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Dcr letzte

Haupt- und Leibstation. Wie war er da hingcjagt auf der
breiten, fcstgestampften, herrlichen, großen Poststraßc! Wie war
ihm dorl Fuhrwerk an Fuhrwerk begegnet, und alle ehrerbietig
vor dem daherrasselnden Postzug zur Seite gewichen! Alle An-
wohner der Straße waren seine Bekannten gewesen, alle Wirth-
schasten vom großen Hotel bis zur kleinsten Tafernwirthschaft
hatten ihm zugcwinkt als einem alten Freunde, er kannte je-
den Baum, jeden Stein, in stockstnsterer Nacht war er da seiner
Sache so sicher gewesen, wie am Hellen Mittage. Aber das
hatte Alles mit einem Schlage aufgchört: die Eisenbahn führte
dorthin. Die herrliche Poststraßc war verödet, kaum nothdürf-
tig wurde sie für den Verkehr der Dorfschastcn unterhalten.
Wie man einem abgcdankten edlen Jagdhunde verächtlich ein
Paar magere Knochen hinwirft, so warf man alljährlich noch
einige Wagen Steine an die schadhaftesten Stellen, das war
alles. Sonst ließ man Rinnen entstehen, Pfützen sich bilden,
Gras wuchern. Was lag daran? Zwanzig Schritte davon sausen
ja die Bahnzügc vorüber und haben alles Leben an sich ge-
zogen. An Einem Tage wurde der prachtvollen Straße dcr Lebens-
nerv abgeschnittcn, und sie zu einer blos vegctirenden Eristenz
verurthcilt, und sie hat nun die Tantalusqual, den Feind, dcr
sie bei lebendige»: Leibe beerbt hat, während sie hoffnungslos
hinsiecht, in nächster Nähe und immer steigender Kraftfülle an
sich vorbei stolziren zu sehen.

Das erste Mal nach Jahren begrüßt dcr Jacob heute
wieder seine alte Freundin. Aber wie kommt das? darüber
zerbricht er sich den Kopf. Wer ist es, dcr heutzutage noch
diesen Weg anders als auf dcr Eisenbahn zurücklcgt, und welche
Gründe kann er dazu haben? Lange bringt er's nicht zurecht.
Endlich kommt ihm ein Gedanke, dcr ihn wenigstens halb be-
friedigt. „Gewiß," spricht er bei sich, „ist ihm das heillose
Fuhrwerk, die Eisenbahn, in die Gedärme gefahren. S' wird ein
Gelehrter sein, der da nicht gut beschlagen ist. Jetzt kann er's nicht
mehr aushalten, so durchschüttert zu werden, und so ist ihm die
Schneckenpost der Gutgenug, weil's da sänftiglicher geht. Ja,
der Gutgenug!" knirschte er, „dcr muß sie freilich jetzt immer
sein! So wollt' ich doch," fuhr er, immer ingrimmiger werdend,
fort, „daß dem sein elendiger Leib jetzt gerade recht zusam-
mcngerammclt würde, daß er künftig auf seiner Eisenbahn
bleibt, i^er miserable Schreiber!" Und da war wirklich leicht
zu wünschen. Denn die einst spiegelglatte Straße war jetzt so
vergangen und so uneben geworden, daß dcr Wagen unausgesetzt
die unsanftesten Stöße erlitt, und selbst dcr gegen solche Ein-
drücke abgehärtete Postillon einen Fluch um den andern aus-
sticß, ja einige Male ernstlich Gefahr lief, von: Bocke hcrun-
tergcschlcudert zu werden. Allein dcmungeachtet fuhr er immer
gleich scharf zu und gab sich auch gar keine Mühe, den Uneben-
heiten auszuweichen. Denn gab's ihm einen tüchtigen Stoß,
so dachte er bei sich: das wird dem da drinnen wieder ordent-
lich in den Leib gefahren sein. Wohl bckomm's, Herr Passa-
gier! So sind nun einmal in jetziger Zeit die königlichen Post-
straßen. Bei alledem war er aber noch nicht ganz beruhigt.
Er war nämlich doch nicht mit sich im Reinen darüber, ob
seine Erklärung des auffallenden Ereignisses ganz die richtige

