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Fliegende Blätter — 31.1859 (Nr. 731-756)

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I *)

Der Heidengott.

und jener schlaue Alterthümlcr noch mehr dem Räthscl über
das.. Bild als dem Bilde selbst nachspürte, indem er der Ansicht
war, es müsse mit demselben eine ganz besondere Bewandtniß
haben, irgend eine geheimnißvolle Geschichte müsse sich daran
knüpfen, über die zu schweigen der Geistliche sowohl als die
Gemeinde ihre gute» Gründe haben möchten.

Allein, wie das so zu geschehen pflegt, daß man vergeb-
lich in weiter Ferne sucht, was man in nächster Nähe leicht
finden könnte, so tappten sie mit allerhand närrischen Vermuth-
ungen im Nebel herum, und keinem fiel es ein, einmal den
Geistlichen in der Kirche predigen zu hören, was ihnen den
j einzigen, aber auch einen vollständigen Aufschluß über das
Bild hätte geben können. Das steinerne Männlein war näm-
lich, ein geneigter Leser erschrecke nicht, cs war dem Geistlichen
wie der Gemeinde ein ganz unentbehrliches Requisit bei jeder
Predigt. Nicht als ob die Leute in E. eine Rotte verkappter
Götzendiener gewesen wären, nein, sie waren so gute oder
bessere Christen als viele andere. Aber dennoch: eine Predigt
ohne den Hcidengott war in E. etwas Undenkbares, eine reine
Unmöglichkeit.

Freilich war das nicht von jeher so gewesen. Das Bild
war zwar seit undenklichen Zeiten dort in der Kirche gestanden.
Soweit die Tradition zurückging, fand sic es schon an seinem
Platze. Aber es war eben nur dagewesen und niemand hatte
sein viel geachtet. Zur Bedeutung, zur Mitwirkung beim Got-
tesdienste, zur Unentbehrlichkeit war es erst erhoben worden durch
den jetzigen Prediger. Wie dieser als frische junge Kraft in
E. eingezogen war, cs war freilich schon lange her, an die
fünfzig Jahre; wie er die Heerde sah, die er weiden sollte,
di-e einfältigen Gemüther, den kindlichen Sinn; wie er ihre
Handlungs- und Dcnkungsweise näher kennen lernte, die sich
überall so ganz an das Nächstliegende und Natürliche, ja an
das Greifbare, Sinnliche anschloß, da wollte cS ihm gar wider-
sinnig Vorkommen, ihr viel von abstrakten Dingen vvrzuprcdi-
gen. Alle die. eingeübten Kategoriccn, nach denen er seither die
Glaubenswahrheiten abzuhandcln gewohnt war, erschienen ihm
hier als völlig unbrauchbar und er beschloß in seinen Vor-
trägen zu der kindlichen und sinnlichen Anschauungsweise der
Gemeinde herabzustcigen und sie in der Weise anzufassen, in
welcher sie ihm allein anfaßbar schien. Alles mußte klar und
verständlich und dabei sinnlich anschaubar, plastisch dargcstcllt
werden. Zu diesem Zwecke griff er mit voller Hand hinein
in die herrliche Bildersprache der heil. Schrift, zumal des alten j
Testaments, und holte von dort die ganze erhabene Anschaulich-
keit des Ausdrucks, das reiche Naturleben der Gottheit hervor.
Aus dem neuen Testamente wählte er neben der Lebcnsgeschichte
Jesu vor allem die Gleichnisse, nicht um schnell darüber weg
zur Deutung überzugehen, sondern um das Glcichniß selbst in
seiner ganzen sinnlich geistigen Gestalt recht tief in die Ge-
müther einzudrücken, überzeugt, daß durch das eingeprägtc Bild auch
ohne weitläufige Erklärung schon von selbst ganz unvermerkt
auch der ticse Sinn desselben sich in den Herzen ausbreiten
werde. Mag man über diese Methode urtheilcn, wie man will,
sicher ist, daß sie die Gemeinde im hohen Grade befriedigte.

