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o

Darf man Krauen trauen?

Von Karl Lütge

Ein zusammengeschnurrtes Männchen mit grauer Pelerine bewegte
sich vor uns — meiner Frau und mir nebst Koffern — höchst gelassen
zum Bahnhos hinauf. Mit erleichtertem Gewissen glaubte ich aus
der ruhigen Sicherheit dieses Männleins, das als einziges weit und
breit, in der Stunde zwischen Nacht und Tag, in Bahnhofsnähe zu
erblicken war, schließen zu können, daß es mit unserem Zug nicht
allzu sehr eile. Wir verminderten daher unser Tempo. Der Kurge-
winn könnte bei der bisherigen Last schwinden. Wir reisten nämlich
zur ungemütlich frühen Stunde aus dem Verjüngungsbad G. in den
Alpen ab, nachdem wir in Dringlichkeitsstufe I dortselbst die festge-
setzte Zeit über die Kur gebraucht hatten.

Das zusammengeschnurrte Männchen hatte sich plötzlich unsicht-
bar gemacht. Als wir die großräumige, schwachbeleuchtete, daher
gespenstisch wirkende Bahnhofshalle betraten, sahen wir die graue
Pelerine und das zerknitterte Gesicht nicht mehr. Wir durchschritten
den plattenbelegten Raum lauthallend und strebten zur Glastür, die
auf den schmalen Vorraum an den Bahnsteigen führte. Allein diese
Tür fanden wir noch verschlossen, auch die Schalter und die Gepäck-
abfertigung hielten noch nicht geöffnet.

Während wir über die mutmaßliche Verspätung des Frühzuges
und dessen geringe Inanspruchnahme Meinungen austauschten,
flammte jählings das Licht auf den
Bahnsteigen auf, und unversehens fan-
den sich Fahrgäste an den Gleisen ein.

Wir rüttelten nun heftig und empört
an der versperrten Tür und lugten
nach Lilfe auS. Allein die Bahnhofs-
halle blieb still und stumm, bis auf
die Geräusche, die wir selbst verur-
sachten.

„Ganz einfach", meinte meine Frau,

„wir gehen um den Bahnhof herum I"

„Wieso einfach?" widersprach ich
als erfahrener Reisender. „Aeberall
ist doch da abgesperrt, und nebenan
befindet sich nur der Ausgang, der
erst bei Ankunft eines Zuges aufge-
macht wirdl"

„Versuchen wir es doch dortl"

„Der Eingang ist zum Lineingehen,
der Ausgang zum Lerausgehen da!"
belehrte ich meine in derartigen Dingen
etwas großzügig denkende Frau.

„And wie sind die anderen Fahr-
gäste hineingekommen?" fragte meine
Frau, unberührt durch meinen sach-
lichen Einwand.

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„Eben das ist mir nicht recht erklärlich."

Da erblickte ich das Männlein auf dem Bahnsteig. Mir wurde
heiß. Ich schoß zu den Schaltern und klopfte. Ich klingelte am Ge-
päckschalter. Nichts regte sich. Das Läutesignal meldete den Zug.
Wir standen nock immer vor der verschlossenen breiten Glastür in
der Eingangshalle und konnten nicht auf den Bahnsteig. Andere
hatten es vermocht und waren hineingelangt!

Der Zug kam angebraust. Meine Frau ergriff den einen der
Koffer. Ich folgte ihr beschämt und mißtrauisch, lugte nochmals zur
verschlossenen Tür und zu den geschlossenen Schaltern zurück. And
nur widerstrebend schritt ich hinter meiner Frau her, in den mit
„Ausgang" bezeichneten Eingang hinein, an dem ein deutliches Schild
überdies vermahnte, hier nicht hineinzugehen.

Sollte ich meiner Frau trauen? Sie schritt mit voller Sicherheit
durch den halberhellten Gang und rief bei der Biegung: „Rasch
komm, es ist natürlich richtig!" und eilte mir aus den Augen.

„Wieso denn natürlich?" keuchte ich, empfindsam berührt, als wir
durch die Sperre strebten.

„Der Zug!" schrie meine Frau. „Lalt, wir wollen noch mit,
Lerr Vorstand!"

„Warum rufst du nur?" belehrte ich neuerlich. „Ansertwegen hält
der Zug doch nicht nocheinmal!"

Der Rotbemützte dagegen pfiff be-
reits gellend, und der anfahrende Zug
hielt. Wir stiegen eiligst ein. Im Am-
wenden sagte meine Frau zu dem
Beamten: .

„Vielen Dank! And lassen Sie bald
ein Schild anbringen, wissen Sie, wir
haben solange im Eingang gestanden
und wußten nicht, daß wir beim Aus-
gang hineinmüssen!"

„Das ist nur bei diesem einen Zug
so!" gab der Beamte höflich Antwort.

Der Zug war überfüllt. Wir stan-
den an der Tür. Meine Frau sagte
nichts zu mir. Aber ihr Blick war be-
redt genug.

Ich empfand immer noch die beun-
ruhigende Wärme am ganzen Körper.
Das Wort „Natürlich" hatte mich tief
verletzt. Wie konnte natürlich sein,
wenn man zu einem verbotenen Ein-
gang hineinging, der nicht der Eingang,
sondern der Ausgang ist — und es
stimmte dann doch? Wie sollte ich
mich meiner Frau gegenüber verhalten.

Die gute Ausrede

„ . . . und was soll ich sagen, weil ich so spät nach
Lause komme, Fritz?"

„Sag, du warst in einem Vortrag über Nächstenliebe!"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Die gute Ausrede"
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Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Paar <Motiv>
Rendezvous
Ausrede
Nächstenliebe
Vortrag
München / Frauenkirche <Motiv>
Wortspiel

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5172, S. 5172_122
 
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