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Die Zwanzig er-Putzerin.

Junge schwang sich vor der Alten aus den Küchcntisch, trom-
melte mit den Füßen, und tätschelte die alte Dame ziemlich
unglimpflich ab; diese aber saß da, wie angedonnert und ver-
steinert, mit offenem Munde, bis stc zuletzt in Helle Thränen
ausbrach und mit schluchzender Stimme srug: „Wie, der junge
Herr Fcri will aus dem Elternhaus, von uns fort, will den
guten Herrn Vater, die liebe, liebe Mutter, und die arme
Schüri verlassen? O du blutiger, heiliger JesuS und du liebe
theure Gottesmutter, Euch sci's geklagt und gejammert, daß
cs endlich denn doch so hat kommen müssen! Mein goldncr,
süßer junger Herr Fcri, geh nicht von uns, bleib' daheim,
wenigstens so lang ich noch lebe, denn mir bricht's das Herz,
wenn das Haus jetzt so leer sein sollte und mein Fcri fehlt
und ich seinen Lärm nicht höre! Fcri, geh noch in dem Jahre
nicht fort!" Und indem die Alte die Brille in der einen
Hand hielt, und mit der andern deren Gläser putzte, rannen
ihr die hellen Thränen über die nicht mehr jugcndglattcn,
doch wohlgenährten Wangen, und auch den Jungen ergriff
unwillkürlich ernste Wehmuth, er hatte genug zu thun, um
nicht selbst in ein Geplärr auszubrechcn, und indem er die
Alte abküßte und streichelte, suchte er sie blos durch Zärtlich-
keiten zu trösten; als sie aber eine Weile so fort schluchzte,
gab er ihr plötzlich einen ziemlich derben Stoß und fuhr aus:
„Flenn' nicht, als sollt ich zum Aufhängen geführt werden!
Ich will doch auch was anderes noch sehen als das große
leere Pest, und wenn ich dann zurückkomm', dann kann ich
Dir viel, viel erzählen, und will hier ganze Nächte hindurch
wieder in der Küche sitzen, weißt, wie sonst des Winters, dann
brauchst Du mir aber nicht die Geschichte vom Toldy Miklös,
oder das Märchen von den sieben Pomeranzen oder vom
Töpfer und der Zauber-Ilona zu erzählen, dann erzähl' ich
Dir von Wien, vom Meer und von den großen Städten,
und so lang ich in Wien bin, schickst Du mir allezeit um
Ostern eine große Milchkolatschen, und recht guten Debrecziner
Schinken und rothe Eier, und zu Weihnachten Mohnbeigcl
und Nußbcigel und Zwctschkcnbcigcl und besonders Kletzcnbrod,
auch vergiß mir nicht auf die Krammelpogatscherln, und kannst
mir einmal auch eine große Bitta, gefüllt mit dem süßesten
Zeug, das aufzutreiben, schicken, in drei, längstens vier Tagen,
habe ich cs ja in Wien und die Mutter wird mir im Sommer
ohnehin stets Wassermelonen und im Herbst Quittenkäs und
Zwetschkenlequar zuschicken und dann komme ja auch ich
hin und wieder herab, jetzt wein' mir nur nicht und mach'
mich nicht traurig, mir ist's so schwer genug um's Herz!

— Doch horch, da kommen Vater und Mutter! Still,
hör' auf zu weinen, und laß' Dir nichts merken, daß ich
Dir schon gesagt, was Nachmittag beschlossen worden, und
nach dem Nachtessen komme ich wieder." Und der Junge ent-
eilte rasch aus der Küche, die Alte aber weinte still fort,

und machte unter Thränen Feuer auf dem Herde an, um den
Abendtisch zu bereiten.

II.