Passagier.

sei, und je länger er fuhr, desto begieriger wurde er, aus des
Reisenden eigenem Munde die Wahrheit zu erfahren. Denn
auch das fiel ihm auf, daß sich derselbe so gar still und ruhig
verhielt, daß er gar nicht räsonnirte und schimpfte, wie die
andern, obgleich man's ihm bei dem Teufelswege wahrlich nicht
hätte übel nehmen können. So konnte er sich denn nicht ent-
halten, zu thun, was er, seit die neue Zeit eingctreteu war,
nie mehr gcthan hatte, nämlich den Reisenden selbst anzureden.
Er neigte sich vom Bocke seitwärts nach dem Kutschenschlage
und sagte, indem er die Pferde zu etwas gemächlicherem Laufe
anhielt: „Ein schlechter Weg, Herr! S' ist nicht immer so
gewesen. In früherer Zeit da ging's glatt weg wie auf einem
Teppich. Aber da haben sic jetzt die Eisenbahn gebaut. Warum
benützt der Herr die nicht?" — „Ich fahre nie auf der Eisen-
bahn," sagte eine milde aber entschiedene Stimme aus dem
Grunde des Wagens. Dcr Jacob traute seinen Ohren nicht.
„Wie? was? Herr! was sagen Sie da?" fragte er hastig.
„Ich benütze nie die Eisenbahn," lautete cs wieder. „Sic be-
lieben zu spaßen, Herr," sprach der Jacob. Man hörte aber
am Ton, daß ihm selbst gar nicht spaßig zu Muthc war.
„Sic spaßen! Jedermann fährt ja jetzt auf der Eisenbahn
j und kein Mensch benützt mehr den Wagen, außer wer muß."

1 „Ich weiß das wohl," antwortete dcr Herr. „Aber mögen an-
dere cs halten, wie sie wollen, meine Grundsätze stehen fest:
ich werde niemals die Eisenbahn benützen." — ,,O Herr!"
rief dcr Jacob, dem bei diesen Worten nach langer Zeit wieder
das Herz warm geworden war, so wärm, daß es vor Freude
fast zu zerspringen drohte: „Sie sind ein Mann! Gottlob, daß
ich jetzt doch noch einen Menschen kenne, der es auch nicht
leiden kann, das Teufelsfuhrwerk!" — „Mit Recht nennt
Jhr's so," sprach der Passagier, „es hat mich von jeher nicht
anders angemuthet. Es ist todtes Metall, und scheint doch zu
leben, es hat eine rasende, entsetzliche Kraft und dabei keine Seele,
kein Herz. Man sicht, es ist ihm ganz gleich, ob es die Hun-
derte von Menschen, die es aufnimmt, gesund und wohlbe-
halten an Ort und Stelle bringt, oder ob cs sie in den Ab-
grund reißt. Jetzt gehorcht cs willenlos dcr Hand, die cs lei-
tet, und im nächsten Augenblicke sprengt es alle Bande des
Gehorsams, spottet jeder Führung und streut die Elenden, die
sich ihm anvertraut haben, zerschmettert nach allen vier Winden
hin aus. Es ist nichts Menschliches, nichts Christliches an ihm.
Wie gesagt: entsetzliche Kraft und kein Herz." — „Ja, so
ist's, wahrhaftig, gerade so, wie Sic da sagen," rief jubelnd
dcr Jacob. „Ich hab's schon lange gesagt, oder vielmehr nicht
gesagt, aber gefühlt hier innen in dcr Brust. Ich müßt' ja
kein Mensch sein, wenn ich's nicht gefühlt hätte, so hat's mir
von Anfang an das Herz zusammcngeschnürt, wenn sich das
Ding nur aus dcr Ferne gesehen habe. Da nehme ich meine
Rosse. Die kennen mich so gut, wie ich meinen Herrn. Trete
ich morgens in den Stall zur Fütterung, so drehen sie die
Köpfe herum und wollen gestreichelt sein. Sage ich dann:
Allo, auf! 's gibt zu thun! so schütteln sie sich und machen
sich munter. Und unterwegs da wollen sic immer unterhalten
sein. Hören sie lange nichts von mir, so schauen sic um, und

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