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Die PreiS-Komposition.

menbleiben anzustoßen; denn — meinte er — wenn es Franz
mit ihm und seinem Hause versuchen wolle, so solle denn der
Vertrag zwischen ihnen in Gottes Namen geschloffen sein. Franz
stieß freudig an und schlug in die ihm dargebotene Rechte.
Das Dienstverhältniß ward sonach über Tisch völlig in's Reine
gebracht. Das Mahl war höchst einfach, aber für Franz ein
olympisches. Die Gesellschaft blieb bei drei Personen, denn die
Mutter war längst gestorben, und die Tochter führte nunmehr
allein den Haushalt. Franz glaubte zu träumen, wenn er nun
überdachte, wie er so mit einemmal sich unter so lieben Menschen
befand und wie das Alles so unvermuthetgekommen war. Lore
aber war sich selbst noch nie so fremd, so ahnungssclig vorge-
kommen wie heute, und manchmal schrack ihr Herz wie aus
einem schauerlich süßen Traume empor.

Die Abdankung.

Der Sommer ging für Franz dahin als eine einzige
ununterbrochene Festzeit; die Monden däuchtcn ihm Wochen, die
Wochen — Tage. Das Gärtchen am Hause war das kleine
aber vollgenügende Paradies, in welchem er pffanzte, ruhte und
— liebte. Auch die Pffege dieses kleinen Stückchen Feldes lag
Lore ob, denn der Vater war oft durch Gicht verhindert, der
sonst gewohnten Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, aber Lore
hatte an Franz den treuesten Gehilfen, und kein Blumenbeet
stand weit und breit in so schönem Flor, kein Gemüsfeld so sorg-
fältig gejätet und begossen, und keine Hecke so sorgsam gepflegt,
als die ihrigen. Ein freundlicher Blick ihres Auges, ein trau-
licher Händedruck, dazu ein liebliches „Wie gut Sie doch sind"
von ihren Lippen, war ihm mehr als aller Lohn. Lorchen
hatte aber auch oft, öfter als je vorher, im Gärtchen zu schaffen,
bald zu stecken, zu pflanzen, bald auszustechen, zu pflücken oder
zu begießen. Manchmal standen die Beiden neben einander vor
einer Rose, unschuldsvoll und glühend wie diese, und sahen der
schwelgerischen Geschäftigkeit einer Biene zu, die im Kelche der
Blume wühlte, und dann hingen ihre Herzen, Seelen und Ge-
danken so dicht, wie die zwei Perlen Thau's vor ihnen auf dem
duftigen Rosenblatte neben einander. So nahe lagen sich die
beiden Tropfen, daß das Auge fast keine Grenze zwischen
ihnen mehr erfand, und doch so voll, so ruhig, den Himmel
und die Erde spiegelnd. Jetzt — ein leiser Lusthauch, der das
Blatt bewegte, ein kaum bemerkter Anstoß, und die zwei Tro-
pfen rannen zusammen in eine einzige, schwere Blumenthräne.
Auch den Seelen der träumend Liebenden und lieben Träumen-
den ist der streifende Windstoß nicht ausgeblieben, und sie zit-
terten in einander, erschreckt und selig zu Einer Seele und in
Einem Gefühle.

Es war ein unfreundlicher Herbsttag, den Vater hielt sein
Fußübel im Zimmer; Franz leerte den Apfelbaum im Garten,
Lore nahm ihm die gepflückten Früchte ab. Ein Bote unter-
brach die Arbeit; er hatte einen Brief an Franz. Lore sah
ihn das Schreiben lesen, sie bemerkte den Wechsel von Rothe
und Bläffe aus seinen Wangen; sie fragte sich still besorgt um
den Grund dieser innern Bewegung. Franz gab ihr den Brief;
es war ein Schreiben der Gemeinde Werbach, die Erinnerung

an das Versprechen enthaltend, welches Franz beim Abschiede
gegeben hatte und den Wunsch, daß er von jetzt an und für
lange die dortige Schule übernehmen möge; denn die Gemeinde
habe mit einigen gern gebrachten Opfern nunmehr eine ständige
Schule gegründet, zu deren Lehrer sie ihn wünsche.

Lore las, und aus ihrem schönen Auge floß ein Blick so
! groß und tief, daß Franz darin alle Stufen des Zweifels, der
Angst und der Liebe lesen konnte.

„Und werden Sie uns verlassen?" — fragte sie endlich
mit leiser bewegter Stimme.

„Ich werde es kaum können, aber gleichwohl thun müssen,"

; — erwiederte Franz. „Ich habe der Gemeinde versprochen,
wieder zu kommen, und es find so liebe, gute Menschen."

Dieß Wort hätte er nicht hinzufügen soffen, und wie gern I
j hätte er es zurückgenommen; aber es war gesprochen.

Lorchen stand wortlos, wie vernichtet, das tiefe, starre j
Auge auf Franz geheftet. Jetzt füllte sich's mit einer schweren !
j zitternden Thräne; die Hände, Brief und Fruchtkorb haltend, !

vermochten sie nicht zu zerdrücken, und die flüssige Perle rann !
j langsam an der Wange herab. Bald, so schienen die Finger j
| ihrer Last nicht mehr mächtig, der Brief flatterte zur Erde und !

! der Korb glitt an ihrer Seite nieder, so daß sich die Aepfel |

! auf dem Boden zerstreuten. Lore ward bleich und bleicher; j
i sie nahm ihre Kräfte zusammen, um in's Haus zu gehen, aber !

! sie wankte. Franz war einen Augenblick stummer Zuschauer
dieses innern Kampfes; er wußte nun Alles, Alles. Seine
Arme öffneten sich gegen das sinkende Mädchen. „Ich bleibe,"
rief er, „ich bleibe! Um kein Glück des Himmels noch der Erde
werde ich Dich verlassen." — Seine Lippen tranken den ersten
Kuß sammt den ersten Zähren von den bleichen Wangen, —

| und die beiden Thautropfen hatten sich zu Einem, zu der leuch -
tenden Perle „Liebe" vereinigt.

Der Vater saß im Lehnstuhle, als die beiden Liebenden
eintraten. Ein Blick auf das glühende Angesicht des Einen, auf
das niedergeschlagene und doch selig schimmernde Auge der Andern,
i belehrte ihn noch ehe es Worte versuchten, von dem Bündniß
und dem Glücke der jungen Herzen; er gab dem Verlöbnisse
seinen väterlichen Segen.

Aber wie nun weiter? Franz war ein talentvoller lieber
Mensch, aber noch weit von der Aussicht auf einen Schuldienst
entfernt. Die ihm angebotene Stelle in Werbach würde höchstens
seiner eigenen Person ein dürftiges Auskommen gewährt, auf
keinen Fall den Unterhalt einer Familie begründet haben. Franz
lehlite daher das Anerbieten derselben unter Dank und einer
gewichtvollen Entschuldigung ab. — Der Alte ging einige Tage
und Wochen lang schweigsam und überlegend einher; er liebte
lange Bekanntschaften nicht, am wenigsten unter jungen Leuten,
die so nahe bei einander lebten. In seinem Haupte kreuzten sich
Gedanken und Entwürfe. Seine Kinder — denn also nannte
er von nun an das Pärchen — sahen ihn öfters mit Feder
und Papier beschäftigt, und das Geschriebene sorgfältig in sein
Pult verschließen. Eines Tages packte er seine Schreibereien
zusammen, nahm Hut und Stock und trippelte, so gut das
Podagra es ihm erlaubte, über die Straße, erst zu seinem Ge- ,
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