Auf Helgoland.
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I überwachen kann; — ich habe nun immer gesehen, daß er um
j 9 Uhr Morgens dort erscheint, und wenn er mich hier fitzen
| sieht, unbesorgt weggeht, um gegen 11 Uhr wieder zu kommen,
I und fich von meinem Hiersein zu überzeugen. Abfichtlich blieb
j ich ein einzig esmal weg — und schon nach einer Viertelstunde
j kam unser Hauswirth in mein Zimmer unter irgend einem
erdichteten Vorwände. Ich hatte mich auf das Ruhebett gelegt,
und gab vor, ich hätte Kopfweh. Eininal ging ich zur Zeit,
als gerade ein Dampfschiff abfuhr, aus dem Hause, und siehe
da, mein Aufpasser folgte mir allenthalben wie mein Schatten
nach. Von diesem Tage an verließ ich meinen Posten nie
wieder. — Dieß mein Herr ist der Plan, den ich ausgesonnen
habe, und der ficher zum Ziele führen wird. Morgen früh
um 9 Uhr nimmt die Puppe meine Stelle ein, der Aufpasser
wird erscheinen, mich sehen, und — wie das an solchen Ab-
fahrtstagen immer war, — mich bis um 11 Uhr nicht aus dem
Auge verlieren. Mittlerweilen habe ich auf Ihrem Zimmer
meine Metamorphose bewerkstelligt, und während fie dann in
den letzten entscheidenden Augenblicken den Wirth in seinem
Zimmer beschäftigen, verlasse ich schnell das Haus, erreiche un-
erkannt den Strand, und komme so auf das Schiff. Habe ich
dieses erreicht, dann bringt keine menschliche Gewalt mich wieder
auf das verhaßte Helgoland. Ich habe scharfgeladene Pistolen
bei mir, und nehme den Kampf auf Tod und Leben mit jedem
auf, der es wagen sollte, mich zwingen zu wollen." Ich fand
diesen Plan ganz gut, leicht ausführbar, und da mir bei der
ganzen Sache nichts bedenklich schien, sagte ich bereitwillig meine
Mitwirkung zu.
Der arme Schelm fiel mir vor Freude um den Hals,
und nur mit Mühe konnte ich mich seinen Liebkosungen entziehen.
Am andern Morgen kam unser Wirth selber auf mein
bis dahin immer ein Aufwärter besorgt hatte, so war mir na-
türlich dieser Besuch in frühester Morgenstunde sehr auffallend
— ehe ich aber deßhalb den Wirth zu fragen mich entschlossen
hatte, wurde das Räthscl schon gelöst, indem Jener ohne weitere
Einleitung mir sagte:
„Ich halte es für meine Pflicht jede Unannehmlichkeit
möglichst von meinen werthen Gästen abzuhaltcn. Ich nehme
mir deßhalb die Freiheit, Sie zu warnen, da ich Ursache habe,
zu glauben, daß Sie im Begriffe stehen, fich an einer Hand-
lung zu betheiligen, welche Ihnen Nachtheilc bringen kann."
Voller Erstaunen unterbrach ich den Wirth: „Sie irren
sich, mein Herr, denn ich werde heute nichts mehr auf Helgoland
thun, als meine Effecten einpacken und abreisen, und ich kann
mir nicht denken, daß dieses einen Nachtheil für mich haben
könnte."
„Ich bin weit enffernt," fuhr Jener fort, „mich in die
Geheimnisse meiner Gäste eindrängen zu wollen, deßhalb will
ich auch von Ihnen gar nichts hören; ich will Sie nur war-
nen, und damit habe ich meine Schuldigkeit gethan. Ihnen
steht es nun ganz frei, ob Sie meine Warnung berücksichtigen
wollen oder nicht." „Aber warum so geheimnißvoll," erwiderte
ich, „warum reden Sie nicht offen mit mir, wenn Sie Interesse
an mir nehmen, und mir wirklich einen Dienst leisten wollen?
Was ist das für eine Handlung, die ich unterlassen soll?"
„Wenn Sie wirklich" antwortete der Wirth mit immer
gleicher Ruhe, „wenn Sie wirklich nichts weiter auf Helgoland
thun wollen, als Ihre Effecten einpacken und abreisen, dann
haben Sie allerdings nichts zu befürchten, nicht das Geringste,
mein Herr, und da wird es Sie auch nicht genircn, wenn von
j dieser Minute an jeder Ihrer Schritte von der hiesigen Polizei
auf das strengste und sorgfältigste überwacht wird. Ich wollte
Ihnen das nur mittheilen."
„Die Polizei?" rief ich erstaunt, „was habe ich mit
der Polizei zu schaffen?"