Etwa zehn bis zwölf Jahre nach dieser sonntäglichen
Abcndscene saß auf dem Boulevard des Italiens in Paris

im ersten Stockwerke des Cafe Grand Balcon, in einer der
kleineren Ncbenstubcn ein hübscher junger Mann, rauchte
seine Papiercigarette und hatte die Reste einer Cotclcttc de
Mouton und ein halbgclcertes Fläschchen Rvthwcin vor sich
stehen, sah aber alle Augenblicke, offenbar sehr ungeduldig,
nach dem großen Salon und der Eingangsthürc daselbst. Es
war erst nach eilf Uhr Morgens und des Winters, wohl ge-
rade zur Carncvalszeit, denn in der Stube nebenan lärmten
einige Griscttcn im Dcbardcurkostüin und tranken mit fröh-
lichen Studenten den schlechten Rosachampagncr, ohne jedoch
eben in Ausgelassenheit zu verfallen, und in all' den Chcminocs
glimmte Kohlcnfeucr. Der junge Mann war mehrmals auf-
gestanden, sah flüchtig in das Ncbenkabinet, woraus er fröh-
lich angcrufcn wurde, ohne daß er Antwort gab, trommelte
an den Fensterscheiben, nach dem belebten Boulevard hinab-
blickend, und ging auch öfter in den großen Salon hinaus,
indem er unruhig umhcrpromenirte. Es kamen und gingen
fortwährend Gäste, bis endlich ein anderer junger Mann cin-
trat, auf den der Wartende rasch zucilte und ihn hastig auf
deutsch frug: „Nun, kommt er?" Der Andere erwiderte:
„Versprochen hat er cs wohl zuletzt, aber ich weiß nicht, ob
er auch Wort hält; denn er wollte gar nicht anbcißen, beson-
ders da cs heute Faschingdienstag ist. Zuletzt hat er aber doch
so halb und halb zugcsagt, er wolle nach zwei Uhr oder gegen
drei Uhr hier Vorkommen." — „Was," rief der erste junge
Mann ärgerlich, „gegen zwei oder drei Uhr? Jetzt ist's eilf Uhr,
und da soll ich noch drei bis vier Stunden aus den verdamm-
ten Juden hier warten? Hätt'st Du ihm doch wenigstens hundert
oder hundertfünfzig Franc einstweilen entrissen, denn Camille
und Loissct warten ja auf mich um vier Uhr bei Vcfour zu
einem pelit Diner, dann wollen wir auf den Operaball,
wo wir die Ninette vom Lurembourg, die dicke Pauline und
eine junge Creolin finden sollen, die bisher die Maitrcsse von
Coignard war, und noch nie öffentlich erschien. Ich muß dabei
sein, denn ich Hab' cs versprochen, und ich werde doch dies
Jahr am Faschingsdienstag nicht daheim sitzen, wo wir uns
im vorigen Jahre so sardanapalisch unterhielten. Jedoch ich
besitze nur mehr drei Franc, und Du mußt mir Geld schaffen,
Rudolf, ich habe gar nichts mehr zum Versetzen, auch meine
Uhr ist schon bei der Tante Loulou, und endlich wird doch
mein Alter wieder schreiben und Geld schicke», wcnn's auch
noch eine Weile dauert, aber ich versprach ihm ja »ach London
zu gehen und in den Engiuecr-Jnstitutioncs weiter studircn zu
wollen, wenn er mich rasch auö der Patsche bringt, denn
morgen ist Aschermittwoch, und jetzt werden allmählig die
Wcchselchcn fällig. Verdammt, da kommt der lange Sekretär
unserer Gesandtschaft daher, der fehlte »och! Komm', Rudolf,
setzen wir uns hier an's Fenster und decke mir den Rücken,
auf daß er mich nicht sicht." Und während die zwei jungen
Leute sich an eines der Fenster setzten, ging ein auch noch
junger Mann, elegant doch englisch einfach, einen schmalen
Regenschirm unter dem Arme, durch den Billardsalon, musterte,
ohne direkt aus die Personen zu blicken, die Anwesenden, hob
hin und wieder ein Journal aus, trat zur Dame des Comptoirs,
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