitäten ansässig gemacht hatte. Aber ich vermutete,
daß das eine Laune der Mißgelauntheit sei. „Wenn dich dein Auge
ärgert, reiß es aus und wirs es fort," zitierte ich mir. Aber ich
blieb doch skeptisch, ob mit diesem chirurgischen Eingriff das Aebel
beseitigt würde und fürchtete, eventuell solange weiter operieren zu
müssen, bis von mir nichts übrig blieb als das Nestroische Ender-
gebnis: der Zerrissene.
Ich beschloß daher, die eigene Entgiftung und Entätzung in ge-
müßigtem Maße zu betreiben. Sooft ich mit mißgelauntem Fuße
aus dem Bette stieg, konzentrierte ich sofort auf mich meine pä-
dagogische Aufmerksamkeit. Ich beobachtete mich vor dem Spiegel,
hielt alle aufzuckenden Grimassen nieder, unterdrückte jede verdros-
sene Mimik. Wage es nicht, brummte ich mir zu, der Morgenstunde,
die Gold im gepflegten Munde hat, deine despektierliche Zunge zu
zeigen! Spucke nicht durchs Fenster auf die lachende Welt! Wenn
du schon spucken mußt, dann in deinen Toiletteneimer. Er dürfte
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Krauses haben ihr Karnickel geschlachtet"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5170, S. 5170_102
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg