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138

Die verunglückt

eben sagte, werde ich, wenn es Euch anders angenehm ist, eine
j kleine Geschichte aus meinem Leben erzählen."

„Ja, ja, erzähle nur zu," hieß cs vou allen Seiten,
das versetzt uns in selige Zeiten zurück, wo wir noch von
uns sagen konnten: Wir sind frei, wie der Vogel in der Luft,
nicht durch tausend feste Bande gefesselt, was kümmert uns
die ganze Welt!"

„Also, meine Freunde, hört zu:"

Meine Gedanken über die Ehe überhaupt einer-, sowie
über die Weiber mit Ausnahme derjenige», die man seine
Gemahlin nennt, anderseits, kennt Ihr wohl Alle zur Genüge.
Mit diesen war ich denn, nachdem wir uns nach Ablegung
unserer Prüfungen getrennt hatten, in die kleine Stadt L.
gezogen. Das neue Amt, zu dem ich hier berufen war und
die verschiedenen Bekanntschaften, die ich hier zu machen hatte,
nahmen in der ersten Zeit meine Aufmerksamkeit so sehr
in Anspruch, daß ich die Universität und meine Freunde an
derselben kaum vermißte; aber allmählig begann ich das
Schrecklichste zu fühlen, was cs nach meiner damaligen und
' noch gegenwärtigen Meinung für den Menschen geben kann,
nämlich Langeweile. Die Einförmigkeit meiner Lebensweise und
die Kleinstädterei meiner Umgebung wurden mir unerträglich
und was ich auch versuchte, Studium einer Licblingswiffenschaft,
vermehrte Beschäftigung mit meinem Amte, welche mir (bei-
läufig gesagt) späterhin Früchte trug, u. s. f. machten meine
Lage eher schlechter als besser, denn ich war nur um so mehr
der Erholung bedürftig.

Da hielt ich denn an einem reizenden Sommer- und
Sonntagsmorgcn folgenden Monolog — ich bitte, lacht mich
herzhaft aus, liebe Freunde —: „Karl, Du mußt und wirst
heirathen! Aber Wen?" Da hatte sich auf einmal ein uner-
wartetes Hinderniß aufgethürmt. Doch auch diese Schwierigkeit
machte mir nicht viel zu schaffen; ich dachte also weiter: „Du
bist 26 Jahre alt, nicht häßlich, hast auch sonst mit der schönen
Hälfte der Erdbewohner ziemlich gut umzuspringen gewußt,
Deine Stellung -ist nicht übel, und ein Avancement kann nicht
lange ausbleiben. Wie sollte es Dir da fehlen?" Mein Ent-
schluß war also bald gefaßt. Ich hielt nämlich das wahre
Vcrlicbtscin für ein zum Heirathen eher schädliches als nütz-
j liches Ding, und wollte deshalb blos mit dem Verstände
! wählen, wohlgemerkt jedoch, dieser sollte nicht etwa in pccu-
: niärer Hinsicht, sondern nur rücksichtlich derjenigen Eigenschaf-
ten den Ausschlag geben, welche ich als unumgänglich ansah,
um eine vergleichsweise glückliche Ehe zu führen. Ich faßte
mir also ein Herz, um einige Familien zu besuchen, bei denen
ich am Anfänge meines Aufenthaltes in L. öfter vorgesprochen
hatte, welche ich aber in letzter Zeit durch meine unglückliche
Laune sehr vernachlässigte, was man nacb L'schen Begriffen
nur als absichtliche Beleidigung aufnehmen konnte. Indessen
ich war rcsignirt und wollte gerne die verschiedenen unangeneh-
men Situationen, in welche ich voraussichtlich jetzt gerathen
mußte, als Strafe für meinen bisherigen Uebcrmuth gelten
lassen. Ich putzte also meinen äußern Menschen, denn mit dem
inner» ist man »ach einem fest gefaßten Entschlüsse in der

Brautwerbung.

Regel ohnehin sehr zufrieden, mit allem mir zu Gebote stehen-
den großstädtischen Lurus heraus, so daß bald ein schneeweißes
Beinkleid und eben solche Handschuhe mit einem aus Berlin
stammenden schwarzen Frack, in welchen Dingen noch nebenbei
meine geringe Persönlichkeit steckte, ein in meinen Augen un-
widerstehliches Ganzes bildeten.

Nach einigen glücklich abgelaufencn Besuchen, bei welchen
ich mit ziemlichem Anstande unterschiedlichen Honoratiorentöchtern
unterschiedliche höchst merkwürdige Dinge gesagt und erzählt
hatte, nach welchen aber mit erschreckender Conscquenz mein
neu ernannter Gehcimrath, vulgo: Verstand, jedesmal die in-
haltsschweren Worte gemurmelt hatte: „Du mußt entschieden
weitergehen, bisher hast Du noch nichts Passendes gefunden,"
führte mich endlich der Zufall an dem Hause eines sehr an-
gesehenen, und wie man behaupten wollte, auch reichen Kauf-
mannes vorüber, welcher noch zum Uebcrfluß eine hübsche Tochter
haben sollte. Ich hatte vor einiger Zeit Herrn Zahlmann im
Gasthausc kennen gelernt, und er hatte mich hierauf mit einer
Einladung beehrt, ihn zu besuchen. Bisher hielt ich jedoch
diese Einladung für eine durchaus nicht ernst gemeinte, ganz
allgemeine Höflichkeit, welche, wie cs fo oft bei ähnlichen Ge- >
legenheitcn der Fall ist, das Gegenthcil von dem bedeuten ,
soll, was der anscheinende Sinn ihrer Worte ist. Doch heute '
war der Tag des Ungewöhnlichen und ich fand plötzlich, daß
die besagte Einladung nicht nur vollkommener Ernst gewesen
sei, sondern daß es sogar eine schreckliche Beleidigung wäre,
wenn ich ihr nicht Folge leistete. Mein Gehcimrath schwieg,
und ich trat also in den Thorweg des Hauses. Hier empfing
mich ein sehr hübsches, niedliches Mädchen, augenscheinlich
Kammerzofe oder dgl., der ich sogar ohne die Dazwischenkunft
meines Gehcimraths augenblicklich einen Kuß applizirt hätte.

Doch meinem Vorsätze getreu, fragte ich in möglichst gleich-
gültigem Tone: „Ist Herr Zahlmann zu sprechen?" „Ich
werde Sic sogleich melden," antwortete das schöne Kind und
hüpfte fort. Nun war das auch eine jener Gewohnheiten in
L., auf deren Einführung nach dem Beispiele der Hauptstadt
man sich sehr viel einbildete, daß man überall auf die feier- j
lichstc Weise gemeldet werden inußtc. Sonst wäre ich vielleicht
darüber sehr böse geworden, daß man von den Berlinern nicht
auch gelernt hatte, einen anständigen Menschen, als welchen
ich mich im vollsten Sinne des Wortes betrachtete, nicht im
Thorwege warten zu lasse», aber heute hatte sich meine An-
schauungsweise geändert; eben kam auch mein weiblicher Merkur
zurück, und führte mich mit der Bemerkung, daß der gnädige
Herr und Fräulein Marie im Garten seien, in diesen ein,
und zwar in eine wundervolle GciSblattlaube, in welcher sich
die beiden Genannten an einem mit den Resten des Früh-
stücks bedeckten Tischchen befanden. Hierauf Erkennung: „freut
mich sehr," dann Händedruck, Vorstellung: „Meine Tochter
Marie, Herr Karl Richter, Rechtsanwalt" u. s. w. und ich
saß, eine angebotene, beiläufig bemerkt, sehr feine Cigarre
zwischen den Zähnen,, neben einer hübschen freundlichen Brünette
mit feurigen Augen, und einer ziemlich üppigen aber graziösen
und zierlichen Gestalt.
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