„Wenn Sie auch nichts mit der Polizei zu schaffen
haben," erwiderte der Wirth, „so beschäftigt sich doch die
Polizei seit gestern Abend mit Ihnen." —
„Seit gestern Abend?" sagte ich und es war mir klar, daß
man entdeckt hatte, welche Verabredung ich mit dem armen
Gefangenen getroffen hatte. „Ich verstehe Sie jetzt, mein Herr,
und ich gestehe Ihnen ganz offen, daß es mich überrascht, von
der hiesigen Polizei zu hören, daß sie nicht verschmäht, selbst
an den Thüren zu horchen oder horchen zu lassen, was in den
Zimmern der Kurgäste vorgeht. Jedenfalls werde ich in Zu-
kunft eine Wohnung vermeiden, in welcher der Etgenthümer der
Polizei solche Rechte einräumt —"
„Sie sind im Jrrthume, lieber Herr," entgegnete der
j Wirth; nach einigem Zögern setzte er hinzu: „Es ist„ wie
! Ihnen gewiß nicht entgangen ist, ein junger Mann hier, der
! gewisser Verhältnisse halber die Insel nicht verlassen soll und
— unter keinen Umständen verlassen darf. Dieser ist aus
ausdrücklichen Wunsch seiner Frau von der Polizei überwacht,
und besonders genau überwacht, wenn die Dampfschiffe hier an-
legen, um Gäste zu bringen und abzuholen. Einer der Wächter
hat gestern Abend gesehen, daß dieser junge Mann noch sehr
spät auf Ihr Zimmer ging, wohl eine Stunde da zubrachte
und sich dann ohne Licht auf sein Zimmer zurückschlich. Was
zwischen Ihnen vorging, was gesprochen wurde, weiß Niemand
j als Sie und Er. Bei den vielen Fluchtversuchen des jungen
! Mannes und da heute das letzte Dampfschiff für dieses Jahr
I abgeht und während des Winters sehr wenig Communikation
' mit dem festen Lande stattfindet, liegt die Vermuthung wenig-
! stens sehr nahe, daß heute vielleicht ein nochmaliger Versuch
j gemacht werden soll. Das ist Alles, mein Herr — der junge
Mann wird heute doppelt sorgfältig überwacht, und da es,
wie gesagt, möglich wäre, daß Sie ihm zu helfen versprochen
haben, so werden auch Sie überwacht, eben weil man Ihnen
nichts in den Weg legen will, wenn Sie vielleicht ganz unbe-
theiligt sein sollten. Nur deßhalb habe ich Sie warnen wollen
— Sie allein wissen, ob diese Warnung nvthig ist —
„Jedenfalls bin ich Ihnen dankbar für Ihre gütige Mtt-
thcilung," sagte ich nun; „Sie haben aber Etwas gesagt, das
mir, so wie ich die Verhältnisse kenne, sehr auffallend ist. Sie
sprachen nämlich von der Frau des jungen Mannes, ist er
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I überwachen kann; — ich habe nun immer gesehen, daß er um
j 9 Uhr Morgens dort erscheint, und wenn er mich hier fitzen
| sieht, unbesorgt weggeht, um gegen 11 Uhr wieder zu kommen,
I und fich von meinem Hiersein zu überzeugen. Abfichtlich blieb
j ich ein einzig esmal weg — und schon nach einer Viertelstunde
j kam unser Hauswirth in mein Zimmer unter irgend einem
erdichteten Vorwände. Ich hatte mich auf das Ruhebett gelegt,
und gab vor, ich hätte Kopfweh. Eininal ging ich zur Zeit,
als gerade ein Dampfschiff abfuhr, aus dem Hause, und siehe
da, mein Aufpasser folgte mir allenthalben wie mein Schatten
nach. Von diesem Tage an verließ ich meinen Posten nie
wieder. — Dieß mein Herr ist der Plan, den ich ausgesonnen
habe, und der ficher zum Ziele führen wird. Morgen früh
um 9 Uhr nimmt die Puppe meine Stelle ein, der Aufpasser
wird erscheinen, mich sehen, und — wie das an solchen Ab-
fahrtstagen immer war, — mich bis um 11 Uhr nicht aus dem
Auge verlieren. Mittlerweilen habe ich auf Ihrem Zimmer
meine Metamorphose bewerkstelligt, und während fie dann in
den letzten entscheidenden Augenblicken den Wirth in seinem
Zimmer beschäftigen, verlasse ich schnell das Haus, erreiche un-
erkannt den Strand, und komme so auf das Schiff. Habe ich
dieses erreicht, dann bringt keine menschliche Gewalt mich wieder
auf das verhaßte Helgoland. Ich habe scharfgeladene Pistolen
bei mir, und nehme den Kampf auf Tod und Leben mit jedem
auf, der es wagen sollte, mich zwingen zu wollen." Ich fand
diesen Plan ganz gut, leicht ausführbar, und da mir bei der
ganzen Sache nichts bedenklich schien, sagte ich bereitwillig meine
Mitwirkung zu.
Der arme Schelm fiel mir vor Freude um den Hals,
und nur mit Mühe konnte ich mich seinen Liebkosungen entziehen.
