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66 Ein Briefmarken - Sammler.

> seine Herrin geworfen, gravitätisch in die Mitte der Gaststube
i und heran an den Haupttisch trat. Als er sich dann einige
Male geräuspert und so geschickt die Blicke, die Aufmerksam-
keit der Anwesenden auf sich gelenkt, begann er mit freund-
lichstem Lächeln, doch auch gehoben von dem Gefühl seiner
erhabenen Stellung als erster Markomane Schlaberndorfs,
also zu reden: „Meine Herren! Es ist keinesfalls in Folge
des ersten Aprils, den wir allerdings heute zufälliger Weise
durch den Kalender besitzen und erleben, daß Sie hier versam-
melt worden sind und sich hier versammelt haben. — Was
Sie hieher gezogen hat — wer will cs läugnen? — ist die
gewaltige Macht des Fortschritts, der höheren Bildung unseres
Jahrhunderts? Sie wissen und ahnen, welche noble Passion die
Ersten, Würdigsten unserer Zeit, die bedeutendsten Männer und
ditto Frauen der Metropolen Europas erfüllt, mit Entzücken
erfüllt! Sie begehren das Wunder zu schauen, anzustaunen
und zu bewundern, welches unsere aufgeklärte Zeit der sam-
melnden Menschheit geschenkt! Ja, meine Herren, eine
schönere und noblere, würdigere und nützlichere und vor allen
Dingen modernere und zeitgemäßere Passion als die, welche
Sie mit magischen Banden hiehergczogen, gibt es nicht! —
Was sind die anderen Sammler gegen die Markomancn?
Was Porträt und Autographen, alte Möbel und Waffen,
Feuerzeuge und Schnupftabaksdosen, Steine und Muscheln,
selbst Eier, Hörner und Geweihe und anderes dummes Zeug
gegen — Briefmarken ?! Nichts, meine Herren! Nichts
kann sich mit diesem vergleichen! Der Markomane umfaßt
mit seiner Sammlung nicht allein das ganze gebildete Europa,
nein, den ganzen bis jetzt entdeckten Erdball! Ja, meine
i Herren, unbewußt ahnten Sie die enorme Tragweite, die welt-
und kulturhistorisch-geographische Bedeutung dieser neuen Er-
scheinung und Erfindung und deshalb zogen Sie in Scharen
in unfern Schlaberndorfer Hof, der, ich sage es mit Rührung,
mit Stolz, heute Abend ein Tempel der neukrcirten zehnten
Muse, der Markomania geworden ist! — Sie erwarten
einen berühmten Sammler von Angesicht zu Angesicht zu
sehen, seine noch berühmtere Sammlung anstaunen, bewun-
dern zu dürfen. Doch leider ist derselbe durch unvorher-
gesehene Hindernisse verhindert, vor Ihnen zu erscheinen. Ilm
Sie, verehrte Versammelte, indessen für solchen Verlust in
etwas schadlos zu halten, stellt sich Ihnen einer seiner un-
würdigsten Jünger vor und zwar — in meiner höchst geringen
Person. Dieser wird alsogleich die Ehre haben, Ihnen seine
eigene, müh- und sorgsam zusammengebrachte, doch leider
noch immer unvollständige Sammlung vorzulegen, um da-
durch auch in Ihnen das heilige Feuer der Begeisterung
für die moderne klassische Neigung anzufachen, Ihnen einen
Vorgeschmack von der Seligkeit zu geben, die eine voll-
ständige Sammlung im Stande sein dürfte in jedem, für
j das Edle, Schöne und Erhabene glühenden Herzen zu er-
wecken!"

Die so zahlreich versammelten Zuhörer hatten der merk-
würdigen, mit sichtlicher Begeisterung vorgetragenen Rede
des eleganten Oberkellners mit wahrhaftem Erstaunen gelauscht.

Sie waren sichtlich ergriffen, ja überzeugt worden, und vcr-
mochten ihren Gefühlen vor der Hand nicht anders, als durch
lautes „Bravo!" — wahrhaft himmlische Musik für die Ohren
des sammelnden Oberkellners — Luft zu machen. Diesen
war nach einer allseitigcn, tiefen Verbeugung davongcflogcn
und erschien bald darauf wieder mit einem höchst eleganten,
in rothes Schafleder gebundenen Album, so seine sämmt-
lichen papiernen Briefmarkcn-Schätze enthielt. Wie drängten
sich die Neugierigen an ihn heran! Mit welch' stolzem Selbste
bewußtscin zeigte Herr Franz Kreide nun Blatt um Blatt,
bald an diesem bald an jenem Tische; die rvthen Badenser
und die grünen Oesterreicher, die blauen Preußen und die
gelben Nassauer, die höchst seltenen Marken aus Vorder-AsieN
und die Hinter-Pommern, die aus China und die aus Chur-
Hessen, die weißen Russen aus Sibirien und die fahlen,
grauen, mit dem stark beknebelbarteten Profil des neuen Königs
von Italien! Napoleon III. und Königin Viktoria, Washington
und Franklin. Bären, Adler und andere ausländische zahme
und wilde Thiere ließen sic schauen, und dann wieder Marken
der übrigen fünfunddreißig deutschen Vaterländer, in allen,
den buntscheckigsten Farben prangend, denen jedem nach der
Reihe eine ganze Seite des prächtigen, schafledernen Albums
gewidmet war, unter welchen Seiten jedoch die letzte, die
fünfunddreißigste — war es eine entsetzliche Lücke oder ein
tiefes politisches Geheimniß — vollständig weiß und un-
bepappt sich den erstaunten, entzückten und bewundernden
Zuschauern darstellte.

Franz Kreide und seine noble Passion, oder vielmehr
sein System, seine Lehre, erlebten einen vollständigen Sieg-
Die Sammlung gefiel ungemein, sowohl durch den in der
That prächtigen Anblick, den sie gewährte, als auch durch
die sofort in die Augen springende hohe Nützlichkeit, tiefe
politische Bedeutsamkeit und vor allen Dingen ungemeine
Billigkeit, womit sie herzustellen war, und noch am selben
Abend wurde von allen Seiten die sofortige Anlegung von >
Briefmarken - Albums und Sammlungen beschlossen. Der
freudetrunkene Oberkellner versprach zuvorkommend solche höchst
löbliche Bestrebungen nach besten Kräften zu unterstützen und
gerne von seinem Ueberfluß herzugebcn — zu den allcrbilligsten
Kursen oder gegen andere — natürlich seltenere Marken-
Er empfahl dringend Zicsche's und Köder's Katalog, als
Handbuch sowohl, wie auch als Kurszettel der Markenbörse, |
und erbot sich, am andern Abend seine Doubletten vorzulegen
und weitere Vorträge über die hohe und tiefe Bedeutung der
Markomanie zu halten. Frau Schnepfe! wohl instruirt von
ihrem gewandten Chef de maison, hob dann den Briefmarken-
Enthusiasmus auf die höchste Höhe, als sie erklärte, von n»N
an zum Nutzen und Frommen ihrer Gäste, der verehrten
Sammler und Markomanen Schlaberndorfs, die neuerscheinende
Briefmarken-Zeitung zu halten.

Am andern Tage war in allen Häusern, allen Fami-
lien Schlaberndorfs ein neues, reges, fast nervös - auf- !
geregtes Leben zu spüren. Notiz-, Haushaltungs- und
gewöhnliche Schreibebücher, geheftet und gebunden, wurden
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