So faßlich, so behältlich, so anschaulich und handgreiflich hatte
ihr noch keiner ihrer Seelsorger gepredigt. Das > drückte und
prägte sich nur so ein; nichts Unsicheres und Halbverstandenes
nahm man mit, sondern eine reiche, volle, unverkümmerte Gabe
der Wahrheit. Man brauchte sich nicht abzumühen, etwas von
der Predigt im Kopfe zu behalte», es war leichter sic zu be-
halten, als sie zu vergessen.

Da war nun dem Prediger, als er sich so besann, was
er alles für seine Zwecke verwende» könnte, auch das Götzen-
bild, das der Kanzel gegenüber an der Mauer befestigt war,
in's Auge gefallen. War cs doch das einzige Bildwerk, das
in dem einfachen Kirchlein zu finden war, und dabei unzweifel-
haft ein Machwerk von Heidenhand, also unter dem Einfluß
der unsauberen Geister und Dämonen entstanden. Wie unan-
ständig präscntirtc es sich so in voller Nacktheit, wie klar
wiesen seine feisten Gliedmaßen die Herrschaft des Fleisches
und der Sinnlichkeit, wie hoffärtig saß ihm der Strahlenreif
auf dem Haupte, und wie hatte sein Gesicht so ganz den Aus-
druck jener grinsenden Listigkeit, die offenbar in der Verhöhn-
ung des Heiligen ihren Ursprung hatte! das Erste und wirk-
lich Jedem Naheliegende war, daß der Prediger, wenn er auf
die arme, blinde Heidenwelt zu sprechen kam, auf den Hcidcn-
gott dort an der Wand hinwies und ihn zum lebendigen
Zcugniß machte, wie sehr die Menschen, die solche Gebilde
verehren, im Argen liegen müssen. Allein er blieb dabei nicht
stehen. Als Vertreter des Hcibenthums war ja die Figur nach
der Schriftlehre selbst zugleich Repräsentant des Bösen über-
haupt. Mochte also der Prediger von dem Fürsten der Finster-
niß selbst handeln, oder von irgend einem aus seiner unsau-
beren Heerschaar, ob dieser nun zu den höheren Ordnungen,
dem Hofstaat des Fürste», oder zu dessen entferntestem Gesinde
den Feldteufcl», gehörte, dort an der Wand stand er, wie er
leibt und lebt, zum Entsetzen der Gemeinde. Die Kirchcnstühle
zunächst bei der Figur wurden bald durch eine Art stillschwei-
gender Uebcreinkunst leer gelassen, theils aus Scheu vor der
Nähe des Bösen, theils dainit man von allen Seiten bequem
Hinsehen konnte. Ja, das Böse im Menschen selbst mußte sich's
gefallen lassen, hier seinen Typus zu finden. Manches Gemeindc-
glied, das sich arger Schliche bewußt war, erschauderte im tiefsten
Grunde der Seele, wenn cs sich vorstellte, welchen schlimmen
Gast es in seinem Innern beherberge, bei manchen entdeckte
die auf einmal sich klar gewordene Gemeinde eine merkwürdige
Aehnlichkeit mit dem kleinen Kobold a» der Wand und bei
anderen gab es Leute, die steif und fest gesehen zu habe» be-
haupteten, wie der oder die an irgend einem verdächtigen
Kreuzwege um Mitternacht sich mit einem Dinge besprochen
habe, das niemand anders gewesen sei als das gräuliche Männ-
lein aus der Kirche. Das Resultat von dem allem war aber,
daß die Gemeinde so fleißig wie sonst nie die Kirche besuchte,
daß der Geistliche die ausgedehnteste Wirksamkeit auf sie hatte,
daß er die strengste Sittenzucht üben, und zwar mit Erfolg
üben konnte, daß endlich man sich keinen ersprießlichen Gottes =■ ;
dienst denken konnte ohne den schlimmen Gesellen dort an der
Wand. >
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