Am andern Morgen kam unser Wirth selber auf mein
bis dahin immer ein Aufwärter besorgt hatte, so war mir na-
türlich dieser Besuch in frühester Morgenstunde sehr auffallend
— ehe ich aber deßhalb den Wirth zu fragen mich entschlossen
hatte, wurde das Räthscl schon gelöst, indem Jener ohne weitere
Einleitung mir sagte:
„Ich halte es für meine Pflicht jede Unannehmlichkeit
möglichst von meinen werthen Gästen abzuhaltcn. Ich nehme
mir deßhalb die Freiheit, Sie zu warnen, da ich Ursache habe,
zu glauben, daß Sie im Begriffe stehen, fich an einer Hand-
lung zu betheiligen, welche Ihnen Nachtheilc bringen kann."
Voller Erstaunen unterbrach ich den Wirth: „Sie irren
sich, mein Herr, denn ich werde heute nichts mehr auf Helgoland
thun, als meine Effecten einpacken und abreisen, und ich kann
mir nicht denken, daß dieses einen Nachtheil für mich haben
könnte."
„Ich bin weit enffernt," fuhr Jener fort, „mich in die
Geheimnisse meiner Gäste eindrängen zu wollen, deßhalb will
ich auch von Ihnen gar nichts hören; ich will Sie nur war-
nen, und damit habe ich meine Schuldigkeit gethan. Ihnen
steht es nun ganz frei, ob Sie meine Warnung berücksichtigen
wollen oder nicht." „Aber warum so geheimnißvoll," erwiderte
ich, „warum reden Sie nicht offen mit mir, wenn Sie Interesse
an mir nehmen, und mir wirklich einen Dienst leisten wollen?
Was ist das für eine Handlung, die ich unterlassen soll?"
„Wenn Sie wirklich" antwortete der Wirth mit immer
gleicher Ruhe, „wenn Sie wirklich nichts weiter auf Helgoland
thun wollen, als Ihre Effecten einpacken und abreisen, dann
haben Sie allerdings nichts zu befürchten, nicht das Geringste,
mein Herr, und da wird es Sie auch nicht genircn, wenn von
j dieser Minute an jeder Ihrer Schritte von der hiesigen Polizei
auf das strengste und sorgfältigste überwacht wird. Ich wollte
Ihnen das nur mittheilen."
„Die Polizei?" rief ich erstaunt, „was habe ich mit
der Polizei zu schaffen?"
„Wenn Sie auch nichts mit der Polizei zu schaffen
haben," erwiderte der Wirth, „so beschäftigt sich doch die
Polizei seit gestern Abend mit Ihnen." —
„Seit gestern Abend?" sagte ich und es war mir klar, daß
man entdeckt hatte, welche Verabredung ich mit dem armen
Gefangenen getroffen hatte. „Ich verstehe Sie jetzt, mein Herr,
und ich gestehe Ihnen ganz offen, daß es mich überrascht, von
der hiesigen Polizei zu hören, daß sie nicht verschmäht, selbst
an den Thüren zu horchen oder horchen zu lassen, was in den
Zimmern der Kurgäste vorgeht. Jedenfalls werde ich in Zu-
kunft eine Wohnung vermeiden, in welcher der Etgenthümer der
Polizei solche Rechte einräumt —"
„Sie sind im Jrrthume, lieber Herr," entgegnete der
j Wirth; nach einigem Zögern setzte er hinzu: „Es ist„ wie
! Ihnen gewiß nicht entgangen ist, ein junger Mann hier, der
! gewisser Verhältnisse halber die Insel nicht verlassen soll und
— unter keinen Umständen verlassen darf. Dieser ist aus
ausdrücklichen Wunsch seiner Frau von der Polizei überwacht,
und besonders genau überwacht, wenn die Dampfschiffe hier an-
legen, um Gäste zu bringen und abzuholen. Einer der Wächter
hat gestern Abend gesehen, daß dieser junge Mann noch sehr
spät auf Ihr Zimmer ging, wohl eine Stunde da zubrachte
und sich dann ohne Licht auf sein Zimmer zurückschlich. Was
zwischen Ihnen vorging, was gesprochen wurde, weiß Niemand
j als Sie und Er. Bei den vielen Fluchtversuchen des jungen
! Mannes und da heute das letzte Dampfschiff für dieses Jahr
I abgeht und während des Winters sehr wenig Communikation
' mit dem festen Lande stattfindet, liegt die Vermuthung wenig-
! stens sehr nahe, daß heute vielleicht ein nochmaliger Versuch
j gemacht werden soll. Das ist Alles, mein Herr — der junge
Mann wird heute doppelt sorgfältig überwacht, und da es,
wie gesagt, möglich wäre, daß Sie ihm zu helfen versprochen
haben, so werden auch Sie überwacht, eben weil man Ihnen
nichts in den Weg legen will, wenn Sie vielleicht ganz unbe-
theiligt sein sollten. Nur deßhalb habe ich Sie warnen wollen
— Sie allein wissen, ob diese Warnung nvthig ist —
„Jedenfalls bin ich Ihnen dankbar für Ihre gütige Mtt-
thcilung," sagte ich nun; „Sie haben aber Etwas gesagt, das
mir, so wie ich die Verhältnisse kenne, sehr auffallend ist. Sie
sprachen nämlich von der Frau des jungen Mannes, ist er