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Ein Weihnachtsabend, oder: wie man Schriftsteller wird.

Lehrfach an einer auswärtigen Universität vorzubereiten.
Mittellos, ohne Gönner und Bekannte, hatte er bald in der
großen Residenzstadt mit bitterem Mangel zu kämpfen.

Vom Thurme der Domkirche schlug cs fünf Uhr. Der
Ton der Glocke weckte Nordheim aus seinen Träumereien.
Er erhob sich, holte aus dem Schranke eine kleine Lampe
hervor, setzte sie auf den Tisch und zündete sie an. Das
Licht brannte trübe und flackernd; eö schien mit der feuchten
Kälte des Stübchens zu kämpfen und fast zu unterliegen.
Bei dem unsicheren Scheine, den es auf die Heinrich's
Studirtische gegenüberliegende Wand warf, konnte man einen
Strauß verdorrter Epheublätter bemerken, die in einem kunst-
losen Rahmen von Papier gefaßt, an der Wand über dem
, Bette hingen.

Heinrich hatte sich jetzt wieder an den Tisch gesetzt und
versuchte zu schreiben. Aber die Kälte lähmte seine Finger,
das flackernde, rauchende Lampenlicht trübte seinen Blick und
machte die Buchstaben in einander verschwimmen. Er legte
die Feder aus der Hand, erhob sich und maß mit starken
i Schritten das Zimmer, indem er sich die starren Hände
rieb. Der kalte Dezemberwind schlug eben gegen das unvoll-
kommen schließende Fenster; der glimmende Docht der Lampe
flackerte hoch auf und beleuchtete heller, denn zuvor, die an
I der Wand hängenden Epheublätter. Es waren Blätter, vom Grabe
^ seiner Mutter gepflückt. Heute vor einem Jahre hatte sie noch ge-
lebt und durch ihre sanfte mütterliche Liebe ihm den heiligen Abend
— zum letzten Male — versüßt. Jetzt ruhte sie unter der kalten
Erde aus von einem Leben, dem milde Sanftmuth, ungetrübte
Liebe und innige Herzensgüte den Stempel wahrer Heiligkeit
aufgedrückt hatten. Ihr Grab stand am Strande der See,
viele hundert Stunden von Nordheim's gegenwärtigem Auf-
enthaltsorte entfernt; die wenigen graugrünen Blätter waren
das einzige sichtbare Andenken an die Todte. Aber in
I seinem Herzen stand ein ewiger Altar dankbarer Erinnerung
I an die treueste der Mütter.

Er nahm den Rahmen von der Wand und küßte den
welken Epheustrauß Dann kniete er nieder, verhüllte mit den
; frierenden Händen sein Gesicht und brach in einen Strom von
Thränen auö, die über feine bleichen Wangen niederfloffen auf die
Blätter vom Grabe feiner Mutter. Es war sein Weihnachts-
geschenk für die Entschlafene. Wenn eine jede dieser Thränen ein
Diamant gewesen wäre, würdig, in eine Königskrone gesetzt zu
werden — o ihr Werth wäre in ein Nichts gesunken vor
einer jeden Thräne, einer Mutter in's Grab nachgewcinet
i im Gefühle kindlicher Dankbarkeit und unendlicher Liebe!

Ferner Glockenton drang in sein Zimmer. Bald ver-
stärkte sich das Läuten und in wenigen Minuten scholl von
allen Kirchthürmen der Residenz der Ruf zum Weihnachts-
abcndgottcsdicnst. Auf den Straßen mußte es jetzt wohl
sehr lebhaft sein, denn Heinrich hörte das ferne Rasseln der
j Wagen, das laute summende Geräusch, das durch das leb-
hafte Treiben von Tausenden von Menschen hcrvorgebracht
wird und das auf einen Verlassenen immer einen so weh-
j müthigen Eindruck macht. Das feuchte, kalte Zimmer mit allen

seinen Anzeichen bitterer Noth wurde Heinrich für den hei-
ligen Abend unerträglich. Er wollte sich das weihnachtliche

Treiben der Residenz ansehen und sich wenigstens an der

Freude Anderer weiden. Er hüllte sich in seinen faden-

scheinigen Ueberrock und steckte sein ganzes Vermögen, zwanzig
Kreuzer, zu sich, um sich, wenn er von seiner Wanderung
zurückgekehrt sein würde, dafür sein bescheidenes Mahl für
den heiligen Abend zu kaufen. Was morgen und über-
morgen aus ihm werden sollte, das wußte er nicht.

Nordheim trat aus der Hausthür in's Freie. Ohne

bestimmtes Ziel ging er raschen Schrittes durch die hell-
erleuchteten Straßen. Die Menschen, denen er begegnete,
trugen heute alle den Ausdruck froher Geschäftigkeit, wozu
noch etwas Geheimnisvolles kam. Wollte doch eben ein

Jeder heute Abend froh überraschen oder überrascht werden.
In den mit vielen Lichtern erhellten Kaufläden ging es eben-
falls lebhaft zu. Weihnachtsbäume, mit farbigen Schleifen
und vergoldeten Nüssen geziert, wurden überall in die Häuser
getragen. Prächtige Karossen der Vornehmen, mit reichgeschirr-
tcn Pferden, rollten die Straßen auf und ab. — Hoch über
all dem frohen, lebhaften Treiben bebten die Glockentöne
durch die klare, kalte Abendluft. Heinrich war auf den

Domplatz gekommen. Er folgte den Schaaren, die zur
Weihnachtsandacht eilten und trat in die ehrwürdige gothische
Kirche ein, die ebenfalls heute im festlichen Wcihnachtsschmuck
prangte.

Die große Orgel brauste in gewaltigen Tönen, und
lauter, immer lauter riefen die Glocken dazu: „Heut' ist

Weihnacht! Christ ist geboren! Freuet Euch, Alle, Alle!"
Endlich schwieg die Orgel, die Kerzen wurden ausgelöscht,
die Andächtigen eilten nach Hause — zur Weihnachtsbc-
scherung. —

Nordheim schlug jetzt die Richtung nach seiner Wohnung
ein. An den Hellen Fenstern erschienen lachende Gesichter
und verschwanden dann wieder, fröhliche Stimmen drangen
überall an Heinrich's Ohr. Durch daö niedrige Fenster eines
ärmlichen Häuschens erblickte er eine arme Handwerkerfamilie
um einen winzigen Christbaum geschaart. Die Eltern, wie
die Kleinen sahen alle so zufrieden und glücklich aus und
freuten sich ihrer kleinen Gaben sicherlich eben so aufrichtig,
wie die Vornehmen, von denen heute gewiß das Reichste und
Schönste, was in der Residenz zu haben war, empfangen und
geschenkt wurde.

Heinrich war indessen wieder in die Nähe des Hauses
gekommen, in welchem er wohnte und sah sich nach einem
Bäckerladen um, in dem er sich sein Nachtmahl kaufen könnte.
Als er bei einem großen Hause vorüberging, hörte er, wie
ein stattlicher, in einen seinen Pelz gehüllter Herr einen
kleinen Knaben, der ihn um etwas zu bitten schien, mit
harten, kränkenden Worten rauh zurückwies und dann von
einem Diener gefolgt, in das Haus cintrat. Als Nordheim
näher hinzutrat, sah er einen ärmlich gekleideten Jungen von
etwa 8 Jahren, der in seinen von Frost aufgesprungenen I
Händen einen Teller hielt, aus dem ein kleines Crucifir von
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